Philosoph Bazon Brock

"Lustmarsch" mit Hindernissen durch Marzahn

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Philosoph, Kulturvermittler und künstlerischer Tausendsassa: Bazon Brock © picture alliance / dpa / Horst Ossinger
Von Gerd Brendel · 15.06.2015
Der Philosoph Bazon Brock hatte zu einem "Lustmarsch" durch Marzahn geladen, und Gerd Brendel marschierte mit. Seine anfängliche Lust auf Brocks "künstlerische Interventionen" fand allerdings ein jähes Ende.
Marzahn am Sonntagnachmittag. Wie ausgestorben liegt die Fußgängerzone. Die Sonne spiegelt sich in den Plattenbaufassaden. Vor dem "Italiener" an der Ecke wartet ein Kellner auf Gäste. Nur vor der Stadtteil-Galerie "M" haben sich zwei Dutzend Kunst Interessierte um einen älteren Herrn mit vollem weißen Haar versammelt.
"Knobloch, frag' mal, wer mitgehen will? Wir gehen alle mit."
Alle gehen mit beim "Lustmarsch" – Bazon Brock vorneweg. Zusammen mit dem Künstler Joachim Knobloch hat der Fluxus-Veteran, emeritierter Professor für Ästhetik und Kunstvermittlung und seit einem halben Jahr Professor für Prophetie, eine künstlerische Intervention ausgeheckt, die es jetzt zu erwandern gilt.
"Wer hier herumläuft, sieht eigentlich nur eine von jedermann als inhuman eingestufte Architektur, also Plattenbau. Hier ist nichts."
Selbst die sonst allgegenwärtigen Plakatwände mit Reklame fehlen, weswegen den Lustmarschierern wie den Marzahnern nichts anderes übrig bleibt, als ...
" ... permanent die Leere mit eigenen Gedanken, Vorstellungen zu füllen. Ihm wird ja nichts vorneweg vorgeschrieben, durch die Fassaden, durch die aufgestellten Objekte, was er zu denken und zu fühlen hat, dass er großartig, teuer oder was immer sagen muss, sondern hier ist nichts, und darum muss er selbst sich aktivieren als Denker."
Künstlerische Intervention mit Spruchbändern und Absperrgittern
In diesem "leeren" Raum auf Plätzen zwischen Hochhäusern und auf Grünflächen haben Brock und Joachim Knobloch an die 50 Absperrgitter mit Spruchbänder aufgestellt.
"Unser Anliegen war es, Texte zu entwickeln, die keine Handlungsaufforderung oder Nötigung darstellen, wir haben sonst Werbung oder Verkehrsschilder und die wollen immer irgendwas von mir, Kaufanreiz oder Verbot."
Die Spruchbänder sind dagegen Denkanreize: "Große Taten sind die unterlassenen"
Oder: "Machen Sie keine Kunst, machen Sie Probleme"
Oder: "Wer glücklich ist fühlt, wer unglücklich ist denkt"
Unter den ersten beiden Zitaten steht "Bazon Brock", unter dem letzten: "Jenny Marzahn" - ein Pseudonym, hinter dem sich eine Marzahner Teenagerin verbirgt. Ihre und andere Texte sind das Ergebnis einer Umfrage unter Marzahner Jugendlichen.
"Es ging um Alltagssituationen oder um Orte, wo sich Jugendliche gerne aufhalten, oder wo sie schöne Erlebnisse hatten ... oder poetische Alltagssituationen."
Joachim Knobloch hat die Sprüchesammlung um eigene Texte ergänzt, wie ...
"Viele Stufen gelaufen, woher wissen die anderen, wohin sie gehen?"
Die "Lustmarschierer" laufen Bazon Brock hinterher: "Verrentnern Sie nicht!" spornt der Emeritus zur Eile an. Und von einer Station zur nächsten verwandelt sich der Alltagsraum zum "Poesiegelände", wie es in der Einladung heißt.
Poetisierung erklärt Brock als "sehen, was man denkt". Die sichtbaren Gedanken auf den Spruchbändern verändern die eigene Wahrnehmung: Auf dem Platz in der Fußgängerzone erinnerten sie an Überbleibsel einer Demonstration, ein paar Kilometer weiter auf einer Freifläche - halb Park, halb Wiese – werden die bedruckten Stoffbahnen Teil der Landschaft.
Flüchtlinge? Der Wanderführer durch die Poesie reagiert heftig
Ein schönes Bild, vor allem ein Gegenbild zu den Bildern, die in den letzten Wochen von Marzahn in der Öffentlichkeit kursierten. Unser Spaziergang führte auch an den Containern einer neuen Flüchtlingsunterkunft vorbei, die in den letzten Wochen Ziel von Demonstranten mit ganz anderen Spruchbändern war. Am Ende des Rundgang, darauf angesprochen, reagiert der Wanderführer durch das Poesiegelände heftig.
"Sie wollen es nicht, weil ihnen kein Mensch ein vernünftiges Argument vorträgt. Wer heute Migrantenpolitik macht, muss doch sagen wie es geht. Wer 10.000 Euro bezahlt für Schlepper, kann jedes Geschäft aufmachen in Afrika – er kann hier niemals eine Chance haben. Wenn er soviel Geld hat, will er mehr Geld haben."
Einwände, dass Menschen ihr letztes Hab und Gut verkaufen, um vor Verfolgung zu fliehen, vor Bürgerkrieg und Lebensgefahr, lässt Brock nicht gelten. Der Rest der Wandergruppe hat sich Richtung Pizzeria aufgemacht, und auch ich ergreife vor der geballten Wut des Denkers die Flucht. Auf dem Rückweg lese ich ein Spruchband mit einem Zitat eines Marzahner Jugendlichen:
"Die Erwachsenen werden immer frecher, meckern und gehen selber über rote Ampeln."
... oder sie wechseln von kluger Weltdeutung in das Gegenteil. Ein Glück, dass nicht alles, was Bazon Brock denkt, im Marzahner Poesiegelände zu sehen ist.
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