Philosoph Christian Neuhäuser

Reichtum beruht nie nur auf Leistung

27:27 Minuten
Christian Neuhäuser auf dem blauen Sofa.
Der Philosoph Christian Neuhäuser findet, dass Reichtum ein moralisches Problem ist. © Deutschlandradio/ David Kohlruss
Moderation: Thorsten Jantschek · 17.10.2019
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Reichtum ist dann gerechtfertigt, wenn er erarbeitet wurde - so denken viele. Aber das ist in den Augen des Philosophen Christian Neuhäuser eine Fiktion: Reich werde man nie allein durch Leistung, es müssten drei Glücksfaktoren hinzukommen.
"Ich habe mir mein Geld hart erarbeitet" - dieses Argument kommt häufig in Diskussionen über Reichtum, Armut und soziale Ungleichheit.
Moralisch gerechtfertigt scheint Reichtum in den Augen vieler also vor allem dann zu sein, wenn er allein auf eigener Leistung beruht. Das ist Christian Neuhäuser zufolge, Professor für Praktische Philosophie in Dortmund, aber eine Fiktion. "Ich will nicht sagen, dass Leistung keine Rolle spielt, aber er beruht nie nur auf eigener Leistung", sagt er.

Die drei Glücksfaktoren des Reichtums

Denn um reich zu werden, müssten drei Glücksfaktoren hinzukommen. Zunächst der genetische Glücksfaktor: "Wir haben bestimmte Talente, die wir mitbekommen – sportlich sein, musikalisch, mathematisches Verständnis, solche Sachen – die haben wir uns nicht verdient", so Neuhäuser. Immerhin komme etwa durch Fleiß dann doch ein Verdienstanteil hinzu.
Zweiter Glücksfaktor ist dem Philosophen zufolge der soziale Hintergrund: "Von Leuten, wo die Eltern nicht studiert haben, promoviert einer von hundert, von Leuten, wo die Eltern studiert haben, zehn von 100. Und ProfessorInnen, wo die Eltern nicht studiert haben, gibt es quasi nicht."
Und dann kommt noch ein dritter Faktor hinzu: "Strukturelle Verhältnisse, die dafür sorgen, dass es so was gibt wie quasi-natürliche Monopole, Winner-Takes-It-All-Ökonomien". Dieses Winner-Takes-It-All-Prinzip besagt, dass Leistung, Qualität und Talent sich nicht im gleichen Verhältnis in Erfolg und Rendite widerspiegeln, sondern dass sich der Erfolg auf wenige "Superstars" konzentriert.

Der Buchmarkt als "Winner-Takes-It-All"-Ökonomie

Auch der Buchmarkt sei so strukturiert: "Es gibt viele ganz tolle Bücher, und dann ist es so, dass in der Aufmerksamkeitsökonomie bestimmte Bücher nach ganz oben gespielt werden", sagt Neuhäuser. "Und dann sehen das Leute und man wird weiter eingeladen, es gibt so eine Spirale." An deren Anfang ein Zufall gestanden hätte, so der Philosoph mit Blick auf die Harry-Potter-Romane, die die Autorin Joanne K. Rowling zur Multimillionärin gemacht haben:
"Ich will nicht sagen, dass die Harry-Potter-Bücher schlecht sind, die sind toll! Aber es gibt auch viele andere tolle Bücher, die diesen Glücksfaktor nicht zusätzlich hatten."
Stattdessen sollte sich das, was man bekomme, an drei Faktoren orientieren: "Die Bedürfnisse müssen befriedigt sein, die eigene Leistung sollte honoriert werden und dann gibt es immer einen Erfolgsfaktor, von dem ich meine, der sollte auch in der Wirtschaft eine Rolle spielen." Doch dieser Erfolg müsse im Verhältnis zu Leistung und zu den Bedürfnissen stehen:
"Und da wäre meine These, dass das in den The-Winner-Takes-It-All-Ökonomien nicht mehr der Fall ist, und das betrifft zum Beispiel ganz stark die Digitalwirtschaft. Also Jeff Bezos mit diesen 136 Milliarden, der war halt mit Amazon ein bisschen schneller als die anderen. Glück gehabt."
(uko)

Christian Neuhäuser: "Wie reich darf man sein? Über Gier, Neid und Gerechtigkeit"
Reclam Verlag 2019
89 Seiten, 6 Euro

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