Plädoyer für aktive Teilhabe im Alter

Mit 67 ist Henning Scherf im vergangenen Jahr von seinem Amt als Bürgermeister der Hansestadt Bremen zurückgetreten, "um nicht mit den Füßen voran aus dem Rathaus getragen zu werden". Die Zeit seitdem hat er genutzt, um ein Buch zu schreiben, das wie ein Anti-Schirrmacher daherkommt und Ältere ermuntert, aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen und sich zu engagieren.
Henning Scherf ist ein Optimist, ja ein Enthusiast. Und er ist glaubwürdig. Das hat ihn in seiner Zeit als Bremer Bürgermeister zum beliebtesten Politiker der Republik gemacht. Und das macht auch sein Buch angenehm. Kein Gejammer über Rentenmisere und Gesundheitskosten, keine Plattitüden über demografische Schrecken. Im Gegenteil.

"Ich möchte gerne, gerne alt werden. Ich möchte gerne eine Botschaft sagen, es ist ein Geschenk des Himmels, dass wir älter werden, und es ist ein Geschenk des Himmels, dass wir dieses Leben gestalten können, und nun mal ran."

Scherf sieht das Alter positiv ohne es zu bagatellisieren und - das hat mir besonders gefallen - er bietet Frank Schirrmacher und allen anderen Paroli, die die demografische Entwicklung bloß als Menetekel sehen, die vielen Alten als Last der Jungen. Ob es uns in Zukunft ökonomisch gut geht, hängt von der Produktivität des Landes ab, nicht von der Zahl der Rentner, schreibt er. Und:

"Wir erleben derzeit eine regelrechte Gründungswelle von privat getragenen Stiftungen. ... Hinter diesen Stiftungen stecken oft große Vermögen, Menschen, die entscheiden, ... einen Teil ihres Geldes der Gesellschaft zurückzugeben, die ihren Aufstieg ermöglicht hat."

Scherf fordert einen neuen Generationenvertrag, der weit mehr beinhaltet als Rentenzahlungen, nämlich gegenseitige Unterstützung im Alltag und Freude am Austausch. Die sei ohnehin gewachsen, so der Autor. Generationskonflikte verlaufen heute milder; es ginge harmonischer zu in den Familien. Eine Ghettoisierung der Alten bedeutet auch deshalb Verzicht für Alt und Jung.

In dem Buch finden sich viele Beispiele für gelungenes Miteinander, die der ehemalige Politiker durch seine lange Arbeit kennt und die anregend für viele sein können. Und er stellt Fragen:

"Warum können sich Altenpfleger nicht als Assistenten und ihre Schützlinge als Arbeitgeber verstehen, wie es die körperlich Behinderten inzwischen durchgesetzt haben? ... Warum kann es nicht gesetzlich und tariflich geregelt werden, dass jemand, der zu Hause Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen muss, auf Teilzeit gehen kann - ohne Einbußen bei der Sozialversicherung zu erleiden? ... Und warum lässt man die Rüstigen nicht die Gärten der Altenheime machen?"

Henning Scherf verquickt grundlegende Gedanken mit eigenen Erfahrungen, er plaudert gewissermaßen. Dem Buch ist anzumerken, dass es aus Gesprächen entstanden ist, aus denen seine Co-Autorin Uta von Schrenk ein Manuskript gemacht hat, von Scherf dann ergänzt und redigiert. Diese Vorgehensweise hat Stärken und Schwächen zur Folge: Das Buch ist leicht zu lesen. Und wie in einem Dialog springt es vom biografischen Erzählen zu soziologischen und politischen Betrachtungen, vom Persönlichen zum Gesellschaftlichen und wieder zurück, und dabei gibt es auch die eine oder andere Wiederholung. Viele wichtige Themen werden angerissen, aber keines tiefer ausgelotet.

Scherf sagt seine Meinung, und er zeigt sich streitbar, allerdings - und auch hier unterscheidet er sich wohltuend von Schirrmacher - nicht mit einem verklärenden Blick zurück auf die vermeintlich wunderbare Groß- und Mehrgenerationenfamilie, sondern optimistisch von heutigen Gegebenheiten ausgehend.

Henning Scherf beharrt auf Teilhabe und Selbststimmung im Alter. Er zeigt, dass Menschen, die sozial, intellektuell und finanziell über große Ressourcen verfügen, sie für sich selbst, aber auch zum Nutzen der Gesellschaft einsetzen wollen und können.

Scherf, Jahrgang 1938, setzt in seiner und in den nachfolgenden Generationen auf neue Beziehungsformen auch im Alter. Wer in jungen Jahren in einer WG gewohnt hat, ist auch für eine Wohngemeinschaft im Alter prädestiniert. Da sind die Scherfs mit ihrem Gemeinschaftshaus, ihrer "Wahlfamilie" selbst ein Vorbild, von dem er berichtet, auch davon wie es war, als zwei Hausbewohner an Krebs erkrankten und, so wie es sich alle gewünscht hatten, zu Hause gepflegt werden und sterben konnten.

"Auf die Weise haben wir, wenn man beides zusammenrechnet, sieben Jahre lang mit sterbenskranken engsten Freunden zusammengelebt und sind ausgekommen ohne Pflegehilfe von draußen. Das ist eine Riesenerfahrung gewesen, ich denke, eigentlich die zentrale Erfahrung."

Wichtige Fragen nicht auszuklammern, bewusst zu planen, wie das Leben im Alter für einen selbst aussehen soll, dazu regt Henning Scherf an. Das ist sympathisch, menschenfreundlich, und bei allem Ernst stimmt dieses Buch zuversichtlich.

Rezensiert von Barbara Dobrick

Henning Scherf mit Uta von Schrenk: Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist
Herder Verlag;
191 Seiten, 19,90 Euro
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