Plädoyer für das Gefühl

Intuition contra Ratio: Muss man Entscheidungen treffen, verlassen sich die einen aufs Bauchgefühl, die anderen schreiben Pro- und Contra-Listen. Der Autor Bas Kast plädiert in seinem Buch "Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft" ganz eindeutig für das Abschalten des Verstandes.
Bas Kast erklärt, er habe sich extra für dieses Buch "den Verstand abschalten lassen", kurzzeitig und unter Aufsicht von Wissenschaftlern. In einem Labor in Sydney.

Es folgt eine Rückblende. Professor Allan Snyders umkreist mit einem stattlichen Magneten des Autors verkabelten Schädel. Was Bedeutung, Verlauf und Ausgang dieses Selbstversuchs betrifft, folgen wir dem Autor interessiert über rund 200 Seiten bis zur Lösung des Rätsels im letzten Kapitel.

Das sind die Stärken des Bas Kast. Er kann Spannung erzeugen und Geschichten erzählen. Science-Fiction wäre sein Metier. Aber der Autor versichert, was er hier liefere, sei nicht etwa Science-Fiction sondern Science. Das stimmt aber nicht. In seiner "Kurzen Geschichte der Gefühle" (Kapitel 1) jedenfalls hat Kast die geisteswissenschaftlichen Sachverhalte zu journalistischen Halbwahrheiten verflacht. Er behauptet, die Philosophie der letzten 2000 Jahre sei ein einziger Feldzug gegen Gefühl und Intuition gewesen, seit Sokrates hätten die Philosophen für die strikte Erziehung des Menschen zum "Nur-noch-Denker", zum "Mann ohne Emotionen" (Kapitel 2) votiert. Wir geben zu bedenken, "Philosophie" ist ein Wort griechischen Ursprungs und bedeutet "Liebe zur Weisheit", nicht etwa "Denken der Weisheit". Kommt das dem Autor nicht merkwürdig vor?

Uns fällt auf, dass Kasts Behauptung von der jahrtausende alten Gefühlsfeindlichkeit der Philosophen die Dramaturgie seines Buches so schön übersichtlich macht. So kann er uns überzeugen, dass all diese verbissenen "Jünger der Ratio" natürlich keine Ahnung hatten vom wirklichen Leben. Und dann kann Bas Kast wieder das tun, was er am besten kann, nämlich Geschichten erzählen. Geschichten über "die Macht der Intuition"(Kapitel 3).

Derart die Theorien anderer auf Halbwahrheiten zusammenschrumpfen zu lassen, um anschließend selbst die "ganze Wahrheit" zu verkünden, ist die vorrangige Technik in diesem Buch. So kritisiert Kast ein jüngst veröffentlichtes Werk des Amerikaners Malcolm Gladwell. Dieses handelt ebenfalls von der Kraft der Intuition, und Kast verdankt ihm womöglich die Grundidee seines eigenen Buches. Gladwell würde die intuitive Kraft des Menschen überschätzen, er behaupte, "unsere Intuition ist `intelligenter` als der Verstand." Das ist schlichtweg nicht wahr. In Gladwells Buch gibt es ganze Passagen darüber, unter welchen konkreten Umständen man sich lieber nicht auf sein "Bauchgefühl" verlassen, sondern einen kühlen Kopf bewahren und scharf nachdenken sollte.
Die letzten drei Kapitel des Buches beschäftigen sich mit moderner Hirnforschung und Psychologie. Sie sind zweifellos die interessantesten. Bas Kast hat einige Labors besucht, wissenschaftliche Tests ausgewertet und sich mit Forschern unterhalten. In Chicago, Los Angeles und Detroit, aber auch in Groningen und in Berlin. Wir erfahren zum Beispiel, warum Psychologen der Harvard Universität den "Bildertest" empfehlen, wenn man sich eine Idee vom Charakter eines fremden Menschen verschaffen will. Denn Geschichten, die wir über Bilder erzählen, zapfen unser Unbewusstes an. Sie verraten mehr über uns als jeder ehrlich ausgefüllte Fragebogen.

Bas Kast schreibt auch über das kreative Potential von Tagträumen und spekuliert gemeinsam mit einigen Wissenschaftlern, warum große Forscher und geniale Künstler oft manisch-depressive Charaktere sind. Auch in diesem Part des Buches gibt es vermutlich einige Halbwahrheiten und ganz sicher viel Spekulation. Aber das geht diesmal nicht auf das Konto des Autors, sondern liegt am Stand der Forschung. Unser "unbewusstes Bewusstsein" ist eben noch immer terra nova.

Das Buch ist intelligenter Wissenschaftsjournalismus und will seinen Leser gut unterhalten. Da fallen schon mal ein paar sperrige Fakten unter den Tisch zugunsten einer aufgeräumten Dramaturgie. Da wird ein bisschen schwarzweiß gemalt und ein bisschen ins Blaue spekuliert. Entgegen den Versicherungen des Autors bleibt festzuhalten: Dies ist ein Mix aus Science und Fiction, der für Diskussionsstoff sorgen kann. Vorzüglich in Kaffeehäusern und Studentenkellern.

Rezensiert von Susanne Mack

Bas Kast: Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft. Die Kraft der Intuition
S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2007
224 Seiten, 17,90 Euro