Philosophische Flaschenpost

Adorno und die Dialektik des Fortschritts

03:48 Minuten
Die Aufnahme von 1958 zeigt den Philosophen Theodor W. Adorno mit hinter dem Rücken verschränkten Händen neben seinem Schreibtisch stehend.
Kritiker des Fortschrittsoptimismus': der Philosoph Theodor W. Adorno. © picture-alliance / brandstaetter images / Franz Hubmann
Von Armen Avanessian · 24.01.2021
Audio herunterladen
Wenn es keine Idee des Fortschritts gibt, kann auch keiner walten. Trotzdem sah Adorno im westlichen Fortschrittsglauben eine große zivilisatorische Gefahr. Seine Mahnungen könnten aktueller kaum sein, meint der Philosoph Armen Avanessian.
"Der Fortschritt ereignet sich dort, wo er endet." – Mit dieser Sentenz wendet sich Theodor W. Adorno in den 1960er-Jahren gegen einen naiven Fortschrittsoptimismus. Adorno gehörte zu den Gründern der Frankfurter Schule, einer Gruppe von Philosophen und Sozialwissenschaftlern, die im 20. Jahrhundert an die Werke von Hegel, Marx und Freud anschließend, das Fundament der Kritischen Theorie legten. Seither wird sie seit mehreren Generationen fortgeschrieben.

Der Mythos vom Heil bringenden Fortschritt

Adorno gehe von einer Dialektik des Fortschritts aus, erklärt der Philosoph Armen Avanessian: Adorno sehe im abendländischen Denken einen naiven Glauben an die Wohltaten des Fortschritts angelegt. Fortschritt werde hier vor allem als Aneignung und Beherrschung der Natur verstanden, durch die sich die Menschheit zunehmend von Zwängen und Mühsal befreit.
Dieser unkritische Fortschrittsoptimismus drohe, in Adornos Augen, seinerseits in archaische, gewalttätige und gar faschistische Gesellschaftsordnungen umzuschlagen. Trotzdem müssten wir an einer Vorstellung des Fortschritts festhalten, war Adorno überzeugt, um emanzipative Ideen und Bewegungen entwickeln und vorantreiben zu können.
Porträt: Armen Avanessian vor einer Bücherwand, aufgenommen 2014
Der österreichische Philosoph, Literaturwissenschaftler und Theoretiker Armen Avanessian© Armen Avanessian / Magdalena Lepka
Adornos Thesen können uns heute dabei helfen, so Armen Avanessian, "gegen jene falsche Gleichung anzudenken, die Fortschritt mit der Moderne identifiziert, ihn mit dem Kapitalismus und ungehemmtem Wachstum gleichsetzt – durchgesetzt auf Kosten der Umwelt und des globalen Südens".

Fortschritt mit Hilfe des Fortschritts zähmen

Den Verwüstungen, die der Fortschritt zum Beispiel in Form der Naturzerstörungen anrichte, könne man – so interpretiert Avanessian – heute nur mit den Mitteln des Fortschritts selbst begegnen. Dazu dürften wir aber weder einem unkritischen Technologie-Glauben aufsitzen, noch der Vorstellung erliegen, wir könnten zu einem ursprünglichen und ungeschiedenen Zustand des gesellschaftlichen und ökologischen Friedens zurückkehren.

Adorno, Theodor W.: "Fortschritt" (1962)
In: ders.: Stichworte. Kritische Modelle 2
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1969

Mehr zum Thema