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Johannes Kepler in Württemberg

06:22 Minuten
Blick auf einen Marktplatz auf dem ein großes Denkmal steht
In einem unscheinbaren Fachwerkhaus in Weil der Stadt wurde der berühmte Astronom Johannes Kepler 1571 geboren. © imago / Arnulf Hettrich
Von Gerd Michalek · 15.08.2021
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Ohne Johannes Kepler keine moderne Raumfahrt: Der Astronom entdeckte die elliptischen Planetenbahnen und revolutionierte das neuzeitliche Denken. Geboren ist Kepler 1571 im kleinen Ort Weil – welche Spuren finden sich dort heute von ihm?
Noch heute besitzt die württembergische Gemeinde Weil der Stadt – knapp 30 Kilometer westlich von Stuttgart – einen malerischen Stadtkern. Einige Fachwerkhäuser rund um den Marktplatz sind schon über 400 Jahre alt. Eins davon, etwas gedrungen und nur 80 Quadratmeter groß, liegt etwas versteckt am Rande des Platzes: die Keplergasse 2.
In dem bräunlichen Fachwerkhaus, dessen Holzdielen heftig knacken, soll am 27. Dezember 1571 im ersten Stock Deutschlands berühmtester Astronom zur Welt gekommen sein.

Geboren in schwierige Verhältnisse

Kaum zu glauben, sagt Wolfgang Pleithner, Direktor des hier ansässigen Keplermuseums: "Ist schon irgendwie faszinierend, ein kleines Fachwerkhaus an der Ecke und hier entsteht ein ganz großer Geist. Beim 'Keplerpreis' gab es mal ein schönes Preisausschreiben. Da hat ein Mädchen aus Prag geschrieben: ‚Man sagt: Solche Genies werden nicht auf der Erde geboren, sondern sie fallen von den Sternen. Und ein solcher Stern ist 1571 auf Weil der Stadt gefallen.‘ Wie kommt es dazu? ich weiß es nicht!"
Rätselhaft ist so einiges im Leben des großen Astronomen. Kepler kommt – noch dazu fehlsichtig – als schwächliches Siebenmonatskind zur Welt.
Familiär gesehen sind die Startchancen für den Denker der Weltharmonie alles andere als gut: Seine Eltern sind streitsüchtige und nachtragende Menschen.
Andererseits wächst der hochintelligente Johannes in einem für damalige Verhältnisse fortschrittlichen Bildungswesen auf, unterstreicht Hermann Faber, ehemaliger Direktor des Johannes-Kepler-Gymnasiums: "Mit Herzog Christoph wurde 1559 die große Schulreform eingeführt. Und die ermöglichte allen Kindern eine Grundausbildung, damals nannte man das die deutsche Schule, dass die Kinder Rechnen und Schreiben lernten. Das war sicherlich ein großes Privileg hier in Württemberg, dass es eine Schulbildung gab. Und auf die deutsche Schule baute sich die Lateinschule auf."

Kepler begründet das moderne Denken

Kepler besucht die Schule besucht im benachbarten Leonberg. Sowohl das dortige Wohnhaus der Familie als auch das Schulgebäude stehen hier bis heute am Marktplatz. Nachdem Kepler schließlich in Tübingen studiert hat, wirft er als Mittzwanziger Fragen auf, die das traditionelle mittelalterliche Denken weit hinter sich lassen.
"Das ist das eigentlich Faszinierende an Kepler, dass er aus einer Welt kam, die bis dahin nur zwei Quellen kannte: Was sagt die Bibel oder was sagt Aristoteles zu diesem oder dem Problem?", sagt Wolfgang Pleitner. "Er hat dann zum ersten Mal Naturwissenschaft betrieben in dem Sinne, wie wir es heute tun, nämlich, dass wir Beobachtungen machen und dann unsere Annahmen dann korrigieren. Das war neu."

Fiktive Reise auf den Mond

In Keplers Geburtsjahr ist die Reformation erst 54 Jahre alt. Je nach Landesfürst wird der Glaube in Mitteleuropa auf katholische oder protestantische Weise ausgelegt. Die Vorstellung, dass die Sonne – und nicht, wie traditionell gedacht, die Erde – der Mittelpunkt der Welt sei, ist bei Katholiken wie Protestanten immer noch verpönt. Kepler bekennt sich klar zu dem neuen kopernikanischen Weltbild.
Schwarzweiß Portrait von Johannes Kepler (Grafik)
Johannes Kepler besticht durch die Kombination von strenger Empirie und einem spekulativen Blick aufs Ganze.© picture alliance / Bildagentur-online / Sunny Celeste
Er versucht durch einen literarischen Kunstgriff die traditionelle Sichtweise der Menschen radikal zu hinterfragen, so Hermann Faber: "Dazu hat er einen Roman geschrieben, 'Somnium', er wurde 1634 posthum veröffentlicht. In diesem Roman unternimmt Kepler eine fiktive Reise von der Erde auf den Mond und macht den Menschen damit bewusst: Wie ist es eigentlich, wenn wir auf dem Mond sind und betrachten die Erde und das Planetensystem, was sagen denn die Mondbewohner? 'Wir ruhen, wir stehen im Zentrum und alles dreht sich um uns.' Es war also eine sehr kluge und raffinierte Weise, den Menschen die Subjektivität der Betrachtung des Universums deutlich zu machen."

Ohne Kepler keine Raumfahrt

Ein weiteres Faszinosum an Kepler, der seine württembergische Heimat bald verlässt, um in Prag Weltgeschichte zu schreiben, ist die Mischung aus strenger Empirie und spekulativem Blick aufs Ganze. Schließlich entdeckt er – dank der Beobachtungsdaten seines Lehrmeisters am Kaiserhof in Prag, Tycho Brahe – die elliptische Form der Planetenbahnen, und er wird zum Vordenker dessen, was Newton später Gravitationskraft nennen wird.
Kepler ist damit einer der ersten modernen Forscher, auf dessen Schultern übrigens heute sämtliche NASA-Projekte ruhten, so Wolfgang Pleitner: "Im All sitzt immer Kepler am Steuer! Im antriebslosen Zustand gehorcht das alles den Keplergesetzen, die ganze Raumfahrt. Die Internationale Raumstation, die in 92 Minuten um die Erde kreist, befindet sich auf einer Keplerbahn. Auch die ganzen Satellitenbahnen werden heute mit Keplerbahnelementen beschrieben, er hat das in die Welt gesetzt."
Wie stark Mitteleuropa vor 400 Jahren zugleich noch dem Aberglauben verhaftet ist, wird gerade am Schicksal von Familie Kepler deutlich. Als Kepler bereits als kaiserlicher Astronom etabliert ist, gerät seine Mutter in Leonberg ins Fadenkreuz der Hexenjagd. Selbst nach 14-monatiger Haft bleibt Katharina Kepler im Angesicht der Folterwerkzeuge standhaft. Weil sich ihr Sohn Johannes mit langem Atem für sie einsetzt, endet der Prozess im Oktober 1621 – vor genau 400 Jahren – mit einem Freispruch.
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