Phänomen Flugzeugentführung

04.04.2011
Zahlreiche Filme, Bücher und Lieder beschäftigen sich mit fiktiven oder historischen Kidnappern von Flugzeugen. Anders als im wahren Leben werden in der Literatur manche von ihnen dabei zu Helden.
Als Rebellen 1931 das erste Flugzeug entführten, um Propagandamaterial über dem peruanische Dschungel abzuwerfen, brachten sie die Maschine hinterher wieder unversehrt zurück. Derartige Höflichkeiten kamen den Terroristen, die Ende der sechziger Jahre das erpresserische und publicityträchtige Potenzial solcher Aktionen erkannten, freilich nicht mehr in den Sinn.

Entführt wurden Flugzeuge in den siebziger Jahren nicht nur, um politische Forderungen durchzusetzen und Gesinnungsgenossen aus der Haft zu befreien, sondern auch, um aus einem Land in ein anderes zu fliehen oder um schnell an viel Geld zu gelangen. Seit Metalldetektoren sich durchgesetzt haben – und seit der gewaltsamen und erfolgreichen Befreiung der Lufthansa-Maschine Landshut in Mogadischu, ist die Zahl der sogenannten "konventionellen Entführungen" – im Unterschied zu Entführungen, die, wie am 11. September 2001, einzig auf Zerstörung der Flugzeuge und Tötung möglichst vieler Menschen gerichtet sind – konstant niedrig.

Allerdings gibt es inzwischen eine kaum überschaubare Zahl an Filmen, Büchern und Liedern, die sich mit fiktiven oder historischen Flugzeugentführungen beschäftigen. Viele davon hat Annette Vowinckel für ihr gleichnamiges Buch gesichtet, und der Leser kann inmitten des reichhaltigen Materials manche Entdeckung machen. So begegnet ihm ein gewisser D. B. Cooper, der, nachdem ihm bei einer Zwischenlandung die geforderte Lösegeldsumme ausgehändigt wurde, während des Weiterflugs mit dem Fallschirm absprang und seither verschwunden ist.

Von breiterem Interesse als diese kuriose Episode allerdings ist wohl die Frage, warum so viele Terroristen zum Mittel der Entführung greifen. Grund dafür, so Vowinckel, sei die große Aufmerksamkeit, die dem Täter im Fall einer Flugzeugentführung gewiss sei. Flugzeugentführungen weckten deswegen unser besonderes Interesse, da durch sie gleichsam die Mobilität des modernen (westlichen) Menschen und mithin seine Lebensweise angegriffen werde.

Diese Vermutung stellt die Autorin allerdings schon im Vorhinein und nicht unbedingt auf Grundlage der vielen Spielfilme und Doku-Dramen an, die sie im Verlauf des Buches ausführlich und teils bis in die Nebenhandlungen hinein referiert. Es entsteht während der Lektüre vielmehr der Eindruck, dass sich viele Filmemacher einzig deswegen des Themas angenommen haben, weil sich anhand einer Entführung leicht Spannung erzeugen lässt. Zwar werden mitunter moralische Fragen thematisiert - wenn zum Beispiel die Motive der Entführer diskutiert werden -, in der Regel aber basieren Filme wie "Air Force One" auf einem schlichten Schwarz-Weiß-, Gut-und-Böse-Schema.

Wobei die Entführer immer böse, die Geiseln und Befreier immer die Guten seien. Anders, so Vowinckel, verhalte es sich bei vielen Liedern, gerade bei Punksongs, in denen häufig Sympathie mit Entführern bekundet werde. Auch um besagten D. B. Cooper hat sich mittlerweile eine Fangemeinde gebildet. Ihr Material dabei nach kulturellen Deutungsmustern zu bündeln, gelingt Vowinckel leider nicht, und auch eine übergreifende These fehlt ihrem Buch. Als Material- und Ideensammlung aber verdient es Beachtung.

Besprochen von Tobias Lehmkuhl

Annette Vowinckel: Flugzeugentführungen. Eine Kulturgeschichte
Wallstein Verlag, Göttingen 2011, 192 Seiten, 19,90 Euro.