Pflanzenschutzmittel

Konventionelle Pestizide auf dem Bioacker?

Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze am 18.05.2015 über ein Feld mit jungem Getreide nahe Neuranft im Oderbruch (Brandenburg). Foto: Patrick Pleul/dpa
Bio trotz Pestizide? Mancher Öko-Landwirt möchte auch konventionelle Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen. © dpa
Von Udo Pollmer · 02.03.2018
Die designierte Agrarministerin Julia Klöckner fordert, dass Biolandwirte künftig punktuell auch konventionelle Pflanzenschutzmittel einsetzen dürfen. Die Forderung komme einer Bankrott-Erklärung der geplanten Agrarwende gleich, meint Udo Pollmer.
Umweltverbände beklagen gewöhnlich, in Deutschland würden immer mehr Pestizide eingesetzt. Die "taz" meldete sogar den "höchsten Pestizid-Verbrauch seit 2009". Die aktuellen Daten des Bundesamtes für Verbraucherschutz scheinen ihnen rechtzugeben: Der Absatz von Pestiziden ist den vergangenen 20 Jahren kontinuierlich gestiegen. Wurden im Jahr 2006 "nur" 38.000 Tonnen Wirkstoff verkauft, sind es inzwischen etwa 47.000 Tonnen.
Doch der Schein trügt. Denn die ausgebrachte Menge pro Hektar ist seltsamerweise nicht gestiegen, auch wenn sie je nach Nutzpflanze, Wetter und zugelassenen Wirkstoffen naturgemäß jährlichen Schwankungen unterliegt.
Der Grund für diese scheinbare Diskrepanz ist simpel: Der auffällige Anstieg in der Statistik ist den sogenannten "inerten Gasen" geschuldet - vor allem Kohlendioxid, also das Gas, das im Sprudel sprudelt, gefolgt von Stickstoff, dem Hauptbestandteil der Luft. Auch diese beiden Gase, die wir tagtäglich einatmen oder trinken, gelten als Pestizide. Natürlich wird auf dem Feld keine Luft verblasen oder Sprudel verschüttet, damit werden Silos begast, um Schädlinge zu ersticken. Deshalb, und nur deshalb ist der Absatz an Pflanzenschutzmitteln gestiegen.

Auch Biomittel können Insekte gefährden

Ein Detail in den offiziellen Daten verdient jedoch Aufmerksamkeit: Bei den Pestiziden, die auch der Biobauer auf seinen Flächen einsetzen darf, ist die Absatzmenge seit Beginn der Erfassung im Jahr 2004 von gut 1400 auf über 2500 Tonnen geklettert.
Aber sind diese Mittel nicht besser, weil umweltfreundlich? Heißt es nicht, der Biobauer schont die Bienchen und die Käferlein? Kommt drauf an: Spinosad, ein probates Biomittel, wird als "hoch bienengiftig" eingestuft und vernichtet so ziemliche alle Nützlinge, die die Szene der ahnungslosen Kundschaft so gern als ihre Herzensangelegenheit verkauft.
Natürlich wirken nicht alle Mittel so rabiat wie Spinosad, es gibt auch verträglichere wie das synthetische Kalium-Phosphonat. Dafür fordern unsere Biowinzer eine erneute Zulassung, um in regnerischen Jahren wieder gesunde Trauben ernten zu können. Aus toxikologischer Sicht ist gegen diesen Stoff nur wenig einzuwenden, schließlich handelt es sich um einen Wasserenthärter, der auch in Spülmitteltabs enthalten ist.

Sind die Gifte der Biobranche nicht gut genug?

Der Schädlings-, Krankheits- und Unkrautdruck nimmt im Bioanbau kontinuierlich zu, einfach deshalb weil "Bio" heute mehr Flächen belegt als noch vor der Künastschen Agrarwende. Damals haben die konventionellen Nachbarn ringsum mit ihren Mittelchen die Ausbreitung vieler Schadorganismen verhindert. Mit jeder umgestellten Fläche nimmt der kostenlose Schutz durch die konventionellen Kollegen ab.
Was also unternimmt die Öko-Branche dagegen? Weil ihre eigenen Gifte nicht gut genug sind, schielt sie bereits auf die konventionellen Pestizide. Und ruft zugleich, dass ihre konventionellen Kollegen mit ebendiesen "Ackergiften" den Planeten ruinieren würden.
Sie glauben so viel Unverfrorenheit nicht? Frau Julia Klöckner – Agrarministerin in spe – tat kürzlich in einem Interview kund: "Um ihre Ernte zu sichern, würden viele Ökolandwirte gerne punktuell auf konventionelle Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Dürfen sie aber nicht. Manchen Bauern kostet das die Existenz." Das stimmt absolut! Es ist die offizielle Bankrott-Erklärung der geplanten Agrarwende.
Als Politikern und Winzertochter hat Frau Klöckner eine bauernschlaue Lösung im Sinn: "Wir müssen Ökolandwirten in schlechten Phasen den Gebrauch konventioneller Pflanzenschutzmittel erlauben können." Denn das Verbot, so Klöckner, hielte viele "davon ab, den Weg in den Ökolandbau zu wagen". Natürlich bräuchte man auf dem Weg dorthin mehr Forschung.
So lassen sich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Für die Landwirt gibt es dann trotzdem die satten Bio-Subventionen. Und die Politik kann sich rühmen, die Agrarwende wieder einen großen Schritt vorangebracht zu haben. Mahlzeit!

Literatur:
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Absatz von Pflanzenschutzmitteln in der Bundesrepublik Deutschland. Braunschweig, Nov. 2017
afp: Höchster Pestizid-Verbrauch seit 2009. TAZ vom 22. Juni 2017 (taz.de)
Pollmer U: Die Bio-Bauern und ihre "Umweltmarotten". Deutschlandfunk Kultur, Mahlzeit vom 9. Sept. 2016
Günther S: Es wird immer mehr gespritzt ... Blog schillipaeppa.net vom 20. Jan. 2018
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Zugelassene Pflanzenschutzmittel: Auswahl für den ökologischen Landbau nach Verordnung (EG) Nr. 834/2007, Stand Januar 2018. Braunschweig 2018; www.bvl.bund.de/infopsm
Hemmerling U et al: Situationsbericht 2017/2018 – Daten und Fakten zur Landwirtschaft. DBV, Berlin 2017
Julius Kühn-Institut: 14. Fachgespräch: Pflanzenschutz im Ökologischen Landbau – Probleme und Lösungsansätze: Phosphonate. Berlin-Dahlem, 9. Nov. 2010
Weiland M et al: Phosphonic acid: pesticide or "foliar fertilizier"? Residues in organic and conventional samples from the German market. CVUA Stuttgart, European Pesticide Residue Workshop 2014
Klöckner J: Die politische Stabilität steht auf dem Spiel. Leipziger Volkszeitung (lvz.de) vom 19. Feb. 2018
Günther S: Auch Bio-Bauern spritzen Pestizide. Blog schillipaeppa.net vom 20. Feb. 2018
Pollmer U: Imkerei: Neue Gefahren für Bienen. Deutschlandfunk Kultur, Mahlzeit vom 24. Nov. 2017
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