Philosophie

Vater der sprachkritischen Wende

Schwarz-Weiß-Aufnahme von Ludwig Wittgenstein, vor einer zerkratzten Wand stehen.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1947 © picture alliance / dpa / Wittgenstein Archive Cambridge
Von Hans Martin Lohmann · 26.04.2014
Ludwig Wittgenstein war eigentlich Maschinenbauingenieur. Erst nach seinem Studium widmete er sich der Philosophie. Er gilt als der Vater der sogenannten sprachkritischen Wende und meinte: Alle Philosophie ist Sprachkritik.
Das vielleicht berühmteste Zitat eines Philosophen des 20. Jahrhunderts stammt von Ludwig Wittgenstein:
"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen."
Der Satz klingt so kategorisch und absolut, wie es das ganze Leben dieses Denkers war.
Ludwig Josef Johann Wittgenstein, geboren am 26. April 1889 in Wien, entstammte einer jüdisch-österreichischen Familie von Stahlindustriellen, die zu den angesehensten der Wiener Gesellschaft gehörte. Dank der musisch orientierten Mutter verkehrten im Hause Wittgenstein berühmte Künstler wie Clara Schumann, Gustav Mahler, Johannes Brahms und Richard Strauss.
Indes wählte Ludwig Wittgenstein das technische Fach. 1908 erwarb er in Berlin das Diplom als Maschinenbauingenieur. Noch im selben Jahr ging er nach England, wo er sich in Manchester im Rahmen aeronautischer Forschungen mit dem Bau eines Flugzeugmotors und mit Flugzeugpropellern beschäftigte. Wittgensteins abrupte Hinwendung zur Philosophie, vermutlich auf Anregung des Mathematikers und Logikers Gottlob Frege, führte ihn zwischen 1911 und 1913 ans Trinity College in Cambridge, der Wirkungsstätte des Philosophen Bertrand Russell. Der begegnete dem genialisch, aber unsicher wirkenden jungen Mann zunächst mit Skepsis:
"Er war ein merkwürdiger Mensch, dessen Einfälle mir verschroben vorkamen, sodass es mir ein ganzes Trimester lang nicht klar wurde, ob er ein Genie war oder nur ein Sonderling."
Neigung zum Mystischen
Freilich erkannte Russell bald Wittgensteins außerordentliche intellektuelle Potenzen und ließ ihm jedwede Förderung zukommen. Der berühmte Ökonom John Maynard Keynes, ebenfalls in Cambridge verkehrend, sah in Wittgensteins frühen philosophischen Übungen ein Denken am Werk, das die Welt auf die Kälte purer Logik reduziert. Konträr dazu, oder vielleicht auch komplementär, entwickelte der Philosoph, beeinflusst durch Tolstoi und Kierkegaard, eine ausgesprochene Neigung zum Mystischen.
Nach Aufenthalten in Norwegen und Österreich und dem Militärdienst im Ersten Weltkrieg veröffentlichte Wittgenstein 1921 seine "Logisch-philosophische Abhandlung", besser bekannt unter dem lateinischen Titel "Tractatus logico-philosophicus" - seine einzige Buchveröffentlichung zu Lebzeiten.
Es passt zum Bild Wittgensteins, zu seinem Hang zum Asketisch-Mönchischen, dass er sein nicht unbeträchtliches Erbe verschenkte und sich als Dorfschullehrer in Österreich betätigte, ehe er Ende der Zwanzigerjahre endgültig nach Cambridge zurückkehrte, um sich ganz der Philosophie zu widmen. Wittgenstein gilt als Vater des sogenannten linguistic turn, der "sprachkritischen Wende" in der Philosophie des 20. Jahrhunderts. Im "Tractatus" heißt es ebenso lakonisch wie autoritär:
"Alle Philosophie ist 'Sprachkritik'."
Und:
"Der Satz ist ein Bild der Wirklichkeit."
In der Spätphase rückt er von radikalen Positionen ab
Ziel der philosophischen Analyse, die sich als eine Art Abbildtheorie der Sprache ausweist, ist es, die Unterscheidung von sinnvollen und unsinnigen Sätzen durch die Klärung der Funktionsweise von Sprache zu leisten. Die meisten Aussagen über philosophische Fragen sind laut Wittgenstein nicht falsch, sondern schlicht unsinnig.
In der Spätphase seines Denkens rückte der 1951 in Cambridge gestorbene Philosoph mehr und mehr von dieser radikalen Position ab. Man kann es als pragmatische Wende seiner Sprachphilosophie bezeichnen, wenn er an die Stelle der strikten "Logik" nunmehr die "Grammatik" der Sprache setzt. In den erst postum veröffentlichten Philosophischen Untersuchungen schreibt er:
"Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache."
Das heißt: Der Sinn von Sätzen zeigt sich im Kontext von Lebensformen und den darin praktizierten, sogenannten Sprachspielen. Letztere funktionieren nicht nach logischen Kriterien, vielmehr nach situativer Stimmigkeit und Angemessenheit. Hier geht es Wittgenstein um das, was wir Normal- oder Alltagssprache nennen.
Seine Sprachphilosophie ist für die Philosophie der Gegenwart nach wie vor von Belang. Der Philosoph Dieter Birnbacher über das Werk Ludwig Wittgensteins:
"Es fällt aus dem Rahmen. Es ist viel interessanter als gelehrte Abhandlungen, die um dieselbe Zeit entstanden - sind (es) schon durch seinen sehr poetischen Stil, sie sind aber vor allen Dingen eine Fundgrube für eine Fülle von inhaltlichen Einsichten in die Struktur unseres Weltverständnisses und in die Grundlagen der, mit Wittgenstein gesprochen, Sprachspiele, die wir in den unterschiedlichsten Bereichen spielen."