Pionier der virtuellen Kunstmesse

Von Georg Gruber |
Die Art Cologne in Köln ist die bedeutendste Kunstmesse in Deutschland. Einer ihrer Gründer 1967 war der Galerist Hans Neuendorf, der Mann, der Anfang der 60er Jahre als Erster Pop Art in Deutschland ausgestellt hatte. Ende der 80er Jahre gab er seine Galerie auf und ging ins Netz: artnet heißt seine Internetseite, ein virtueller Marktplatz für Kunst, Anlaufstelle für Sammler und Händler.
Neuendorf: "Wir sind eine der Firmen gewesen, über die man sich gerne lustig gemacht hat, weil keiner sich vorstellen konnte, wie der Kunsthandel über das Internet funktionieren könnte."

Hans Neuendorf, der Kopf hinter artnet. Heute kommen über 2,5 Millionen Besucher monatlich auf seine Internetseite: Sammler, Galeristen, Kunstinteressierte. In den 90er Jahren schien es, als habe Neuendorf, einer der erfolgreichsten Kunsthändler der Welt, sein Vermögen in einen großen Flop investiert.

"Nachdem ich auch mein ganzes Geld hinein gegeben hab und meine Freunde und Bekannten dann auch da gebeten hatte zu investieren, waren wir irgendwann an einem Ende angelangt."

1999 wendete sich das Blatt: 46 Millionen Euro spülte der Börsengang in die leeren Kassen von artnet - zu den Hochzeiten der Interneteuphorie war das. Goldgräberstimmung: Die Aktie wurde hochgejubelt und stieg innerhalb kurzer Zeit von 46 auf 67 Euro.
Dann kam der Neue Markt ins Trudeln, die Internetblase platzte, auch die artnet-Aktie fiel, ins Bodenlose:

"26 Cent war glaube ich das niedrigste, das war natürlich ein harter Schlag."

Von Kunst hat Hans Neuendorf schon immer etwas verstanden, mit der Börse sei er nicht vertraut gewesen - das sagt er heute. Die Aktie bewegt sich inzwischen irgendwo bei vier oder fünf Euro. Schlecht für diejenigen, die bei 50 oder 60 Euro gekauft haben. Doch wenigstens gibt es die Firma noch, im Gegensatz zu anderen Experimenten aus der Goldgräberzeit.

Der Hauptsitz von artnet liegt unweit der Wall Street in New York. Hans Neuendorf, der Vorstandsvorsitzende, ist in einem Alter, in dem andere schon in Rente sind: 67. Doch er sieht jünger aus, sportlich, könnte ein Langstreckenläufer sein. Er ist auch immer in Bewegung: Er pendelt, seit er vor drei Jahren ein Büro in Deutschland eröffnete: Eine Woche New York, drei Wochen Berlin, wo er in einer stilvoll eingerichteten Villa lebt, mit seiner zweiten Frau und seinen Söhnen. Benjamin, der jüngste, ist acht.
Eine Villa voller Kunst:

"Zu jedem Bild gibt es eine Geschichte."

Viele der Maler kennt er seit den 60er Jahren, als seine eigene Erfolgsgeschichte begann. In Hamburg, wo er aufwuchs.

"Man muss sie kaufen, wenn sie noch keiner will …"

… hatte ihm schon zu Schulzeiten der Vater eines Klassenkameraden erklärt, in dessen Wohnung er viele wertvolle Bilder hängen sah.

"Man muss sie kaufen, wenn sie noch keiner will."

Das wurde die Maxime seiner Galeristentätigkeit.

"Ich hab dann schon angefangen, Bilder zu kaufen, als ich zur Schule ging, in dem ich per Autostopp nach Paris fuhr und dort Grafiken von Picasso und Matisse und Chagall gekauft habe und in einer Rolle zurück gebracht und an meinen Zahnarzt verkauft habe. Auf diese Art habe ich mein Studium finanziert. "

963 eröffnete er in Hamburg eine Galerie. Seine erste Ausstellung machte ihn mit einem Schlag bekannt:

"Ich hab als erste Ausstellung Pop Art ausgestellt, was noch keiner je gesehen hatte …"

Darunter mehrere Bilder von Warhol, Lichtenstein und Rauschenberg,

" … eigentlich alle, die in der Pop Art berühmt wurden, waren vertreten. Es war sofort eine sehr starke Pressereaktion vorhanden, aber keinerlei Reaktion eines kaufenden Publikums. "

Mit artnet sollte es ihm später ähnlich ergehen. Aber er hat Erfahrung im Durchstehen von mageren Zeiten: In den 60er Jahren hielt er sich mit Artikeln für dekorative Zeitschriften wie "Schöner Wohnen" über Wasser, bis er vom Kunsthandel leben konnte.

"Das war ein langer und schmerzhafter Prozess."

Ein Prozess, zu dem auch die Gründung der Kunstmesse Art Cologne gehörte, 1967. Die Idee: Einmal im Jahr Kunst einem größerem Publikum zu präsentieren. Im zweiten Jahr zahlte sich diese Idee für den Pop-Art-Spezialisten schon aus:
"Wir haben alle Bilder auf der Messe verkauft, das erinnere ich als einen der ersten Verkaufserfolge, natürlich auf einem Preisniveau, ein Bild 20.000 DM, während die heute leicht zwei Millionen Euro kosten."

Ende der 80er Jahre stieg er aus dem Geschäft aus, - oder besser: er stieg um. Bilder kaufen und verkaufen hatte seinen Reiz verloren, Geld hatte er genug verdient. Ihn reizte das Neue, das gerade ganz langsam begann:

"Als ich entdeckte, dass farbige Abbildungen von Computer zu Computer über Telefonleitungen transportiert werden, zu Kosten von nahezu null, hab ich verstanden, dass das auf den Kunsthandel einen ganz großen Einfluss haben musste."

Neuendorf war wieder Pionier: Er investierte lange vor dem Internetboom in eine Firma, die Daten von Auktionen speichert. Mit dieser Datenbank ist Artnet heute so etwas wie das Gedächtnis des Kunstmarktes.

"Ungefähr drei Millionen Auktionsslots aus den letzten 20 Jahren, alle Auktionen für Kunst in der Welt sind dort drin erfasst, alle."

Per Mausklick lassen sich weltweit Preise für Kunst vergleichen Ein Galerienetzwerk ist das zweite Standbein von artnet, über die Internetseite kann man in 1200 Galerien nach Malern oder Kunstobjekten recherchieren. Eine virtuelle Kunstmesse, so wie die Art Cologne, nur größer und immer verfügbar.
Vielleicht lässt sich damit auch irgendwann richtig Geld verdienen. Bis jetzt hat artnet noch in keinem Geschäftsjahr am Ende schwarze Zahlen geschrieben. In diesem Jahr soll es soweit sein. Hans Neuendorf ist zuversichtlich.