Philippe-Joseph Salazar: "Die Sprache des Terrors"

Wie der IS Menschen fängt

Propaganda-Video der Terrormiliz IS (18.11.2015).
Ein Propaganda-Video der Terrormiliz IS © dpa / picture-alliance / Nalkis Press
Von Vera Linß · 16.09.2016
Wer den IS besiegen will, muss dessen Propaganda und Rhetorik verstehen, glaubt der Philosoph Philippe-Joseph Salazar. In seinem Buch zeigt er eindrücklich, wie die Terrormiliz mit der Sprache Menschen fängt.
Videos von schwarz vermummten Kämpfern, die durch die Wüste marschieren. Fotos von Hinrichtungen. Terroranschläge in Nizza oder Paris. Die Gewalt, die der Islamische Staat (IS) produziert, macht Angst und lässt die Regierungen der westlichen Welt hilflos wirken. Philippe-Joseph Salazar wundert das nicht. Seine These: Wer den IS besiegen will, muss zuallererst dessen Propaganda und Rhetorik verstehen. Die Aussichten dafür stünden allerdings schlecht. Der Westen habe keine Ahnung davon, warum sich junge Menschen tatsächlich der Terrormiliz anschließen. Geschweige denn, wie man dem entgegenwirken kann.

Rede des IS-"Kalifen": gut strukturiert und brillant gesprochen

Bestes Beispiel für dieses Versagen sei die Berichterstattung über die Ausrufung des Kalifats durch den IS am 4. Juli 2014 –ausgerechnet am Unabhängigkeitstag der USA. Nicht nur diese Symbolik sei vielen entgangen. Die wichtigsten westlichen Medien hätten sich über die Gründungsrede des "Kalifen" sogar eher lustig gemacht, anstatt sie ernst zu nehmen. Dieser aber habe gut strukturiert und brillant gesprochen, konstatiert Salazar, der seitdem alles analysiert, was er vom IS im Internet finden kann.
Eine Analyse, die schon allein deshalb schwierig sei, weil der Islam eine andere Redekultur pflege. Die Sprache des Korans sei blumig, pompös, setze auf starke Bilder, die durch das mehrfache Wiederholen des Gesagten eine eindringliche Wirkung entfalten. Besondere Schlagkraft habe das islamische Glaubensbekenntnis "Allahu akbar", das bei Hinrichtungen und Anschlägen gerufen werde und diese als Akt des Glaubens erscheinen lasse. Ausführlich nimmt sich Salazar, der als Rhetorikprofessor in Kapstadt lehrt, auch die Ideologie und Bildsprache des IS vor. Den Kult um Gewalt, Opferriten, die Zurschaustellung von Männlichkeit etwa oder das Frauenbild.
Das zu lesen ist nicht immer leicht und setzt häufig philosophisches oder religionsgeschichtliches Hintergrundwissen voraus, trotzdem lohnt sich die Lektüre. Denn Salazar zeigt, wie der IS Menschen fängt. Etwa, indem er den Krieg wieder "zu einer Sache der Männlichkeit" macht und in seinen Schlachtreden an den Wunsch nach Heroismus und Grenzüberschreitung appelliert. Durch eine Kombination aus Klängen und Bildern gelänge es, eine Welt zu versprechen, die außerhalb des Banalen und Alltäglichen lege.

Gegen die "Zensur" von Enthauptungsvideos

Die Werte des Westens wirkten dagegen farblos, schreibt Salazar. Er beruft sich auf Interviews, die mit jungen Dschihadisten geführt worden sind. Abhelfen will er dem mit radikalen Mitteln. Man solle die Zeitschriften des IS in den Schulunterricht integrieren und dekonstruieren, fordert er. Allerdings ohne zu sagen, wer genau diesen Unterricht leiten soll. Westliche Politiker müssten zudem das Volk mit politischen Appellen wachrütteln. Außerdem wendet sich der Philosoph gegen die "Zensur" von Enthauptungsvideos. Auch wenn Letzteres überrascht – sein Plädoyer, auf die rhetorischen Wurzeln des Terrors zu schauen, ist als Grundlage für eine weitere Debatte über den medialen Umgang mit dem IS unverzichtbar.

Philippe-Joseph Salazar: Die Sprache des Terrors. Warum wir die Propaganda des IS verstehen müssen, um ihn bekämpfen zu können
Aus dem Französischen von Christiane Seiler
Pantheon, München 2016
224 Seiten, 14,99 Euro

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