Philosophin Chantal Mouffe

"Es braucht einen linken Populismus"

30:47 Minuten
Porträt der belgischen Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe vor einem Fenster.
Die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe: "Die nationale Dimension spielt durchaus eine Rolle." © picture alliance / Scanpix Denmark / Kristine Kiilerich
Chantal Mouffe im Gespräch mit Christian Möller · 07.10.2018
Audio herunterladen
Populismus kommt gut an: Laut einer Bertelsmann-Studie teilt fast jeder dritte deutsche Wahlberechtigte populistische Positionen. Ein Krisensymptom der Demokratie? Keineswegs, sagt Chantal Mouffe: Sie plädiert für einen linken Populismus.
"Populismus" gilt im politischen Diskurs gemeinhin als Schimpfwort. "Populisten", so werden grobe Vereinfacher und rücksichtslose Stimmungsmacher genannt, die Menschen hinter sich versammeln, indem sie Ängste schüren und Wut kanalisieren: gegen Fremde, gegen Andersdenkende oder gegen "die da oben". Aber dieses Verständnis greife zu kurz, sagt Chantal Mouffe, die an der University of Westminster zu politischer Theorie lehrt und forscht.

Populismus ist keine Ideologie

Anders als in den USA oder in Lateinamerika werde der Begriff "Populismus" in Europa häufig verwendet, "um Ansichten, die gegen den dominanten Konsens gerichtet sind, zu stigmatisieren", sagt sie. Wer der aktuellen "neoliberalen Hegemonie" kritisch gegenüberstehe, müsse damit rechnen, als "Antidemokrat" oder als "Populist" bezeichnet zu werden, unabhängig davon, ob er mit seiner Kritik politisch von links oder rechts komme. Der Populismus selbst sei weder rechts noch links zu verorten, betont Mouffe. Er sei keine Ideologie, sondern vielmehr eine Methode:
"Populismus ist eine Strategie der Konstruktion politischer Grenzlinien. Politik betrifft kollektive Identitäten, die von uns selbst geschaffen worden sind. Um nun 'uns' zu definieren, muss man ebenso ein 'sie' kreieren. Der Marxismus zieht die Trennlinie zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie. Der populistische Ansatz sagt: Die Trennung verläuft zwischen dem Volk und dem Establishment, uns hier unten und euch da oben sozusagen."

Konflikt statt Konsens

Ohne den Gegensatz 'wir' gegen 'sie' ist das Politische für Chantal Mouffe gar nicht denkbar. "Wenn es keine Konflikte gäbe, bräuchten wir keine Politik", sagt sie, "dann würde eine Verwaltung ausreichen." Demokratie bewährt sich nach ihrer Auffassung nicht dort, wo es darum geht, einen Konsens auszuhandeln, sondern im Umgang mit "antagonistischen Konflikten", für die es keine rationale Lösung gebe, da unvereinbare Interessen aufeinanderprallen:
"Darum ist Politik immer parteilich, man muss Stellung beziehen, für die eine Seite oder die andere. Das Ziel der Demokratie muss sein, zu fragen, wie wir mit dem Dissens umgehen, wie wir ihn organisieren, wie wir Institutionen schaffen können, die uns ermöglichen, zusammen zu leben, ohne uns gegenseitig zu bekriegen."

Wer ist das Volk?

Rechter und linker Populismus unterscheiden sich für Mouffe jedoch darin, wie sie das 'wir' und das 'sie', das 'Volk' und seine 'Gegner' definieren:
"Man kann den Begriff des Volkes und des 'wir' ja sehr unterschiedlich interpretieren. Der rechte Populismus konstruiert das 'Volk' meist ethno-nationalistisch. Das 'sie' sind dann meist die Immigranten. Im linken Populismus wird das Volk nicht in nationalistischen Begrifflichkeiten definiert, sondern als die Gesamtheit der Bevölkerung mit ihren demokratischen Forderungen. Dieser Perspektive zufolge entspricht der Gegner des Volkes den Kräften der neoliberalen Globalisierung, die die Grundlage für das liefern, was ich als post-demokratische Situation bezeichne."

Gemeinsam gegen die neoliberale Hegemonie

Linker Populismus schmiedet nach Mouffes Vorstellung progressive Allianzen, in denen die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen sich gegen gemeinsame Gegner verbünden: "die großen Konzerne und die Mächte, die die Struktur des Neoliberalismus konstituieren." Die verschiedenen Interessen dieser Gruppen zu bündeln, sei die zentrale Herausforderung eines Populismus von links:
"Linker Populismus formuliert auch Forderungen gegen Rassismus und setzt sich für feministische und ökologische Ziele ein. Man sieht also, dass es sich bei der Strategie des linken Populismus um sehr heterogene Anliegen handelt. Man muss eine Solidarität unter all diesen verschiedenen Gruppen herstellen. Was diese Gruppen gemeinsam haben, ist, dass die alle für eine Wiederherstellung und Vertiefung, also eine Radikalisierung der Demokratie kämpfen."

Plädoyer für einen linken Patriotismus

Dabei sollten linke Bewegungen jedoch nicht unterschätzen, welche Bedeutung das Gefühl der Verbundenheit zu einer Nation und einer Kultur als gemeinschaftsstiftende Kraft entfalten kann, meint Mouffe:
"Die nationale Dimension spielt durchaus eine Rolle, vor allem bezüglich der affektiven Haltungen. Der Affekt ist etwas, was die Linke, die zu rationalistisch ist, oft ausblendet. Das Gefühl, zu einem Land zu gehören, kann für manche Menschen sehr stark sein. Das kann man mögen oder auch nicht, aber man kann es nicht leugnen. Ich glaube, es braucht einen linken Patriotismus, um zu verhindern, dass eine nationale Form der Identifizierung auf rechte, fremdenfeindliche Art zustande kommt."

Wie aber verhindert man, dass sich im Streit "Wir" gegen "Sie" derart die Emotionen aufschaukeln, dass sich Zorn und Empörung gegen Sündenböcke richten?
Was wäre eine linke Alternative zur rechten Freund-Feind-Logik?
Wirkt Populismus, egal ob von rechts oder von links, einer demokratischen Streitkultur nicht zwangsläufig entgegen?

Auch darüber haben wir mit Chantal Mouffe diskutiert.

Das Buch zum Thema:

Chantal Mouffe: Für einen linken Populismus
Aus dem Englischen von Richard Barth
Suhrkamp, Berlin 2018
111 Seiten, 14 Euro

Mehr zum Thema