Philip Pettits Definition von Freiheit

Freiheit als moralischer Kompass

Königsallee in Düsseldorf
Obdachloser in Düsseldorf: Freiheit bedeutet auch, dass Grundbedingungen wie "Zugang zur Bildung und ein Dach über dem Kopf" gewährleistet sein müssen. © picture alliance / dpa / Foto: Martin Gerten
Von Eike Gebhardt · 04.05.2015
Philip Pettit gilt als einer der bedeutenden politischen Philosophen der Gegenwart. In "Gerechte Freiheit" stellt er vor allem die Freiheitskoordinaten der Marktliberalen in Frage und wirbt für eine freiheitliche Politik auf nationaler und internationaler Ebene.
Die Grundbegriffe unserer Leitkultur werden kaum noch hinterfragt – mit dem Ergebnis, dass Demagogen und Werbefuzzis sie mit beinah jedem Inhalt füllen können. Gerechtigkeit und Freiheit sind solche schillernden Ideale, zu denen wir uns rückhaltlos bekennen und die dennoch beim erstbesten Konflikt nutzlos scheinen, weil jeder etwas anderes darunter versteht. Dem will Pettit abhelfen. "Freiheit" z.B. ist für ihn ein "ökomenischer Wert" - d.h. er sollte als universeller "moralischer Kompass" dienen, weil er allerorten einen gemeinsamen, denkbar einfachen Nenner hat : "Um eine freie Person zu sein, muss man über die Fähigkeit verfügen, ...wesentliche Entscheidungen zu treffen, ohne die Erlaubnis eines anderen einholen zu müssen".

Eine Freiheit also, die ihre konkreten Voraussetzungen mitdenkt, z.B. dass sie nicht auf "Gnade und Gunst" beruht, dass sie nicht "gewährt" wird und damit widerrufbar ist. Dazu gehören, so Pettits einleuchtende Forderung, die Lebensressourcen, die es uns gestatten, jeder Missbilligung unseres Verhaltens zu trotzen. Nicht zufällig fallen hier Begriffe wie "Ermächtigung", und an mehreren Stellen beruft sich Pettit auf Matha Nussbaum und Amartya Sen, die für just dieses Argumentmuster den Ausdruck "Capability Approach" prägten und das heißt, dass bestimmte materielle Grundbedingungen, wie Zugang zur Bildung, ein Dach über dem Kopf haben, elementare Formen der Selbstbestimmung gewährleistet sein müssen, um von einem gelingenden Leben, ja von Freiheit und Gerechtigkeit sprechen zu können.
Kein Manifest sondern ein Forschen nach einer "Theorie der Gerechtigkeit"
Eine ungerechte Gesellschaft ist, nüchtern gesehen, nicht frei, weil sie vielen die Ressourcen zur Lebensgestaltung einschränkt oder gar vorenthält. Und das gilt nicht nur innerhalb einer Gesellschaft, sondern natürlich auch im Verhältnis der Nationen zueinander.
Aber "über welches Niveau von Freiheit müssen Menschen... verfügen können, damit man sagen kann, sie haben Zugang zu Gerechtigkeit, Demokratie und Souveränität?", fragt Pettit zu Recht. Drei Kriterien könne man veranschlagen: Den Blickwechsel-Test (die Fähigkeit, Lebensperspektive eines Anderen einzunehmen), den Pech-gehabt-Test (wenn das Pech nicht der Bosheit eines Anderen zuzuschreiben ist, sondern z.B. einer sozialen Notwendigkeit) und den Offene-Rede-Test (dass man nichts aus Angst vor fremder Macht verheimlichen muss).
Pettit schreibt allerdings kein Manifest, er betrachtet seinen "republikanischen" Ansatz als Forschungsprogramm zu einer "normativen Theorie der Gerechtigkeit". Und er lässt keinen Zweifel daran, "dass der Staat unverzichtbar dafür ist, eine angemessene zivile und wirtschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten". Sogenannte Neoliberale dürften toben, denn Pettit argumentiert nüchtern und schlagend gegen Modelle wie Merkels "marktkonforme Demokratie", die, aufgrund solcher Abhängigkeiten, weder frei noch demokratisch sein kann. Wer den jahrhundertealten Diskurs des Liberalismus ernst nimmt, kann die Neo-Libs nur als Usurpatoren des Freiheitsbegriffs sehen. "Eine Gesellschaft ist dann gerecht, wenn Probleme... mit der privaten Macht ausgeräumt sind."

Philip Pettit: Gerechte Freiheit
Suhrkamp Verlag, Berlin, 2015,
350 Seiten, 29,95 Euro

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