Pianistenkarriere mit tragischem Ende

Um Schuld, Anpassung und Widerstand geht es in Peter Goldworthys "Maestro". In Australien, dem Heimatland des Autors, gehört der Roman zur Schullektüre. Es ist die Geschichte eines verführten Künstlers, der sich den Nazis verkaufte. Vorbild für den Stoff war der Wiener Komponist Richard Strauss.
Sein jetzt erst auf Deutsch erschienener Debütroman "Maestro" aus dem Jahr 1989 ist inzwischen Schullektüre in Australien. Peter Goldsworthy gilt heute als einer der wichtigsten australischen Autoren. Begonnen hat er mit Kurzgeschichten und Lyrik, bevor er sich mit "Maestro" an seinen ersten Roman wagte, dem inzwischen fünf weitere gefolgt sind.

Wie bei vielen Autoren, so finden sich denn auch in Goldsworthys Erstling viele autobiografische Daten. Der 1951 geborene Schriftsteller ist wie sein Erzähler Paul am Ort der Handlung, der australischen Hafenstadt Darwin, Anfang der sechziger Jahre aufgewachsen. Beide teilen musikbegeisterte Eltern, die gerne abends gemeinsam auf dem Klavier musizieren. Im Unterschied zu seiner jugendlichen Romanfigur Paul hat Goldsworthy allerdings nie besonderes Talent zum Klavierspielen besessen, auch wenn er das Klavierspielen erlernte.
Paul dagegen erweist sich als so begabt, dass ihm seine Eltern einen guten Lehrer suchen, um ihn auf eine Pianistenkarriere vorzubereiten. Eduard Keller, ein Immigrant aus Österreich, den alle Welt Maestro nennt, soll die Ausbildung übernehmen. Er ist ein merkwürdiger Mensch, der zuviel trinkt, sich in seinem Zimmer über einer Kneipe vor der Welt versteckt, gesellschaftliche Kontakte meidet, auf den Jungen oftmals ziemlich schroff und abweisend wirkt. Niemand weiß so recht, warum er nach dem Krieg aus Österreich nach Australien auswanderte, keine Konzerte mehr gibt, obwohl er einmal ein gefeierter Pianist gewesen sein muss.

Im Verlaufe des Buches erschließt sich dem erzählenden Paul dann allmählich dessen Geschichte, die eines verführten Künstlers, der sich den Nazis verkaufte, jedoch sich und seine Kunst überschätzte und damit einen unverzeihlichen tödlichen Fehler beging. Vorbild war der Wiener Komponist Richard Strauss, der mit den Nazis lange zusammenarbeitete, zum einen weil sie ihn feierten, zum anderen weil er seine halbjüdische Tochter vor Verfolgung schützen wollte.

Die Geschichte des Pianisten nimmt dagegen ein tragisches Ende. Im Roman geht es um Schuld, Anpassung und Widerstand. Inwieweit kann man in solchen Zeiten unpolitisch bleiben, wegschauen, sich wegducken? Eduard Keller versucht seinem jungen australischen Schüler seine Erfahrungen zu vermitteln. Doch das glückt ihm nicht - nicht zuletzt weil er nur in Andeutungen spricht, nicht klar mit der Sprache herausrückt.

Paul begreift erst sehr spät, möglicherweise zu spät, worauf es seinem gestrengen Lehrer ankam. Er ist ein typischer Heranwachsender, unsicher gegenüber dem anderen Geschlecht, auf der Suche nach erster sexueller Erfahrung, leicht beeinflussbar von seiner Umwelt, vor allem mit sich selbst und seinen kleinen Problemen befasst, ein Narziss wie alle Jugendlichen. Als er seinen besten Freund verrät, um sich bei einigen halbstarken Rabauken seiner Schule einzuschmeicheln, bemerkt er nicht die Parallelen zu Kellers natürlich viel gewichtigeren Fehlern. So genießt er die Anerkennung, die ihm andere entgegenbringen, weil er so gut Klavier spielt - und zwar nicht nur Klassik, sondern zudem in einer Rockband mit Älteren, sieht sich selbst schon als halben Rockstar.

In Überschätzung seiner Fähigkeiten hält Paul sich für einen großartigen Klavierspieler und begreift nicht, wovor ihn sein Lehrer zu warnen versucht: dass brillante Technik allein sinnlos bleibt, wenn es dem Pianisten nicht gelingt, zum Kern der Musik vorzustoßen, ihrer Seele. Er verlässt seinen Lehrer, beginnt ein Musikstudium, beteiligt sich weltweit an Wettbewerben. Doch der Durchbruch bleibt aus. Bei einem Aufenthalt ihn Wien entdeckt er das dunkle Geheimnis seines Maestro.
Der Roman wird auch zu einer Auseinandersetzung mit Kunst überhaupt: wie wahrhaftig muss und soll sie sein. Darf sie lügen, um zu unterhalten, die Menschen zu erheitern - oder ist ein Künstler stets der Wahrheit verpflichtet? Peter Goldsworthy verheddert sich allerdings nicht in theoretischen Erörterungen. Er erzählt vielmehr die klassische Geschichte des Erwachsenwer-dens und der vielen Irrtümer, die damit einhergehen. Der Roman hofft darauf, dass wir irgendwann doch einmal aus der Geschichte und aus unseren Fehlern lernen.

Rezensiert von Johannes Kaiser

Peter Goldsworthy: Maestro
Übersetzung von Susanne Costa, Deuticke Verlag 2007, 188 Seiten, 17,90 Euro