Philosophischer Wochenkommentar

Menschenverachtende Hetze darf nicht geehrt werden!

12.04.2018, Berlin: Kollegah (r) und Farid Bang erhalten den Echo für Album des Jahres bei der 27. Verleihung des Deutschen Musikpreises Echo. Die Rapper halten eine Karrikatur von Sänger Campino mit Heiligenschein hoch, welches sie versteigern wollen. Foto: Jörg Carstensen/dpa | Verwendung weltweit
Echo 2018 © Jörg Carstensen/dpa
Von Arnd Pollmann · 22.04.2018
Es sei beschämend genug, dass ein Album mit antisemitischen Inhalten mit einem "Echo" ausgezeichnet wurde – ausgerechnet am israelischen Holocaust-Gedenktag. Der Ethikrat des Preises hatte die Vergabe abgesegnet. Wer ist eigentlich dazu berechtigt, solche ethischen Expertisen zu erstellen? Das fragt Arnd Pollmann in seinem philosophischen Wochenkommentar.
Vor wenigen Monaten trat der Chef-Ethikberater der Trump-Regierung zurück, und man fragte sich unwillkürlich: "Hatte Trump denn einen? Einen Ethik-Berater?". Nötig hätte er ihn ja, wie ihm letzte Woche auch sein ehemaliger FBI-Chef, James Comey, bestätigte: "Ich glaube nicht, dass er medizinisch dazu unfähig ist. Ich denke, er ist moralisch nicht geeignet, Präsident zu sein." Doch wieder traut man seinen Ohren nicht: Ein FBI-Chef, verwickelt in Abhörskandale und Wahlkampfmanipulationen, gibt eine ethische Expertise ab?
Da kann man ja auch gleich einen Gangsta-Rapper zum Bundesbeauftragten für Antisemitismus ernennen – womit wir bei dem Aufreger der letzten Woche wären. Beschämend genug, dass die antisemitischen Deutsch-Rapper Kollegah und Farid Bang überhaupt einen "Echo" bekamen – ausgerechnet am israelischen Holocaust-Gedenktag. Zuvor jedoch hatte der Ethikbeirat des Verbandes der Musikindustrie dieser Ehrung ausdrücklich zugestimmt. Wer ist eigentlich dazu berechtigt, solche ethischen Expertisen zu erstellen? Braucht man dazu nicht vielleicht auch ein paar Fachkompetenzen?

Theorie der Praxis

Beginnen wir mit der denkbar grundlegenden Unterscheidung zwischen theoretischen und praktischen Problemen. Theoretische Probleme sind Probleme des Denkens: Man weiß nicht, wie man einen bestimmten Sachverhalt zu verstehen hat. Praktische Probleme hingegen sind Probleme des Handelns: Man weiß nicht, was man tun soll. Zum Beispiel: "Sollen wir diesen beiden Gangsta-Rappern tatsächlich einen Preis verleihen?".
Im Umgang mit derart praktischen Problemen gibt es allerdings einen Unterschied zwischen ethischen Laien und denen, die professionell Ethik betreiben. Denn Ethikerinnen fragen sich, was sie denken sollen über das, was andere tun. Sie haben also theoretische Probleme mit praktischen Problemen. Und es ist das oft jahrelange Training, die fachliche Ausbildung im Umgang mit diesen moralischen Meta-Problemen, die sie Laien voraushaben.

Denn sie wissen, was sie tun

Doch nicht nur das: Wer sich oft jahrelang mit moraltheoretischen Denkproblemen beschäftigt hat, wird in aller Regel auch gelernt haben, besser begründete Lösungen für moralische Alltagsprobleme zu finden. Man wägt dabei unterschiedlichste Begründungsansätze ab, kennt deren Für und Wider, weiß um die Eigenlogik des Moralischen gegenüber dem Recht, der Politik oder auch wirtschaftlichen Interessen.
Man kann dann zum Beispiel sehr wohl wissen und gut begründen, dass Antisemitismus am Holocausttag keine Frage des "Stils" ist und auch nicht unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fällt. Egal, ob man es tugendethisch, kantianisch, kontraktualistisch, utilitaristisch oder auch mitleidsethisch betrachtet: Menschenverachtende Hetze darf nicht geehrt werden! Und wenn man sich das vorher gut überlegt hat, braucht man sich hinterher auch nicht von seiner Entscheidung distanzieren.

Schuster, bleib’ bei deinem Leisten

Die gelegentlich auch in der eigenen Profession zu vernehmende Ansicht, dass Ethiker bei der konkreten Lösung moralischer Alltagsprobleme kein privilegiertes Wissen besitzen, ist abwegig oder zeugt von falscher Bescheidenheit. Die spiegelbildliche Behauptung, Ärztinnen, Juristen, Taxifahrerinnen oder auch Malermeister besäßen auf jeweils ihrem Gebiet auch nicht mehr Know-how als z.B. Ethikerinnen, mutet ja ebenso abstrus an. Umso absurder die institutionelle Zusammensetzung vieler wild zusammengewürfelter Ethikgremien; wie etwa im Fall des "Echo".
Selten sitzen dort ausgebildete Ethiker. Man trifft dort zwar regelmäßig auf honorige Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, meist auch auf Juristinnen, Mediziner, Theologinnen. Aber auf Fachleute? Sagen wir es so: Wenn ich Zahnschmerzen habe, gehe ich zu meiner Zahnärztin und nicht zu einem Heimwerker. Und wenn man ein moralisches Problem hat und Rat benötigt, dann sollte man sich ebenfalls in gut ausgebildete Hände begeben. Denn schlechter Rat ist – im Gegensatz zum guten – manchmal eben doch teuer.
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