Pflege und Technologie

Warum Roboter kein Ersatz für Fachkräfte sind

07:07 Minuten
Ein humanoider Roboter mit Kulleraugen und einem integrierten Tablet.
Thea ist ein sozialer Roboter des Modells Pepper: Eine Seniorin im Workshop würde sich von ihr auch Medikamente bringen lassen. © Jasmin Galonski
Von Jasmin Galonski · 05.08.2019
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Können Maschinen fehlende Fachkräfte ersetzen? Der Pflegewissenschaftler Patrick Jahn warnt vor übertriebenen Hoffnungen. Er gehört zu einem Forschungsteam, das die Einsatzmöglichkeiten humanoider Roboter in der Pflege untersucht.
"Du bist hier in der Zukunft der Versorgung. Willkommen beim Projekt!"
Sie ist 1 Meter 20 groß, weiß und hat zwar keine Beine, aber dafür sehr grazile Arme und Hände, die sie beim Sprechen einsetzt. Thea ist ein sozialer Roboter des Modells Pepper. Sie kann Gesichter erkennen, tanzen und kleine Gespräche führen.
In dem Forschungsprojekt Format der Uniklinik in Halle wird untersucht, ob der humanoide Roboter auch routinemäßige Aufklärungsgespräche in Kliniken übernehmen kann, ob er Patienten zum Beispiel erklären kann, wie ein MRT funktioniert. Die Forscher vermuten, dass sich die Patienten die Informationen im Gespräch mit dem Roboter besser merken können, als wenn sie sie auf dem Tablet einfach nur lesen würden.

Thea weckt mehr Aufmerksamkeit als ein Tablet

Der Forschungsleiter Patrick Jahn erläutert: "Da glaube ich ist das Gespräch dem Tablet überlegen. Gnerell kennen wir das, wenn wir was lesen und es ist eine aufregende Situation, dass man von dem Tablet schnell abschweift. Und dann ist das Gespräch mit Thea sicherlich auch aufregend, weil wir ja sonst nicht gewöhnt sind mit einem humanoiden Roboter zu interagieren. Der Informationsbehalt ist trotzdem aber größer aus dem Gespräch. Man kann was erzählen und Thea hat auf der Brust ein Tablet und kann dann auch was zeigen oder einen Ton abspielen. Da hat man mehr Möglichkeiten zur Gestaltung."
Das Forschungsteam der Uniklinik Halle erforscht auch, ob Pflegeroboter wie Thea überhaupt akzeptiert werden von Patienten. Die Forschungsteilnehmer reagierten meist positiv. Und das liegt nicht zuletzt an dem gewinnenden Design des 20.000 Euro teuren Roboters. Wenn Thea erwacht, öffnen sich große leuchtende Kulleraugen. Sie kann mit ihren feingliedrigen Händen zwar selbst nichts anfassen, aber lässt sich offenbar gerne berühren.
Christina Hummel ist Seniorin und nimmt an einem Workshop der Uniklinik Halle teil, in dem neue Technologien in der Pflege vorgestellt und diskutiert werden. Sie findet den Roboter niedlich - und hätte nichts dagegen, wenn Thea ihr irgendwann Mal die Medikamente ans Bett bringen würde.
"Och das könnte ich mir schon vorstellen", sagt die Seniorin. "Wenn das durch das Pflegepersonal entsprechend vermittelt wird, also 'erschrecken Sie nicht, da kommt heute der Roboter, die bringt ihnen das'. Und Thea kommt rein, 'hallo ich bin's, die Thea': Warum nicht!"

Keine Lösung für das Fachkräfteproblem

Thea kann nur das, was man ihr beibringt. Die Gespräche mit dem Roboter verlaufen stockend, die Gesichtserkennung funktioniert häufig nicht richtig und wenn der Roboter anfängt zu tanzen, hört er nicht mehr auf.
Es gibt hier noch viel Verbesserungspotenzial. Eine Lösung für das Fachkräfteproblem, kann der Roboter aber ohnehin nicht werden. Das glaubt zumindest Johanna Knüppel. Sie ist Sprecherin des deutschen Verbandes für Pflegeberufe.
Viele Vorgänge in der Pflege seien einfach nicht programmierbar, sagt sie: "Wir haben es da mit Individuen zu tun, die jede für sich ganz unterschiedliche Bedürfnisse haben und unterschiedliche Voraussetzungen mitbringen. Und ein ganz wesentliches Element in der Pflege ist eben die Kommunikation und die unmittelbare Interaktion und zwar auf das Individuum bezogen. Das wird ein Roboter, und sei er noch so gut, vermutlich nie erreichen können."
Die Pflegeverbandsprecherin war sehr ernüchtert als sie vor einigen Wochen einen Roboter des Modelles Pepper im Einsatz sah. Er sollte in einem Altenheim probeweise die schlecht besetzte Nachtschicht unterstützen und per Gesichtserkennung melden, wenn Demenzkranke Bewohner ihre Zimmer verlassen. Das ganze endete in einer Katastrophe.
"Die haben den als Bedrohung empfunden", erzählt Johanna Knüppel, "und sind mit körperlicher Kraft drauf zugegangen und haben versucht ihn aufzuhalten und ihn zu zerstören. Die Techniker haben das Gerät sehr schnell zurückgezogen, aus Angst, ein so teures Gerät ginge kaputt. Das heißt, das war gut gemeint, aber hat an der Stelle so nicht funktioniert."

Auf der Suche nach geeigneten Einsatzmöglichkeiten

Wenn Roboter in der Pflege an den falschen Stellen eingesetzt werden, kann das schnell schief gehen. Wo aber könnten Sie Pflegekräfte tatsächlich entlasten? Das will das Team um den Pflegewissenschaftler Patrick Jahn herausfinden:
"Aus meiner Sicht haben wir zu lange gewartet aus Sicht der Berufsgruppe, die Technik zu gestalten. Wir haben uns auf eine sehr bequeme Position zurückgezogen. Wir waren immer dann gefragt, wenn die Ingenieure mit ihren technischen Lösungen in die Praxis kamen, dann haben wir zurückgespielt: Das können wir uns vorstellen, oder das können wir gebrauchen oder das nicht. Aber das macht die Lösung sehr langsam und es berücksichtig häufig nicht, welche Möglichkeiten wir auch schon aus der Gruppe der Pflege oder der Medizin haben, die Dinge mitzugestalten."
Die finanziellen Mittel im Pflegesektor sind knapp. Und viele fürchteten, dass das Geld, das man in Technik investiere, dann beim Pflegepersonal einspare, sagt die Pflegeverbandssprecherin Knüppel:
"Pflegende sind aber Pragmatiker und denen ist vielfach im Bereich Digitalisierung manches übergestülpt worden, ohne dass sie vorher gefragt wurden und dann haben sie festgestellt hier wurde viel Geld aus dem Fenster geworfen."
Genau hier setzt das Forschungsprojekt in Halle an. Aber auch der Pflegewissenschaftler Jahn warnt vor übertriebenen Hoffnungen:
"Und da müssen wir auch die Erwartungen begrenzen. Technik wird zukünftig unterstützend mehr einsatzfähig sein, aber es wird nicht die Lösung allein sein."

Hilfe bei der Datendokumentation und beim Getränkeverteilen

Helfen könnten Roboter zum Beispiel bei der Datendokumentation, beim Schränke ein- und ausräumen. Oder beim Verteilen von Getränken an die Patienten. Doch auch hier bleibt die Frage: Begrenzt man so nicht den Raum für menschliche Begegnung?
Der Pflegeexperte Patrick Jahn: "Die Frage ist, schaffen wir es, unsere Arbeit so zu strukturieren, dass wir die Freiräume schaffen, auch die erkannte Zuwendung zu geben. Weil das löst aus meiner Sicht die Frustration bei den Pflegekräften aus, dass ich das erkenne, aber in meinen Alltag und in den Routinen und Anforderungen so eingebunden bin, dass ich dafür keine Zeit habe."
Roboter können den menschlichen Kontakt in der Pflege nicht ersetzen, vielleicht aber neue Freiräume dafür schaffen.
"Am Ende bin ich nur ein Roboter", sagt Thea.
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