Photoshop-Realismus
Der Künstler Eberhard Havekost befasst sich in seinen Bildern mit dem flüchtigen, oberflächlichen und auch unbewussten Sehen. Havekost fertigt seine Gemälde auf der Grundlage fotografischer Vorlagen an, die er in Schnappschüssen gleich selbst anfertigt und am Computer bearbeitet. Schwer fällt es dem Betrachter allerdings, hinter den glatten Oberflächen Tieferes zu erkennen.
Gern würde man hinter die Dinge schauen, aber der Blick gleitet an der Oberfläche ab: an der Hausfassade, hinter deren großen Fenstern sich kein Mensch zeigt oder an den roten Passagierwaggons eines Zuges. Der schlanke Leib eines Flugzeugs zieht sich durchs Bild und wir stoßen auf eine Karosserie mit blinder Windschutzscheibe. Und wenn denn mal menschliche Figuren groß ins Bild gesetzt werden, so wirken auch sie fremd, unnahbar - zumal die Skiläufer, die in glänzende Kostüme verpackt sind.
Annelie Lütgens vom Wolfsburger Kunstmuseum:
"Die Selbstgestaltung von Körpern, von Gesichtern, bedeutet für Havekost, dass es so etwas wie einen natürlichen Körper gar nicht mehr gibt. Deshalb das Styling, das Design - und diese merkwürdige Sportbekleidung."
Es ist eine entrückte Welt, selbst wenn sie Havekost in Nahsicht präsentiert. Hier ist der Mensch nicht wirklich zu Hause, obwohl er mobil erscheint und sich mit den Produkten einer optimistisch stimmenden Freizeitindustrie umgibt.
Zu dieser Distanzierung von Realität trägt die Unschärfe der Motive bei. Vieles ist verzerrt und in ungewöhnlicher Perspektive auf die Leinwand gebracht, ausschnitthaft und in extremer Nahsicht. Damit schiebt sich bei Havekost vor die unwirtliche Wirklichkeit die Wahrnehmung als zentrales Thema:
"Wo stehe ich hier eigentlich, was ist das für ein Ausschnitt? Die Verunsicherung des Betrachters besteht darin, dass man - obwohl es eine gegenständliche, figürliche Malerei ist - manchmal nicht weiß, was man da eigentlich sieht. So muss man seine eigene Wahrnehmung neu befragen."
Havekost malt nach Bildmaterial aus den Medien und nach eigenen Fotos, die er digital bearbeitet, so dass die Motive gedehnt, verwischt oder in ihrer Helligkeit verändert werden können.
Die "Schmuddelecken" der Zivilisation - verfallene Garagen, Sperrmüll und Abfall auf der Wiese - sind ihm nicht fremd. Kürzlich entstand ein ganzer Zyklus über ein in der Wüste vorgefundenes Autowrack, dessen rostfarbene Töne sich zum Sinnbild von Vergänglichkeit verdichten.
Andererseits ist der Fundus von Havekost verwirrend vielfältig: ein Spiderman-Kostüm und ein Indianer befinden sich darunter, üppige Pflanzen füllen die Fläche, hier springt ein Mädchen ausgelassen auf einem Hotelbett herum, dort hat sich ein Grizzly bedrohlich aufgerichtet.
So lässt sich der Verdacht, das Material des Malers könnte am Ende doch beliebig sein, nicht so schnell ad acta legen. Sind ihm die Motive egal?
Annelie Lütgens: "Egal sind sie ihm nicht, sie sind ihm aufgefallen. Und bestimmte Motive spielen ja immer wieder eine Rolle: die kühlen Oberflächen oder die kaputten Überreste. Es gibt eben eine Bandbreite zwischen glatten Materialien, Sportflugzeugen und Freizeitzelten auf der einen Seite und Müllecken und ruinenhaften Häusern auf der anderen."
"Hierarchiefreiheit" - so beschreibt man im Museum den Zugriff des Malers auf derart unterschiedliche Motive. Aus dem letzten Jahr stammt das vom Irakkrieg provozierte Gemälde mit einem US-General, dessen Gesicht von Narben entstellt ist - "Bühne" heißt dieses Bild. Havekost - in Teilen seines Oeuvres womöglich ein politischer Künstler?
"Also erst einmal hat er dieses Motiv genauso in den Medien gefunden wie z.B. eine Bikinischönheit oder ein Bild von Oliver Kahn. Aber es ist schon bemerkenswert, wie er diesen hoch dekorierten, vernarbten Offizier ins Bild setzt, nämlich überhaupt nicht heroisch, sondern von unten und mit einer monochromen Fläche darüber, er wirkt wie verrutscht. Das ist schon politisch, vor allem wenn man sieht, wie Havekost das Bild hier präsentiert, nämlich neben einem zerschossenen Straßenschild aus den USA."
Am liebsten hätten wir den Maler selbst nach seiner Haltung befragt - aber er wollte seine natürliche Stimme nicht im Rundfunk gesendet wissen.
Der 1967 in Dresden geborene Havekost gehört jenseits der flott vermarkteten "Leipziger Schule" zu den viel beachteten deutschen Gegenwartsmalern, seine Gemälde hängen in etlichen Sammlungen.
Bleibt die Frage nach der Tradition, in der er sich bewegt. Eine Großbank, die den produktiven und geschäftstüchtigen Künstler mit einem Stipendium unterstützt hatte, behauptet auf ihrer Internetseite, Havekost schließe in positivem Sinne an die gegenständliche Malerei der DDR an. Vielleicht aber hatten westliche Strömungen einen wesentlich größeren Einfluss auf sein Werk - wenngleich der Fotorealismus als Inspirationsquelle nicht in Frage kommt:
"Nein, auf keinen Fall - auch wenn das viele Leute erst mal denken, weil er so exakt abmalen kann. Es geht nicht darum, die Fotografie durch eine malerische Geste zu überbieten und durch Genauigkeit. Eine seiner Quellen sind sicherlich Künstler wie Gerhard Richter und Sigmar Polke, die sich mit der Manipulation des Medienmaterials befassen - auch wenn die Malweise z.B. von Polke anders ist. Aber der Ansatz hat mit ihm zu tun."
Kein Fotorealismus, eher schon "Photoshop"-Realismus, sagt man in Wolfsburg mit Blick auf die digitalen Bearbeitungskünste des Malers.
Hier im Museum sollen durch die nicht - chronologische Hängung "Denkräume" entstehen, so dass sich der Besucher in jedem Abschnitt neu vergewissern kann und muss, wie es der Künstler im Detail mit Wirklichkeit und Wahrnehmung hält.
"Harmonie", so ist diese Schau vieldeutig überschrieben, sie könnte nach dem Titel eines seiner Bilder auch "Benutzeroberfläche" heißen. Der Betrachter könne in diesen Gemälden eine unvermutete Tiefe entdecken, verspricht der Museumsprospekt. Die Oberfläche der gezeigten Dingwelt zu durchdringen, bleibt aber ein gehöriges Stück Arbeit. Ein "Sesam öffne Dich!" hilft da nicht weiter.
Service:
Die Ausstellung "Harmonie" mit Werken von Eberhard Havekost ist vom 5.11.2005 bis 19.02.2006 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.
Annelie Lütgens vom Wolfsburger Kunstmuseum:
"Die Selbstgestaltung von Körpern, von Gesichtern, bedeutet für Havekost, dass es so etwas wie einen natürlichen Körper gar nicht mehr gibt. Deshalb das Styling, das Design - und diese merkwürdige Sportbekleidung."
Es ist eine entrückte Welt, selbst wenn sie Havekost in Nahsicht präsentiert. Hier ist der Mensch nicht wirklich zu Hause, obwohl er mobil erscheint und sich mit den Produkten einer optimistisch stimmenden Freizeitindustrie umgibt.
Zu dieser Distanzierung von Realität trägt die Unschärfe der Motive bei. Vieles ist verzerrt und in ungewöhnlicher Perspektive auf die Leinwand gebracht, ausschnitthaft und in extremer Nahsicht. Damit schiebt sich bei Havekost vor die unwirtliche Wirklichkeit die Wahrnehmung als zentrales Thema:
"Wo stehe ich hier eigentlich, was ist das für ein Ausschnitt? Die Verunsicherung des Betrachters besteht darin, dass man - obwohl es eine gegenständliche, figürliche Malerei ist - manchmal nicht weiß, was man da eigentlich sieht. So muss man seine eigene Wahrnehmung neu befragen."
Havekost malt nach Bildmaterial aus den Medien und nach eigenen Fotos, die er digital bearbeitet, so dass die Motive gedehnt, verwischt oder in ihrer Helligkeit verändert werden können.
Die "Schmuddelecken" der Zivilisation - verfallene Garagen, Sperrmüll und Abfall auf der Wiese - sind ihm nicht fremd. Kürzlich entstand ein ganzer Zyklus über ein in der Wüste vorgefundenes Autowrack, dessen rostfarbene Töne sich zum Sinnbild von Vergänglichkeit verdichten.
Andererseits ist der Fundus von Havekost verwirrend vielfältig: ein Spiderman-Kostüm und ein Indianer befinden sich darunter, üppige Pflanzen füllen die Fläche, hier springt ein Mädchen ausgelassen auf einem Hotelbett herum, dort hat sich ein Grizzly bedrohlich aufgerichtet.
So lässt sich der Verdacht, das Material des Malers könnte am Ende doch beliebig sein, nicht so schnell ad acta legen. Sind ihm die Motive egal?
Annelie Lütgens: "Egal sind sie ihm nicht, sie sind ihm aufgefallen. Und bestimmte Motive spielen ja immer wieder eine Rolle: die kühlen Oberflächen oder die kaputten Überreste. Es gibt eben eine Bandbreite zwischen glatten Materialien, Sportflugzeugen und Freizeitzelten auf der einen Seite und Müllecken und ruinenhaften Häusern auf der anderen."
"Hierarchiefreiheit" - so beschreibt man im Museum den Zugriff des Malers auf derart unterschiedliche Motive. Aus dem letzten Jahr stammt das vom Irakkrieg provozierte Gemälde mit einem US-General, dessen Gesicht von Narben entstellt ist - "Bühne" heißt dieses Bild. Havekost - in Teilen seines Oeuvres womöglich ein politischer Künstler?
"Also erst einmal hat er dieses Motiv genauso in den Medien gefunden wie z.B. eine Bikinischönheit oder ein Bild von Oliver Kahn. Aber es ist schon bemerkenswert, wie er diesen hoch dekorierten, vernarbten Offizier ins Bild setzt, nämlich überhaupt nicht heroisch, sondern von unten und mit einer monochromen Fläche darüber, er wirkt wie verrutscht. Das ist schon politisch, vor allem wenn man sieht, wie Havekost das Bild hier präsentiert, nämlich neben einem zerschossenen Straßenschild aus den USA."
Am liebsten hätten wir den Maler selbst nach seiner Haltung befragt - aber er wollte seine natürliche Stimme nicht im Rundfunk gesendet wissen.
Der 1967 in Dresden geborene Havekost gehört jenseits der flott vermarkteten "Leipziger Schule" zu den viel beachteten deutschen Gegenwartsmalern, seine Gemälde hängen in etlichen Sammlungen.
Bleibt die Frage nach der Tradition, in der er sich bewegt. Eine Großbank, die den produktiven und geschäftstüchtigen Künstler mit einem Stipendium unterstützt hatte, behauptet auf ihrer Internetseite, Havekost schließe in positivem Sinne an die gegenständliche Malerei der DDR an. Vielleicht aber hatten westliche Strömungen einen wesentlich größeren Einfluss auf sein Werk - wenngleich der Fotorealismus als Inspirationsquelle nicht in Frage kommt:
"Nein, auf keinen Fall - auch wenn das viele Leute erst mal denken, weil er so exakt abmalen kann. Es geht nicht darum, die Fotografie durch eine malerische Geste zu überbieten und durch Genauigkeit. Eine seiner Quellen sind sicherlich Künstler wie Gerhard Richter und Sigmar Polke, die sich mit der Manipulation des Medienmaterials befassen - auch wenn die Malweise z.B. von Polke anders ist. Aber der Ansatz hat mit ihm zu tun."
Kein Fotorealismus, eher schon "Photoshop"-Realismus, sagt man in Wolfsburg mit Blick auf die digitalen Bearbeitungskünste des Malers.
Hier im Museum sollen durch die nicht - chronologische Hängung "Denkräume" entstehen, so dass sich der Besucher in jedem Abschnitt neu vergewissern kann und muss, wie es der Künstler im Detail mit Wirklichkeit und Wahrnehmung hält.
"Harmonie", so ist diese Schau vieldeutig überschrieben, sie könnte nach dem Titel eines seiner Bilder auch "Benutzeroberfläche" heißen. Der Betrachter könne in diesen Gemälden eine unvermutete Tiefe entdecken, verspricht der Museumsprospekt. Die Oberfläche der gezeigten Dingwelt zu durchdringen, bleibt aber ein gehöriges Stück Arbeit. Ein "Sesam öffne Dich!" hilft da nicht weiter.
Service:
Die Ausstellung "Harmonie" mit Werken von Eberhard Havekost ist vom 5.11.2005 bis 19.02.2006 im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen.