Philosophischer Osterkommentar

Was heißt Auferstehung in der Philosophie?

03:57 Minuten
Eine Gravur aus dem 19. Jahrhundert zeigt den mythischen Vogel Phoenix.
Wie Phönix aus der Asche: So vermag auch das philosophische Denken sich mitunter über die Endlichkeit zu erheben. © picture-alliance / Costa / Leemage
von Andrea Roedig · 21.04.2019
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Die Philosophie trennt Fragen der Vernunft strikt von Fragen des Glaubens. Kann sie mit der Auferstehung, dem freudigsten Motiv des Christentums, also gar nichts anfangen? Ganz im Gegenteil, meint Andrea Roedig.
Ostern ist kein Fest für Philosophen. Auferstehung, Vergebung der Sünden, das ewige Leben: Zu groß sind diese Brocken, und egal, wie man es dreht und wendet, mit der Formel des christlichen Glaubensbekenntnisses – "am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel" – kann die Philosophie nichts anfangen. So spekulativ sie sich auch gebärden mag, sie bleibt verpflichtet aufs Irdische, auf die Grenzen der Vernunft, und sie kommt daher nicht weiter als bis zum Tod.

"Philosophieren heißt sterben lernen"

Der allerdings ist wirklich das große Thema der Philosophie. Erstaunlich ist wie oft der Tod durch die Ideengebäude geistert als die ultimativ radikale Frage, eng verknüpft mit der nach der Sinnhaftigkeit des Lebens. "Philosophieren heißt sterben lernen" ist ein geflügeltes Wort – der Gedanke findet sich schon bei Platon: Recht philosophieren heiße "leicht zu sterben", heißt es im Phaidon, der Schrift, an deren Ende Sokrates den tödlichen Schierlingsbecher nimmt.
Die antike Stoa beruhigt uns über den Tod, und Montaigne empfiehlt, ihm jederzeit ins Gesicht zu sehen: "Die Vorbereitung zum Tode ist die Vorbereitung zur Freiheit", schreibt er. Das Muster ist tiefgründig und simpel zugleich: Wir können die Angst vor dem Tod nur überwinden, indem wir ihm entgegen gehen, oder in Heideggers Worten: Das "Vorlaufen zum Tod" ist unsere "eigenste Möglichkeit".
Ist das wirklich alles? Hat die Philosophie nicht mehr zu bieten? Im Gegensatz zu den Mysterien des Glaubens, der frohen Botschaft der Erlösung, bleiben ihre Versprechen bei allem Pomp doch ziemlich mickrig. Die Philosophie, seitdem sie nicht mehr von Gott sprechen darf, bleibt ein Denken der Endlichkeit, vielleicht rührt daher auch diese gewisse Melancholie, die sie oft begleitet.

Über das Endliche hinaus denken

Aber es gibt doch einen Ausweg. "Wer die Menschen sterben lehrete, würde sie leben lehren", heißt es auch bei Montaigne. Dieser paradoxe Umschlag ins Gegenteil ist nicht nur eine rhetorische Figur. Er ist eine praktische Erfahrung: Die bewusste Beschäftigung mit der Sterblichkeit verwandelt uns, macht uns zu anderen Menschen, genauso wie die philosophische Praxis.
Sie transformiert unser Leben in etwas Geistiges; wer die Theorie liebt, mag das kennen: Im Nachdenken über die grundsätzlichen Themen der Existenz taucht etwas ganz anderes auf als das bloße Hier und Jetzt. Es scheint manchmal zu gelingen, innerhalb der Grenzen der Endlichkeit über diese hinaus zu denken: Diese Transformation ist sozusagen die Auferstehung der Philosophinnen und Philosophen.

Der spirituelle Funken der Erkenntnis

Ein bisschen klingt das nach Zauberkasten und nach theologischen Mucken. Aber wir dürfen diese Mucken nicht über Bord werfen. Ohne sie verkommt Philosophie in der Theorie zum dürren Rationalismus und in der Praxis zur faden Kalenderblattweisheit.
Philosophie muss das Wesentliche ergreifen, tief denken, und das heißt auch: metaphysische Fragen stellen. Sie kann, ja sie muss ohne Gott denken, aber nicht ohne den "göttlichen Eros" wie Platon es nennen würde, nicht ohne diesen im Grunde spirituellen Funken der Erkenntnis. Ohne ihn müsste die Philosophie tatsächlich beim Karfreitag stehen bleiben.

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" im Klever-Verlag.

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