Pflügers Stern sinkt

Von Günter Hellmich |
Genauso wie Klaus Wowereit mit Rot-Rot in der Farbenlehre von Koalitionen auf Länderebene neue Maßstäbe setzte, wollte dies auch sein Berliner Widersacher Friedbert Pflüger tun. Nachdem er es zunächst lange abgelehnt hatte, überhaupt als Oppositionsführer in die Landespolitik zu gehen, versuchte er sich dann an der Formierung einer Jamaika-Koalition.
Die Grünen gaben Pflüger zunächst durch viele gemeinsame Oppositionsvorhaben auch alle Hoffnung. Aber nicht erst seit den Afghanistanbeschlüssen der Bundespartei wird eine solche Perspektive immer aussichtsloser. Damit sinken die Chancen Pflügers, in absehbarer Zeit das Blatt zu wenden. Die innerparteiliche Akzeptanz folgt dem.

Der Traum von Jamaika beginnt am 18. August 2006 - mittags - mit einer ungewöhnlichen Pressekonferenz am Rande eines kleinen Wilmersdorfer Parks. Friedbert Pflüger - der frisch aus der Bundespolitik in den Berliner Landeswahlkampf importierte CDU-Spitzenkandidat - verkündet eine Lebensentscheidung:

"Guten Morgen, meine Damen und Herren, ich habe mich entschlossen, in jedem Fall nach dem 17. September mein Abgeordnetenhausmandat in Berlin anzunehmen und meine Ämter als Staatssekretär in der Bundesregierung und als Bundestagsabgeordneter niederzulegen. Ich möchte Regierender Bürgermeister werden und glaube, dass ich zusammen mit meiner Senatsmannschaft und der CDU gute Chancen habe, am 17. September Rot-Rot abzulösen."

Friedbert Pflüger, hatte in den ersten Wochen seiner Kandidatur darauf bestanden, für den "unwahrscheinlichen Fall", dass es ihm nicht gelänge, Klaus Wowereit aus dem Amt zu jagen, weiter als parlamentarischer Staatsekretär im Verteidigungsministerium und im Bundestag zu wirken. Weil er dort am meisten für Berlin tun könnte, wie er meinte...

Wieder mal ein Kandidat auf Durchreise, dachte mancher Wähler. Deshalb einen Monat vor dem Wahltermin Pflügers Entscheidung, es notfalls auch als Oppositionsführer in der Landespolitik zu versuchen. Ein Opfer, das vom Wähler nicht so recht gewürdigt wurde: Mit 21,3 Prozent schnitt die CDU mit Pflüger noch einmal Zweieinhalb Prozentpunkte schlechter ab als in dem vom Bankenskandal geprägten Ergebnis von 2001, wo die Partei von gut 40 auf 23,8 Prozent gefallen war.

Von der Regierungsbank im Reichstag auf die der Opposition im preußischen Landtag befördert, gab es für Pflüger nur eine Strategie dies zu ändern: Schwarz-Gelb-Grün:

"Jamaika ist gut jetzt in der Opposition, wir arbeiten in fast allen Gebieten gut zusammen, machen auch gemeinsame Erklärungen, setzen den rot-roten Senat zusammen unter Druck und was sich daraus ergibt, ist offen, es ist eine Möglichkeit, mehr nicht. Koalitionsaussagen werden jetzt noch nicht gemacht, wir sind am Anfang einer Periode, aber in der Tat, ich habe von Anfang an diese Jamaika-Option als eine Chance begriffen, den rot-roten Senat in Berlin los zu werden."

Bemerkenswert ist es schon, wenn in Berlin Grüne, Liberale und Christdemokraten gemeinsame Presseerklärungen herausgeben zu Themen wie Haushaltspolitik, Volksbegehren oder aber gegen die Planung eines neuen Kohlekraftwerkes von Vattenfall.

Eine Koalition in der Opposition gibt es nicht, sagt Martin Lindner, der FDP-Fraktionschef. Bevor Pflüger kam, galt er wegen seiner rhetorischen Zuspitzungen als eigentlicher Oppositionsführer. Mittlerweile akzeptiert er die Führungsrolle Pflügers und befördert dessen Jamaika-Strategie:

"Friedbert Pflüger ist es gelungen, anders als seinen Vorgängern, eine Machtperspektive für die Union jenseits der großen Koalition zu öffnen. Und das ist ein großer Verdienst, er ist dialogfähig, er ist lange schon in der Landespolitik angekommen, da ist er vielleicht einigen gebürtigen Berlinern in der Regierung derzeit deutlich sogar voraus. Ich finde, er hat das Potential ganz klar, auch als Regierender Bürgermeister."

Komplizierter ist es die Grünen - in Berlin traditionell linksgestrickt - für eine Zukunft in Jamaika zu gewinnen. Richtig ist zwar, dass sie der SPD noch immer grollen, weil sie sie zu Gunsten der PDS bei den Koalitionsverhandlungen verschmäht hat, aber den neuen grünen Einsprengseln bei der Union traut Irma Franke-Dressler noch nicht so ganz:

"Wenn Sie jetzt Herrn Pflüger angesprochen haben, der mit der Jamaika-Fahne wedelt, ich sag mal, ein Pflüger ist noch lange nicht eine CDU und ich kann mir nicht vorstellen im Moment, dass er viele dieser Positionen, die er nach außen trägt, tatsächlich innerhalb seiner Partei durchsetzt. Ich möchte mir, ehrlich gesagt, jetzt auch keine Gedanken machen darüber."

Bei aller hier geäußerten Skepsis gegenüber Pflüger war gerade die grüne Landesvorsitzende als Bezirkspolitikerin maßgeblich daran beteiligt, dass es auf regionaler Ebene in Berlin bereits einen Modellversuch für schwarz-grüne Kooperation gibt. Im bürgerlichen Bezirk Zehlendorf-Steglitz verblüfften die Grünen manche ihrer Wähler, als sie ein Ampelbündnis ausschlugen und stattdessen eine Zählgemeinschaft mit der Union eingingen, um einen CDU-Bürgermeister zu wählen.

Irma Franke-Dressler: "Das war auch 'ne Überraschung, das war auch 'ne sehr große Überraschung für unsere Mitglieder, wir haben sehr viele Gespräche führen müssen, um das klarzumachen, denn wenn man selber in den Gesprächen drin ist, weiß man, wie es sich entwickelt, aber die Mitglieder vor Ort müssen natürlich auch entsprechend informiert werden. Die waren nicht sehr schnell davon beeindruckt, aber sie haben, ich denke mal, im Laufe der Zeit jetzt auch feststellen müssen, dass es in der Tat unmöglich war, in der Zeit jetzt schon gute grüne Politik im Bezirk Steglitz-Zehlendorf zu machen und zwar mehr als vorher."

Erklären konnten die Steglitzer Grünen ihren Mitgliedern sogar, warum nach dem Bündnis mit der CDU die Umbenennung einer nach dem antisemitischen Historiker Treitschke genannten Straße erstmal nicht stattfinden wird. Weniger folgsam war die Grüne Basis in Charlottenburg-Wilmersdorf - dort verweigerten die Mitglieder einem bereits verabredeten Jamaika-Bündnis die Zustimmung. Ingo Schmitt, CDU-Landesvorsitzender und Bundestagsabgeordneter, zeigt Nachsicht:

"Wir haben nun mal in den letzten 20 Jahren die Gegnerschaft beidseitig gepflegt und für Unionswähler war sozusagen Alternative Liste oder Grüne Partei was Schlimmes und für grüne Wähler offensichtlich die Union und deswegen ist es wichtig und richtig, jetzt in der Phase, wo es keine Wahlen gibt und wo es auch im Abgeordnetenhaus sich anbietet, gegen Rot-Rot gemeinsam gegenzuhalten, zu gucken, ob man eben auch politisch wie aber auch auf der menschlichen Schiene zusammenarbeiten kann."

Pätzold: "Es geht um Atomkraft, es geht auch um nachhaltige Energiepolitik, es geht um Solarenergie, es geht darum, wie man die Probleme des 21. Jahrhunderts löst und ich denke, auch wenn man jetzt die Klimapolitik auf globaler Ebene betrachtet, Al Gore hat jetzt nicht umsonst den Nobelpreis dafür bekommen, dann wird das Thema noch viel mehr in die Öffentlichkeit kommen und dann werden auch die Mitglieder sehen, dass dieses Thema bearbeitet werden muss und dass wir uns da auch stärker einbringen müssen."

Martin Pätzold ist 23 Jahre alt und kein Grüner, sondern Ortsverbandsvorsitzender der CDU in Hohenschönhausen. Jenem Ostberliner Plattenbaubezirk, dem man früher eine besonders hohe Stasidichte nachsagte. Eigentlich aber ist die DDR hier kein Thema mehr, meint der Jungpolitiker:

"Einigen geht's besser, anderen weniger gut, das ist leider auch so 'n Kapitalismus, das muss jetzt aber nicht schlecht sein, weil's irgendwo leistungsgerecht ist. Die meisten wollen heutzutage einfach ihre Probleme behoben haben, die jeder kennt, die sind im Westen und im Osten gleich, da geht's um Erhaltung der Arbeit oder überhaupt einen Arbeitsplatz zu bekommen, da geht's darum, wann man mal in Urlaub fliegen kann oder nicht, ob man's sich leisten kann, all diese existentiellen Themen, die sind heutzutage entscheidend und für einige wenige sind natürlich vielleicht auch die DDR-Themen wichtig, aber für den großen Teil nicht mehr, da geht's um das Heute, nicht um das Gestern."

Martin Pätzold kämpft für LKW-freie Wohngebiete und Fahrradwege. Er ist Pflüger- und Jamaika-Fan, weil er meint, dass er hier in der Diaspora nur so junge Leute für die Union gewinnen kann.

"Das ist die Arbeitsmarktpolitik, da würde ich einem jungen Menschen sagen, da sind wir, die, die das ansprechen in der CDU, wir kümmern uns um die Wirtschaft, wir kümmern uns darum, dass die Leute in Arbeit kommen, die Grünen sind dann dafür da, dass wir das nachhaltig machen, das heißt also umweltgerecht und auch zukunftsgerecht und die FDP ist dann dafür da, dass wir das alles auch mit Bürgerrechten und mit der Sicherung der Bürgerrechte durchführen und da werden wir sicherlich spannende Diskussionen haben."

Wenn Schwarz-Grün-Gelb hier die Allianz der Zukunft sein könnte, dann muss das nicht nur für die Hauptstadt gelten, sagt Friedbert Pflüger und weiß wohl allzu gut, dass die Zustimmung dafür bei den eigenen Parteifreunden noch wachsen muss:

"Nun, zunächst gucke ich natürlich nach Berlin, aber, ich finde darüber hinaus ist das auch eine interessante Option für die Bundespolitik und für auch andere Bundesländer. Ich finde, auch die Zusammenarbeit mit den Grünen, das spüre ich jetzt hier, ist mehr als eine Machtoption, es würde auch inhaltlich durchaus tragen können, wenn man sich ein bisschen Mühe gibt."

So sehr Pflüger die inhaltliche Nähe zu manchen Grünen unterstreicht, so wenig will er auf die Liberalen verzichten. Wobei er wissen dürfte, dass dort noch Wählerpotential für die Union schlummert:

"Ich gehe in allem davon aus, dass wir eine Dreier-Konstellation haben, ich glaube, dass man hier sehr gut auch mit der FDP zusammenarbeiten kann und die Frage schwarz-grün würde ja bedeuten, dass man der FDP wünscht, unter die fünf Prozent zu gehen, und das tue ich nicht."

Ingo Schmitt als Landesvorsitzender der Berliner CDU sieht die Dinge eher pragmatisch - machtpolitisch. Und deshalb steht Jamaika nicht so sehr auf seiner Wunschliste:

"Da sage ich ganz klar, ist mir immer eine Koalition aus zwei Parteien lieber, als eine aus drei Parteien. So, und wenn ich mal davon ausgehe, dass wir bei der nächsten Wahl mindestens eine 3 wieder vorne haben wollen, dann könnte es sein, dass es für schwarz-grün reicht, wenn man die CDU mit gut 30 Prozent taxiert und die Grünen mit Mitte 15, dann ist das ein denkbares Ergebnis, was zur Mehrheit der Sitze im Abgeordnetenhaus führen könnte."

Pflügers Traum von Jamaika könnte auch deshalb ein Traum bleiben, weil in wesentlichen Grundfragen die Auffassungen der Partner auseinandergehen. Erst kürzlich wieder zu beobachten, als im Landesparlament über eine vom Innensenator vorgelegte Novelle zum Polizeigesetz debattiert wurde. Was dem CDU-Generalsekretär Frank Henkel viel zu lasch ist, bedeutet für den grünen Fraktionsvorsitzenden Volker Ratzmann den Untergang der Demokratie:

"Meine Fraktion begrüßt den Inhalt des vorliegenden Gesetzentwurfs dem Grunde nach, aber er geht uns schlicht nicht weit genug. Meine Damen und Herren, das kann man akzeptieren, aber das muss man nicht. Wir begrüßen die Überwachung auf Bahnanlagen, aber es bleibt uns vollkommen unverständlich, warum Sie, Herr Senator, hier auf halber Strecke angehalten haben. Dass die Überwachung hier lediglich auf Straftaten von erheblicher Bedeutung beschränkt bleibt, ist für meine Fraktion schlicht nicht nachvollziehbar."

Ratzmann: "Wir werden eine Situation haben, wo vor jeder Demonstration in jedem U-Bahn-Wagen aufgezeichnet wird, wer dort drin ist und zur Demonstration mitfahren und das sage ich Ihnen, das wird die Partizipationsfähigkeit dieser Stadt am politischen Prozess entscheidend mit verändern. Dieses Gesetz kann in einer so hochdemokratisch angelegten Stadt wie Berlin keinen Platz greifen, das können wir dieser Stadt nicht zumuten."

In Fragen der inneren Sicherheit wären die Gemeinsamkeiten einer schwarz-grün-gelben Allianz schnell aufgebraucht. Doch gerade in diesem Themenfeld sprechen alle drei Jamaica Parteien ihre Stammwähler an. Wer eine Koalition in Aussicht stellt und damit einschneidende Kompromisse, verliert Zustimmung an der eigenen Basis. Aber auch in der Umweltpolitik, wo Schwarz und Grün im Prinzip auf Annäherungskurs sind, stehen die Zeichen auf Konfrontation - wegen Tempelhof. Die grüne Landesvorsitzende:

"Was Verkehrsberuhigung betrifft, was den Ausbau des öffentlichen Personalverkehrs betrifft, könnte man durchaus sich mit der CDU auf bestimmte Positionen einigen. Sicherlich gibt es keine Einigung bei dem Thema weitere Offenhaltung des Flughafen Tempelhofs. Mitten in der Stadt ein Flughafen sehen wir für schädlich an."

Bis zur nächsten Wahl 2011 hätte sich das Problem Tempelhof als Sprengstoff für ein Schwarz-Grünes oder Jamaica-Bündnis längst erledigt, durch Zeitablauf. Indem die CDU nun aber die Kampagne für den Erhalt des Flughafens ins das Zentrum ihrer Politik stellt, riskiert sie eine weitere Entzweiung. Sollte - was nicht unwahrscheinlich ist - ein derzeit laufendes Bürgerbegehren die nötige Zustimmung von 170 000 Unterzeichnern erreichen, folgt als nächste Stufe ein Volksentscheid. Dann aber würden Grüne und CDU in einem regelrechten Wahlkampf gegeneinander antreten. Der schöne Traum von einer Jamaika-Allianz wäre geplatzt.

Der CDU-Vorsitzende setzt nun darauf dass die Grünen, wie er es täte, die machtpolitische Alternative wählen:

Ingo Schmitt: "Die Grünen sprechen sich klar gegen Tempelhof aus, aber sie würden ja mit ihrem Verhalten, dass sie gegen Tempelhof stimmen, Rot-Rot unterstützen. Eigentlich müssten die Grünen, und ich glaube es wird zum Schluss eine sehr parteipolitische Auseinandersetzung werden, auch gegen diesen rot-roten Senat entsprechend agieren und das Volksbegehren bzw. den Volksentscheid nutzen, um damit Rot-Rot zu schwächen oder sogar aus dem Amt zu jagen."