Pierre Boulez dirigiert "Sinfonie der Tausend"

Gustav Mahlers 8. Sinfonie

Ein Foto in Brauntönen von Mahler mit seiner typischen Brille.
Gustav Mahler, Fotografie um 1900. © imago images / Leemage
Moderation: Olaf Wilhelmer · 19.08.2020
Zeitlebens komponierte Gustav Mahler groß besetzte Werke. In der 8. Sinfonie übertraf er sich selbst: Was damals als "Sinfonie der Tausend" gefeiert wurde, ist heute undenkbar. Mit Pierre Boulez‘ Aufführung von 2007 erinnern wir an das Musikleben vor Corona.
Eine "Sinfonie der Tausend" löst heute vor allem tausend Sorgen aus – Sorgen, die die Aufführung eines so groß besetzten Werkes, in dem auch noch durchgehend gesungen wird, unmöglich zu machen.
In dieser Woche sind im Konzert von Deutschlandfunk Kultur Mitschnitte aus der vergangenen Zeit zu hören, in denen nur große Werke auf dem Programm stehen. Hier ist ein ganzes Repertoire verstummt, hier ist ein Reichtum bedroht, der zu den Säulen des Kulturlebens gehört. Denn große Werke können dem Publikum nicht nur große Erlebnisse bescheren, sondern sie erfordern auch große Anstrengungen vieler Menschen. Diese Hervorbringungen sind in der Produktion wie in der Rezeption soziale Kunstwerke.

Es geht um alles

Gustav Mahlers 8. Sinfonie zeigt beispielhaft, wie in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg solche musikalischen Großprojekte zur Selbstvergewisserung einer ganzen Gesellschaft geschaffen wurden. Und zwar nicht zur Feier des Großbürgertums, auch wenn das gerade in diesem Fall – bei der triumphalen Uraufführung der "Achten" 1910 in München – eine Rolle spielte.
Mahler und komponierende Zeitgenossen wie Arnold Schönberg, Edward Elgar und Alexander Skrjabin ging es unter Aufbietung aller Mittel in der Tat um "alles": In der 8. Sinfonie ist das der Schöpfergeist, der mit dem mittelalterlichen Pfingsthymnus "Veni creator spiritus" besungen wird, und der zur geistigen Welt überleitet, in welcher sich das Ende des zweiten Teils von Goethes "Faust" ereignet.

Unbeschreibliches tun

Nicht allein aufrauschend, sondern in den subtilsten Klangbildern komponiert Mahler in seiner Goethe-Vertonung den Eingang von Fausts Unsterblichem in eine Sphäre der Erlösung. Die Musik mutet spätromantisch an, weist mit ihren nie dagewesenen Mixturen aber weit in die Zukunft, etwa zu den ätherischen Vokalwerken aus Anton Weberns Spätwerk.
Kein Wunder, dass sich der 2016 verstorbene Pierre Boulez über Jahrzehnte hinweg mit diesem Werk beschäftigte: Er dirigierte es aus der Perspektive des Komponisten, der nach exquisiten Klängen sucht, aus der Perspektive des Dirigenten, dem Anton Weberns Musik eine lebenslange Herausforderung war – und mit den Bayreuth-erfahrenen Händen des Kapellmeisters, der monumentale Stücke nicht nur zusammenhalten, sondern ihnen auch einen erzählerischen Spannungsbogen verleihen konnte. Um es mit Goethe zu sagen: Das Unbeschreibliche, hier war es getan.
Großaufnahme des Dirigenten bei der Arbeit.
Pierre Boulez im Jahr 2007.© imago images / Leemage
Aufzeichnung vom 9. April 2007 aus der Berliner Philharmonie
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 8 Es-Dur für Soli, Chöre und Orchester

Twyla Robinson, Sopran
Soile Isokoski, Sopran
Adriane Queiroz, Sopran
Michelle DeYoung, Alt
Simone Schröder, Alt
Johan Botha, Tenor
Hanno Müller-Brachmann, Bariton
Robert Holl, Bass

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