Dialektik der politischen Empörung
Vor den Zwischenwahlen sind die USA tief gespalten - und nicht nur dort scheint die Empörung von links den rechten Demagogen in die Hände zu spielen. Warum ist das so? Peter Trawny sucht bei Hegel nach einer Antwort.
Zur Zeit wird die politische Stimmung in den USA häufig mit einem "Stammeskrieg" verglichen. Auf der einen Seite befindet sich eine weltoffene, liberale und emanzipatorische Gruppe von Menschen, die sich für Minderheiten- und Frauenrechte, gegen jede Form von Diskriminierung einsetzt. Auf der anderen Seite steht ein autoritärer, nationalistischer, antiliberaler Block, angeführt vom Präsidenten Donald Trump, der sich den emanzipatorischen Ideen des Gegners in den Weg stellt und die Liberalisierung vieler Lebensbereiche am liebsten rückgängig machen möchte. Was in den USA seit Trumps Wahlsieg geschieht, lässt sich ähnlich weltweit beobachten.
Widerstand als Wahlkampfhilfe
Bemerkenswert dabei ist, dass die Versuche des liberalen "Stammes", den Provokationen der Gegenseite etwas entgegenzusetzen, deren Anhängerschaft nur zu festigen scheint. Die erbitterten Proteste gegen Trumps Supreme-Court-Kandidaten Brett Kavanaugh haben dessen Unterstützer nur noch mehr zu ihm stehen lassen; die MeToo-Enthüllungen haben eine männliche Allergie gegen den Feminismus genährt; die EleNão-Bewegung in Brasilien, von Frauen gegen Bolsonaro, hat seine Wahl eher befördert. Überall scheinen die protestierenden liberalen Stimmen den Siegeszug der autoritären Populisten nur noch zu beflügeln – umso mehr, desto bitterer die Abgrenzung wird.
Warum ist das so? Weil politische Äußerungen eine dialektische Wirkung haben können. Dialektik ist ein philosophischer Begriff, der vor allem von Hegel verwendet wurde. Besonders bei ihm kann man sehen und lernen, dass ein Widerspruch keineswegs notwendig zu der Verneinung führt, die er beabsichtigt. Was heißt das? Wenn ich meinen Freund mit besten Argumenten dazu bringen möchte, weniger sein Auto und mehr die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen, könnte das seine negative Meinung vom Bus- und Bahnfahren so sehr bestätigen, dass er sogar noch häufiger Auto fahren wird als früher. Überhaupt könnte ihn meine Kritik so sehr abstoßen, dass er das Kritisierte noch stärker vertritt als er es ohnehin tat. Diese Reaktion scheint zwar unvernünftig zu sein — doch wer sagt, dass es zwischen Menschen, zumal in der Politik, vernünftig zugeht?
Es ist nun genau dieser Effekt, den sich die autoritären Populisten zu Nutze machen. Wütende Proteste gegen sie verfehlen ihre Absicht und schlagen in ihr Gegenteil um, weil sie unmittelbar ihre Anhängerschaft noch festigen und langfristig vielleicht vergrößern. Schließlich mag es niemand, ständig und mit Nachdruck auf seine möglichen Unzulänglichkeiten aufmerksam gemacht zu werden. Wenn es zuviel wird, wendet man sich denen zu, die die Unzulänglichkeit kurzerhand zur Stärke erklären.
Hilft rhetorische Enthaltsamkeit?
Noch fehlt die Strategie, die effektiv auf die populistische Steuerung der politischen Debatte zu reagieren vermag. In den anstehenden Midterms scheint vieles zumindest für einen neuerlichen Teil-Erfolg des Präsidenten zu sprechen. Wieder werden liberal gesinnte Geister ihren Unmut verkünden. Dabei könnte es vielleicht erst einmal klug sein, die antiliberalen Provokationen zu erkennen und nicht auf sie zu reagieren. Es wäre ganz im Sinne des dialektischen Verhältnisses politischer Positionen von einer Zukunft auszugehen, in der sich die Lage ändern wird. Dann wird der Populismus in seiner politischen Hohlheit auch für seine früheren Anhänger nicht mehr anziehend sein, und liberale Stimmen werden wieder mehr Vertrauen finden. Und wer weiß, vielleicht ist diese Zukunft näher, als wir denken.