Pioniere in der uckermärkischen Einsamkeit

24.11.2008
Die Uckermark, rund 100 Kilometer nordöstlich von Berlin gelegen, zählt zu den am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. Viele Bewohner kehren der Gegend den Rücken, andere suchen hier in der Weite und Einsamkeit eine neue Herausforderung. In seinem Band "Die Zugezogenen" hat Roland Köhler einige von den Neusiedlern porträtiert.
Für die Uckermark im November braucht man entweder eine rustikale seelische Grundausstattung, einen gehörigen Hang zur Melancholie oder eine große Sehnsucht nach Weite. Wer damit ausgerüstet ist, kann in der am dünnsten besiedelten und flächenmäßig größten Region Deutschlands sein Glück finden – oder auch, sogar bei bestem Willen, scheitern.

Der Fotograf Roland Krüger ist 1998 den Weg aus Berlin selber gegangen. Er lebt seit zehn Jahren inmitten des bunten Volks der Zugezogenen und der immer weniger werdenden Einheimischen. Sein Buch erzählt fotografische Geschichten über rund ein halbes Jahrhundert dieser Neusiedelei. Vor sechs Jahren begann Krüger mit der Arbeit: Fotoporträts und Tonbandprotokolle über die "Raumpioniere" in der Uckermarck.

Das Foto eines Einzelnen, eines Paares oder einer Familie wird durch eine kurze "Siedlungsgeschichte" der Porträtierten verbunden. Es sind zumeist frontal aufgenommene Fotos, die Gesichter sind dem Betrachter deutlich zugewandt, so als seien sie sofort zu einem Gespräch bereit. Immer ist der ganz spezielle Lebensrahmen angedeutet: ein Bildhaueratelier, ein Garten, ein Haus im Bau, ein Wohnwagen oder ein weites Feld. Man spürt die Ruhe dieser Landschaft, eine Ruhe, die viel Kraft geben kann aber im Übermaß auch Einsamkeit beschwört. Köhlers Bilder sind keine Idyllen, man ahnt, dass Gelingen und Scheitern dicht beieinander liegen. Und die biografischen Notizen bestätigen diese Annahme, wenngleich das Scheitern gar nicht so häufig vorkommt

Warum zieht es Menschen in diese Einsamkeit? Nur zum Vergleich: in Berlin beispielsweise leben 3800 Menschen auf einem Quadratkilometer – in der Uckermark sind es 44 Menschen. Das gilt nach statistischen Maßstäben als unbesiedelte Region, wie der Architekturkritiker Wolfgang Kil in einem höchst lesenswerten Nachwort schreibt. Viele der ursprünglichen Bewohner, besonders die jungen, sind auf Arbeitssuche in die Städte gegangen. Die Arbeitslosigkeit liegt stabil zwischen 25 und 30 Prozent in dieser Gegend. Die dagegen aus den Städten gekommen sind, sind meist jüngere, so genannte Kreative, in der Mehrzahl "Wessis", solche, die bereit sind ihre materiellen Ansprüche ganz massiv zu beschränken und diese Beschränkung sogar als Lebenssinn zu akzeptieren. Dafür haben sie anderes im Übermaß, Platz, Natur und Ruhe. Nutzen tun sie es auf ihre je eigene Art.

Die pensionierte Hamburgerin Maria engagiert sich in einem Projekt, in dem gesunde und kranke Menschen gemeinsam leben können, die dreißigjährige Tierärztin hat die Nase voll von Berlin und lebt in einem Wohnwagen , arbeitet im Rinderstall und in einer Kleintiersprechstunde. Frank und Conny Bölter wollen gemeinsam mit ihren beiden Pflegekindern Lebensalternativen fernab des beengten Stadtlebens erproben, und auch sie betonen, dass Verzicht auf so viele Dinge hier viel einfacher ist. Eine studierte Biologin verdient als Kräutergärtnerin ihren Lebensunterhalt – der Begriff wird in diesen Lebensmodellen auf seinen Kern gebracht. Der allein erziehende Eckhard Gorontzi , er ist Ende vierzig und hat zwei Kinder, ist eigentlich Ingenieur für Raumplanung und gehört mit seiner Lebensidee , die sich wenig um üblichen Normen kümmert, zu den Neusiedlern, die argwöhnisch von den Einheimischen beobachtet werden. Er bekennt darum auch mit ein wenig Resignation, dass die "Schnittmenge" zwischen den Zugezogenen und den Alteingesessenen oft nur minimal ist.

Da der Fotograf Roland Köhler nicht von Außen kommt, sondern den gleich Weg gewählt hat zwischen kultureller Selbstbestimmung und existenzieller Lebenssicherung, kann ihm niemand etwas vormachen. Eine heile Welt gibt es nicht zwischen den hohen Horizonten, den gelben Rapsfeldern und weiten Feldern. Aber für viele der Raumpioniere gibt es einen Zugewinn an Selbstbestimmung und Freiraum. Sie leben das vor, was Soziologen über Regionen wie die Uckermarck prophezeien: der ländliche Raum wird für die moderne Gesellschaft eine grundlegende andere Bedeutung bekommen. Denn wozu, so die auf die Spitze getriebene Konsequenz dieser Überlegung, sind Dörfer noch notwendig, wenn es inzwischen die Agrarindustrie gibt, die weitaus weniger Arbeitskräfte braucht?

Vielleicht werden die Neusiedler, die Roland Köhler so nachdrücklich porträtiert hat, irgendwann wirklich als Pioniere einer Art Bürgergesellschaft gelten, die viel notwendiger ist, als es das städtische Leben glauben macht.

Rezensiert von Astrid Kuhlmey

Roland Köhler: Die Zugezogenen – Neusiedler in der Uckermark
Hrsg.: Multikulturelles Centrum Templin
Steffen, Friedland 2008
117 Seiten, 18 Euro