Phoenix: "Ti Amo"

Sonnenschein-Pop in dunklen Zeiten

Die Band Phoenix bei einem Auftritt in London 2014. Von links nach rechts: Thomas Mars, Deck D Arcy, Christian Mazzalai.
Die Band Phoenix bei einem Auftritt in London 2014. © imago / Richard Isaac LNP
Von Kerstin Poppendieck · 09.06.2017
Das neue Album "Ti Amo" von Phoenix könnte die Fan-Gemeinde spalten. Die einen werden es als seichten Pop abtun. Die anderen werden es als genialen Streich feiern, als Reaktion auf eine politisch bedrückende Zeit. Auf jeden Fall lässt Phoenix mit dem neuen Album Sommergefühle aufkommen.
"Bei uns ist jedes neue Album auch eine Reaktion auf das Vorherige. 'Bankrupt' war eher düster und depressiv. Das Album jetzt ist ziemlich anders."
Ziemlich anders. Was Phoenix Bassist Deck D'Arcy da sagt, trifft es ziemlich gut. Mit "Ti Amo" liefert die Band ein Album, das in italienische Sommerstimmung bringt. Bei Songtiteln wie "Tuttifrutti", "Fior Di Latte" oder "Lovelife" denkt man doch automatisch an Urlaubsflirts und italienisches Eis. Und genau diese Kulisse hatte die Band bei den Aufnahmen auch im Hinterkopf, denn die beiden Brüder und Gitarristen der Band Christian Mazzalai und Laurent Brancowitz sind Halbitaliener und haben die Sommer ihrer Kindheit in Italien verbracht.

"Ein Blick auf das paradiesische Leben der Kindheit"

Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht, von wegen: Lasst uns doch mal ein Italodisco Album machen. Angefangen mit den Arbeiten am neuen Album haben Phoenix 2014. Wie in vielen anderen Ländern auch, war die Atmosphäre in Frankreich bestimmt von der Flüchtlingskrise, Rechtsextremismus und dem Anschlag auf das Bataclan im November 2015. Aber anstatt jetzt ein politisch motiviertes Album aufzunehmen, haben sich Phoenix ganz bewusst dagegen entschieden. Aber auch das ist ja ein Statement.
Ton Deck D'Arcy: "Wenn man traurig ist, will man eher fröhliche Musik machen – das ist doch naheliegend. Auch wir haben uns damals ziemlich unheimlich, schräg gefühlt, so wie alle anderen ja auch. So entstand diese Musik."
Christian Mazzalai: "Ganz Paris hat sich damals verändert. Wir haben diese Anspannung richtig gespürt. Tag und Nacht waren wir zu der Zeit im Studio, um unsere Gefühle zu verarbeiten. Die Musik auf dem neuen Album ist wie ein Blick auf das paradiesische Leben der Kindheit, wenn sich alles wie ein unbeschwerter, wunderschöner Sommer anfühlt."

Perfektionistisch und verspielt

Ganz offensichtlich war die italienische Kindheit der Brüder eine schöne. Fröhlicher Synthiepop, der an die Pet Shop Boys in den 80ern erinnert, energievoll-treibende Beats, die zum Tanzen animieren - unbeschwerte Indie-Disco Songs. Es ist wirklich spannend, zu verfolgen wie sich Phoenix seit ihrem Debütalbum vor 17 Jahren entwickelt haben. Von den teilweise brachialen Rock- und Britpop-Einflüssen ist kaum etwas übrig geblieben.
Perfektionistischer und gleichzeitig verspielter sind sie über die Jahre geworden. Experimentieren mit Samples und Effekten auf der Suche nach der nächsten noch kunstvolleren Komposition. Hört man die Songs einzeln und bewusst, sind sie außergewöhnlich und machen Spaß, wenn man zum Beispiel beim Song "Fior Di Latte" am Ende Schulglocken hört. Aber in der Summe ergeben die einzelnen Tracks dann doch eher einen musikalischen Brei – wenn auch perfekt arrangiert. Essentiell für den Klang ist für die Band, wo sie ein neues Album aufnehmen, erzählt Gitarrist Christian Mazzalai.

Essenz aus 70 Stunden Rohmaterial

"Der Ort, an dem wir arbeiten, ist Teil des Komponierens. Uns ist es wichtig, so künstlerisch frei wie möglich zu sein – auch im Kopf. Deshalb suchen wir uns immer einen neuen Ort, kaufen neue Instrumente und neue Aufnahmetechnik. Ein neuer Ort ist sehr wichtig für uns, denn wir wollen auf gar keinen Fall das Gefühl haben, in ein Büro zu gehen. So ist auch für uns jedes Album ein neues Abenteuer."
Diesmal haben sie in einem alten Opernhaus in der Innenstadt von Paris gearbeitet. Zweieinhalb Jahre haben die vier Bandmitglieder hier Songideen entwickelt, aufgenommen, verworfen und überarbeitet. An Ende standen sie vor den Mammutaufgaben, aus über 70 Stunden Rohmaterial ein Album mit elf Songs zu produzieren. Man hört Sänger Thomas Mars das erste Mal auf französisch singen, wenn auch nur kurz. Und wer genau hinhört, kann Fela Kuti auf diesem Album entdecken. Dessen Beat aus dem Titel "Expensive Shit" haben Phoenix in ihrem Song "Fleur De Lys" verarbeitet.
Deck D'Arcy: "Wir sind große Fans von Fela. Dieser Titel hat einen unglaublichen Gitarren Groove. Selbst die Harmonien sind einfach schräg. Wir haben versucht, sie auseinanderzunehmen, um sie selbst zu spielen, aber es ist so schwierig, das nachzuspielen."
Christian Mazzalai: "Fela Kuti ist sehr vielseitig in seinen Arrangements. Es wirkt erst einmal sehr einfach, aber wenn man versucht, sie zu analysieren, stellt man fest, dass höhere Mathematik dahinter steckt."
"Ti Amo" ist ein Album, das wahrscheinlich spalten wird. Die einen werden es als seichten und belanglosen Pop abtun, den die Welt nicht braucht, die anderen werden es als genialen Streich feiern in einer politisch bedrückenden Zeit. Auf jeden Fall bringen Phoenix mit ihrem neuen Album ein wetterunabhängiges Sommergefühl.

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