Philosoph Christoph Türcke

"Flüchtige Bezahlung fördert den Leichtsinn"

Eine Frau zeigt ein Smartphone mit der App MyWallet neben einem Empfangsgerät an der Kasse eines Restaurants.
Kontaktlos bezahlen mit dem Smartphone: Eine Frau zeigt die App MyWallet neben einem Empfangsgerät an der Kasse eines Restaurants. © dpa / picture alliance / Oliver Berg
Christoph Türcke im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 17.07.2015
Vor einer "neuen Gnadenlosigkeit" des Bezahlens warnt der Philosoph Christoph Türcke in der Debatte um die Abschaffung von Bargeld. Er fordert, den Kulturwandel mit Besonnenheit zu bremsen und gerade Kindern den haptischen Umgang mit Geld nicht zu nehmen.
Es könne klug sein, ein nahes Verhältnis zum Geld zu behalten, sagte der emeritierte Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, Christoph Türcke im Deutschlandradio Kultur. Das Bezahlen habe neben der technischen auch eine psychologische Seite. "Je flüchtiger die Bezahlung wird, je weniger man das noch merkt, dass man da bezahlt, desto leichtsinniger werden die Menschen", sagte Türcke. "Damit verlieren sie unter Umständen ein Verhältnis zum Bezahlen, was sie vorher noch hatten."
Kulturwandel des Bezahlens ist längst eingetreten
Der Philosoph sagte, es sei ein entscheidender Unterschied, ob es die Möglichkeit gebe, bargeldlos zu bezahlen oder ob man dazu gezwungen sei. Ein Kulturwandel des Bezahlens sei längst eingetreten. "Es ist nur die Frage, ob man ihn noch eigens beschleunigt oder ob man ihn in bisschen zugunsten einer gewissen Besonnenheit bremst", sagte er. Wenn dem Kunden dadurch Möglichkeiten genommen würden und er gezwungen werde bei jedem Bezahlen elektronische Spuren zu hinterlassen, dann handele es sich um eine andere Qualität. "Mit der zwanghaften Verflüchtigung ins pure elektronische Bezahlen bekommt das Bezahlen oder der Umgang mit Geld auch eine neue Gnadenlosigkeit." Es sei nicht mehr möglich, einem Bettler ein paar Geldstücke zuzustecken.
Pädagogische Bedeutung des Bargeldes
Türcke wies auch darauf hin, dass Kinder den Umgang mit Geld zunächst einmal lernen müssten. "Sie lernen das am besten, wenn sie Geld begreifen und zwar auch haptisch", sagte Türcke. Es sei wichtig, dass sie etwas anfassen könnten. "Wenn das nicht mehr da ist, dann wird das Verhältnis für die Kinder zum Geld immer schwieriger und immer abstrakter." Deshalb sei schon aus pädagogischen Gründen die Option auf Bargeld eine relativ wichtige Angelegenheit.

Das Interview im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: Wie zahlen Sie am liebsten? Noch immer mit Bargeld oder lieber mit Karte? Oder eigentlich am allerliebsten sowieso nicht mehr direkt, sondern über Systeme wie PayPal, wenn Sie zum Beispiel per App Ihr Taxi bestellt haben und dann gar nicht mehr das Portemonnaie zücken müssen? Wie auch immer Sie es halten, der Trend ist klar: Bargeldlos ist die Zukunft. Dazu passt eine Nachricht, die eigentlich eine nicht so spannende Börsennachricht sein könnte, dass nämlich der genannte größte Anbieter PayPal heute von der Mutter, von eBay abgespalten wird. Eine Nachricht, die aber zeigt: Der Markt um unser Geld ist umkämpft.
Nichts ist so anonym wie das Bargeld! Wir wollen reden über Geld und wir tun das mit einem Mann, der erst vor Kurzem ein Buch über die Philosophie des Geldes geschrieben hat, Christoph Türcke, emeritierter Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Ich grüße Sie, guten Morgen!
Christoph Türcke: Einen schönen guten Morgen!
Frenzel: Das klingt ja erst mal nicht so revolutionär, die Deutschen zahlen am liebsten mit Bargeld nach wie vor. Haben wir ein besonders inniges Verhältnis, ein innigeres als andere zum altmodischen Geld?
Türcke: Das scheint dann so zu sein, wenn die Statistik das also herausgebracht hat. Aber das muss ja kein Schade sein. In dem Fall kann ja konservativ auch, sagen wir mal, ganz klug sein. Denn man behält damit ein gewisses Nahverhältnis zum Geld, was einem andernfalls unter Umständen verloren gehen kann. Also, das Bezahlen hat ja nicht nur eine technische Seite, die dann weniger oder mehr umständlich ist.
Und Ihr schöner Bericht eben hat gezeigt, es ist manchmal umständlicher, wenn man es hoch technologisch macht. Sondern die ganze Sache hat natürlich auch eine psychologische Seite. Und da ist es immer so, dass, je flüchtiger die Bezahlung wird, je weniger man das noch merkt, dass man da bezahlt, desto leichtsinniger werden die Menschen auch. Und damit verlieren sie unter Umständen ein Verhältnis zum Bezahlen, was sie vorher noch hatten.
Möglichkeit oder Zwang?
Frenzel: Sie sagen, es ist im Moment noch kompliziert, aber es wird immer einfacher. Also, wenn man dann einfach mit seiner Uhr an der Kasse im Supermarkt vorbeigeht, das lästige Warten viel kürzer wird, glauben Sie denn, dass das perspektivisch dazu führen wird, dass wir Geld in Form von Münzen oder Scheinen gar nicht mehr haben werden?
Türcke: Jedenfalls gibt es einige Initiativen, die das wollen und genau diesen technischen, diesen praktischen, diesen beschleunigenden Aspekt da mit reinbringen. Und ich sehe natürlich auch, wenn die Schlange kürzer wird im Supermarkt, das gefällt mir, das ist praktisch. Aber es ist ein entscheidender Unterschied, ob man die Option hat, bargeldlos zu bezahlen, oder ob aus dieser Option ein Zwang wird, weil man gar nichts anderes mehr kann und nichts anderes mehr darf. Und da kriegt die Sache in der Tat eine neue Zwanghaftigkeit. Ob die Daten, die man dann im Netz hinterlässt, missbraucht werden oder nicht, ist noch mal eine zweite Frage. Aber man hinterlässt dann ...
Frenzel: Hier geht es ja vor allem um den Kulturwandel, das verstehe ich da richtig, dass es einen Kulturwandel des Bezahlens mit sich bringen würde?
Türcke: Ja, natürlich, den haben wir längst, der ist eingeleitet. Und es ist nur die Frage, ob man ihn noch eigens beschleunigt oder ob man ihn vielleicht ein bisschen zugunsten einer gewissen Besonnenheit bremst. Also, wenn ich überhaupt gar keine andere Möglichkeit mehr habe als elektronisch zu bezahlen, dann ist es eben etwas anderes, als wenn ich das tun darf. Und wenn mir dadurch Möglichkeiten genommen werden und auf der anderen Seite ich gezwungen werde, bei jedem Bezahlen elektronische Spuren zu hinterlassen, dann ist das auch eine andere Qualität.
Und lassen Sie mich noch einen Gesichtspunkt anführen: Ich würde sagen, mit der Verflüchtigung, mit der zwanghaften Verflüchtigung ins pure elektronische Bezahlen bekommt das Bezahlen auch ... oder der Umgang mit Geld auch eine neue Gnadenlosigkeit. Was meine ich damit?
Frenzel: Das müssen Sie erklären!
Kapitalistischer Bezahlen?
Türcke: Das heißt zum Beispiel, ich kann nicht mehr ein paar Münzen aus der Tasche ziehen und jemandem, der mich anbettelt, was geben. Ich kann die kleine, milde Gabe aus dem Portemonnaie, die kann ich nicht mehr machen!Frenzel: Ich könnte mir vorstellen, dass es da vielleicht auch eines Tages eine App gibt, wo man dann einfach sagen kann, 20 Cent an den Menschen, der dort sitzt! Aber ich versuche es gerade noch mal positiv zu sehen: Man könnte ja auch sagen, wir verändern unser Verhältnis auch zum Materiellen. Also, indem wir Dinge nicht mehr ganz konkret direkt gefühlt bezahlen, verändern wir die Wertschätzung dafür und sind vielleicht nicht mehr so kapitalistisch-minded!
Türcke: Im Gegenteil! Wir sind umso kapitalistischer, indem wir das tun. Sozusagen wir suggerieren uns wechselseitig: Bezahlen kostet nichts! Und denken Sie noch an etwas anderes, denken Sie an Kinder! Kinder müssen lernen, mit Geld umzugehen. Und sie lernen das am besten, wenn sie Geld begreifen, und zwar auch haptisch. Wenn da noch irgendetwas ist, was sie anfassen können. Wenn das nicht mehr da ist, dann wird das Verhältnis für die Kinder zum Geld immer schwieriger und immer abstrakter. Und insofern schon aus pädagogischen Gründen ist die Option für Bargeld meines Erachtens eine relativ wichtige Angelegenheit.
Frenzel: Das sagt und fordert Christoph Türcke, emeritierter Professor für Philosophie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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