Pixar, Dream Works und Co.

Hollywoods Animationsfilmindustrie

Figur in der Pixar-Firmenzentrale in der Nähe von San Francisco
Figur in der Pixar-Firmenzentrale in der Nähe von San Francisco © ARD / Wolfgang Stuflesser
Wolfgang Stuflesser im Gespräch mit Isabella Kolar · 28.09.2015
Vor 20 Jahren hat die US-Firma Pixar den Animationsfilm "Toy Story" in die Kinos gebracht, weitere Filme folgten. Nun startet "Alles steht Kopf". Unser Korrespondent Wolfgang Stuflesser spricht über die Methode Pixar in der Animationsfilmindustrie Hollywoods - und was Kinder daran fasziniert.
Isabella Kolar: Wolfgang Stuflesser, unser Korrespondent in Los Angeles, ich zitiere mal einen Kollegen von Ihnen, der auch bei der Besichtigung der Pixar-Studios dabei war: "Selbst die härtesten Filmkritiker und Kinoblogger klingen bisweilen wie verliebte Fans, wenn sie vom Witz und der Originalität der Pixar-Geschichten schwärmen." Zitat Ende. Als Sie mir von diesen Revolutionären des Animationsfilms erzählten, klangen Sie auch schon ziemlich verliebt. Ist das so?
Wolfgang Stuflesser: Na ja, ich bin halt Vater von zwei kleinen Kindern und schau mir deshalb notgedrungen immer mal wieder, ich sag' mal, kindgerechte Filme an, und zwar mit den Jungs, und ihre Lieblingsfilme, die gucken die auch gern zum fünften oder sechsten Mal. Und dabei ist mir halt aufgefallen, dass die Filme von Pixar – also "Toy Story", "Findet Nemo", "Cars" und so weiter –, dass die nicht nur auch für Erwachsene unterhaltsam anzuschauen sind, sondern dass man da auch im x-ten anschauen immer noch Details entdeckt, die einem vorher entgangen sind.
Ich hab' mal Filmwissenschaft studiert, bilde mir ein bisschen ein, dass ich eine ganz gute Filmwahrnehmung hab, was das angeht, und die Pixar-Filme sind eigentlich die einzigen, die ich rundheraus weiterempfehlen würde - nicht nur den Kindern, sondern auch den Eltern, die dazugehören. Und da hat mich natürlich schon interessiert, woran das wohl liegt.
Kolar: Ja, woran liegt das, was macht die Methode Pixar so besonders, dass Ihre Kinder so fasziniert sind?
Stuflesser: Na ja, diese Pixar-Filme sind ja computeranimiert - das klingt furchtbar technisch und ungefähr wie das Gegenteil zum Beispiel von einem großen Disney-Klassiker wie "Bambi" oder "Dschungelbuch" oder so -, aber in Wirklichkeit setzen die Pixar-Filme diese Tradition der detailverliebten Animationsfilme eigentlich fort. Es geht nämlich zuallererst null um die Technik, sondern um die Geschichte bei denen, und wenn die stimmt, dann funktioniert so ein Film eben auf einmal für verschiedenen Altersgruppen und lässt sich auch immer wieder anschauen.
Also ich finde, es sind zum Teil gar keine wirklichen Kinderfilme, sondern sie funktionieren wir jedes Kunstwerk auf ganz verschiedenen Ebenen. Also Hitchcock zum Beispiel, das ist immer ein Krimi, aber gleichzeitig ja auch ein Stück Gesellschaftskritik oder ein Blick in die menschliche Seele und so weiter. Da zieht jeder Zuschauer das raus, was er bereit ist im Grunde genommen an Gehirnschmalz zu investieren. Und das ist bei Pixar ähnlich.
Bis ein Pixar-Film in die Kinos kommt, dauert es drei bis sechs Jahre
Kolar: Der aktuelle Film "Inside Out" kommt in der deutschen Fassung "Alles steht Kopf" am 1. Oktober in die deutschen Kinos, bei den diesjährigen Filmfestspielen von Cannes war er der Eröffnungsfilm. Pixar hat 15 Filme in fast 30 Jahren in die Kinos gebracht, die immer erfolgreich waren, aber von der Menge her ist das nicht gerade eine üppige Bilanz, oder?
Stuflesser: Quantitativ nicht, aber qualitativ natürlich schon. Also ich glaube, das eine bedingt sogar das andere. Bis so ein Film von Pixar in die Kinos kommt, dauert es drei bis sechs Jahre, haben sie mir erzählt, und nur anderthalb davon sind die eigentliche Produktion am Computer. Den Rest, also wirklich buchstäblich mehrere Jahre, verwenden die Pixar-Leute darauf, die Geschichte zu optimieren, immer wieder noch ein bisschen besser zu machen - und ich hab' den Eindruck, das lohnt sich.
Kolar: Ist es nicht unheimlich, dass Pixar nie Flops produziert? Wie kann das sein?
Stuflesser: Ja, genau die Frage habe ich auch Pete Docter gestellt, dem Regisseur von "Alles steht Kopf", nach dem Motto: Ist der Druck da nicht enorm groß, dass man irgendwann der Erste ist, bei dem es schiefgeht. Er ist der zehnte Pixar-Mitarbeiter überhaupt gewesen, kennt also die Firma wirklich von Anfang an, und er kam direkt von der Uni dahin. Und er sagt, dass das, was sie machen, nämlich das Entwickeln von Geschichten, im Grunde zu einem Prozess strukturiert haben, also dass sie wissen, was sie da tun.
Wir haben ja in Deutschland so eine etwas romantische Vorstellung von Dichtergenies, einem, der dann allein in seiner Klause sitzt und sich sein Werk mit Herzblut von der Seele schreibt. Diese Pixar-Kreativen, die sind sicher auch mit Leib und Seele dabei, aber sie sind gleichzeitig überzeugt, dass alle ihre Filme am Anfang grottig schlecht sind und durch ständiges Verbessern, auch in dem sie das Feedback von ganz versierten Kollegen sich immer wieder einholen, werden sie dann nach und nach immer besser, bis dann - sagt zumindest Pete Docter - das Publikum im Grunde gar keine so große Hürde mehr ist, weil, wie er sagt, den Film bis dahin so viele Leute gesehen haben, dass er relativ sicher funktionieren wird.
Kolar: Dafür, dass die Filme einmal grottig schlecht waren, kann man damit ganz schön viel Geld verdienen. Pixar-Filme spielen heute im Durchschnitt 613 Millionen Dollar ein, und was sagen die Konkurrenten dazu, Hollywood zum Beispiel?
Stuflesser: Na ja, die gucken natürlich schon ein bisschen mit Neid da hoch, in die Nähe des Silicon Valley. Dass Pixar dort sitzt, war ja von Anfang an beabsichtigt, denn Pixar ist gegründet von George Lucas, also dem Kopf hinter "Starwars". Der war natürlich in den Siebzigern ein Riesenheld in Hollywood, aber immer ein bisschen ein Außenseiter. Der wollte weg von Hollywood, weil er sich als technischer Tüftler gefühlt hat, und deswegen wollte er eben seine Filme bewusst weit weg von Hollywood machen.
Und für diesen technischen Ansatz kam natürlich die Nähe zum Silicon Valley genau richtig, da waren Ingenieure, Programmierer, anders als in Hollywood, wo eben diese Unterhaltungsbranche sitzt, und da steht eine gewisse Konkurrenz zwischen den beiden Standorten, und im Fall von Pixar kam zumindest dieser etwas nördliche Standort in Richtung Silicon Valley durchaus der Firma sehr zugute.

Kolar: In dem Feature, das wir gleich von Ihnen hören werden, erwähnen Sie auch Steve Jobs, den 2011 verstorbenen Apple-Gründer. Den Namen würde man im Zusammenhang mit Animations- und Zeichentrickfilmen erst mal nicht erwarten, aber er spielt da eine große Rolle, oder?
Gezeigter Animationsfilm in der Pixar-Zentrale bei San Francisco
Gezeigter Animationsfilm in der Pixar-Zentrale © ARD / Wolfgang Stuflesser
Stuflesser: Es gibt Biografen, die sagen sogar, Jobs ist bei Pixar erst zu dem visionären Firmenchef geworden, als der er heute ja fast schon kultig verehrt wird. Mit 30 ist er da erst mal von seiner eigenen Firma Apple rausgeschmissen worden, weil er im Grunde unerträglich egoman und arrogant war, und dann hat er eben nach neuen Feldern gesucht, um sich zu beweisen, hat mit seinem privaten Vermögen Pixar von George Lucas gekauft, er hat aber einen ganz klugen Schritt gemacht, nämlich sich nie in das Tagesgeschäft eingemischt – er hat auch immer gesagt, ich kenne mich mit Filmen nicht –, er hat die Kreativen machen lassen, aber andererseits hat er sehr strategisch geschickte Deals für sie ausgehandelt.
Zum Beispiel hat Disney die ersten Pixar-Filme komplett vermarktet und auch das Marketing und den Vertrieb übernommen. Inzwischen hat Disney Pixar ja aufgekauft, aber im Grunde – sagte mir ja auch ein Filmprofessor, mit dem ich hierüber geredet habe – war das eigentlich so, dass Disney sich Pixar dazugeholt hat, um ihre eigene, sehr eingerostete Animationsabteilung wieder zu neuem Leben zu erwecken. Also das war im Grunde genommen eher ein Jungbrunnen für Disney als ein Aufkaufen dieses kleinen Konkurrenten da.
"Wille zur Pefektion"
Kolar: Stichwort Disney: Sie haben sich auch andere US-Animationsfilmstudios angesehen – haben alle eine ähnliche Arbeitsweise?
Stuflesser: Also von den Abläufen schon, dass zum Beispiel erst die Geschichte in Standbildern aufgezeichnet wird, und dann werden die Dialoge aufgenommen und auf deren Basis dann die Bilder animiert, damit auch die Lippenbewegungen stimmen, das hat aber eigentlich schon Walt Disney so gemacht. Außerdem ist die Computeranimation heute einfach der Standard - da war Pixar halt die erste Firma, aber heute sind sie längst nicht mehr die einzige.
Aber dieser Wille zur Perfektion, der ist in meinen Augen schon einzigartig bei Pixar. Ich war gerade bei Sony Animations, die sagen, sie haben auch Filmvorführungen wie bei Pixar, aber diese Bereitschaft, notfalls Jahre nach dem Beginn der Entwicklung alles noch mal auf Start zu setzen, die hab' ich so bislang bei keinem anderen Studio gesehen. Die haben natürlich auch tolle Erfolge, aber vielleicht nicht in der Zuverlässigkeit wie bei Pixar.
Kolar: Pixar hat ja schon 15 Oscars, wie wahrscheinlich ist es, dass sie für den neuen Film "Alles steht Kopf" den Oscar für den besten Film bekommen?
Stuflesser: Ja, das ist die große Frage. Dazu habe ich im Feature auch eine Aussage des britischen Kritikers Mark Kermode, der ja nun sicher keine patriotischen Hintergedanken hier in den USA hat, aber von "Alles steht Kopf" ganz hin und weg ist. Also im Moment laufen diese Filme bei den Oscars halt noch in einer Art Ghetto. Es gibt den Oscar für den besten Animationsfilm, so auch für den besten ausländischen Film oder Dokumentarfilm.
Ehrlich gesagt, ich glaube, diese Grenze, die wird irgendwann fallen, und "Alles steht Kopf" hätte sicher das Zeug dazu, den Oscar zu gewinnen als bester Film, aber die Academy ist halt sehr konservativ. Das sind in ihrer Mehrheit weiße alte Männer, wie es immer so schön heißt, die brauchen sicher noch eine Weile, bis sie die Qualität der Animationsfilme erkennen. Vielleicht sollten sie mal auf ihre Enkel im Kinderzimmer hören.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.