Pflanzenadoptionsbörse

Eine neue Heimat für ungeliebte Pflanzen

07:15 Minuten
Eine nicht sichtbare Person umarmt einen meterhohen Kaktus.
Wird eine Pflanze zu groß oder trägt keine Blüte mehr, wird sie oft weggeschmissen. Dieses Schicksal bleibt ihnen durch Adoption erspart. © Denise Kwong / EyeEm
Haike Rausch im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 04.04.2019
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Das Frankfurter Künstlerduo 431art betreibt seit zehn Jahren eine Pflanzenadoptionsbörse. Dort kann man einer Pflanze ein neues Zuhause bieten. Adoptiveltern müssen mit Fotos nachweisen, dass sie sich um ihr Pflanzenkind kümmern.
"Wir haben 2006 einfach immer mehr Pflanzen gefunden in Mülltonnen, vor allen Dingen auch schon zerschnitten, mehrjährig blühende Pflanzen, die einfach nach der Blüte in die Tonne geworfen wurden", erklärt Haike Rausch von 431art zur Frage, warum sie diese Pflanzenadoptionsbörse betreibt.
Bevor also die Pflanzen einfach in die Tonne geworfen werden, sollen sie lieber ein neues Zuhause finden. Zum anderen soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass die Pflanzen eben auch Lebewesen sind und man mit ihnen kommunizieren kann, meint Haike Rausch.
Für die Adoptionsbörse erhalten die Pflanzen Namen und eine Biografie. Die Adoptiveltern müssen mit regelmäßigen Fotos nachweisen, dass sie sich um ihr Pflanzenkind kümmern.
"Aber die dienen nicht in erster Linie der Kontrolle, sondern die sind eigentlich dazu gedacht, dass man eben auch nachvollziehen kann und sehen kann, in welchem soziokulturellen Umfeld lebt denn so eine Pflanze jetzt."

Das Interview im Worlaut:

Stephan Karkowsky: Mit Pflanzen zu kommunizieren, das mag Ihnen esoterisch erscheinen, aber denken Sie nur mal an Ihre Zimmerpflanzen – zu denen müssen Sie ja irgendwie einen Draht kriegen, um zu wissen, was die Pflanze braucht: Meist nur Wasser und ab und an ein Staubtuch, aber selbst das ist einigen menschlichen Mitbewohnern der Pflanzen offenbar zu viel.
Das Künstlerduo 431art aus Frankfurt betreibt deshalb seit zehn Jahren bereits eine Pflanzenadoptionsbörse, über die uns ein Teil des Duos mehr erzählen soll.
Karkowsky: Auf der Seite botanoadopt.org finde ich nach Postleitzahlen geordnet Pflanzen, die zur Adoption freigegeben wurden, und da hab ich mir rausgesucht den Kaktus Joana Toscana. Im Textfeld steht über ihn zu lesen: Die ein Meter hohe "Joana" war in ihrem früheren Leben Zypresse und hat diese Wuchsform noch immer in ihren Genen. Sie engagiert sich für die Artenvielfalt und liest gern finnische Kriminalromane. Das klingt so, als ginge es ihr gar nicht so schlecht, oder?
Rausch: Ja, das sagt zunächst erst mal was über ihre Persönlichkeit und über ihre Vorlieben aus.

Pflanzen brauchen ein bestimmtes Umfeld

Karkowsky: Und deswegen muss sie trotzdem adoptiert werden?
Rausch: Ja, das kommt doch häufiger vor, als man denkt, weil natürlich Pflanzen auch bestimmte Bedingtheiten brauchen und auch ein bestimmtes Umfeld. Man kennt es ja selbst, man kann selbst nicht mit jeder Pflanze. Ich hab zum Beispiel in meinem Studium ein Zyperngras gehabt – ich liebe Zyperngräser, aber wir können einfach nicht miteinander, das wird nichts bei mir.
Ein Kaktus aus der Gattung Gymnocalycium ist am 10.07.2015 in Steinfeld (Rheinland-Pfalz) im Kakteenland zwischen anderen Kakteen zu sehen.
"Eine Pflanze braucht auch das richtige Umfeld", sagt Haike Rausch.© picture-alliance / dpa / Uwe Anspach
Karkowsky: Woran merken Sie das?
Rausch: Die wächst nicht, obwohl sie die idealen Bedingungen hat. Ich hab damals meine Kommilitonen gefragt, sag mal, wie machst du das, bei mir steht die da und da, die hat auch das und das Wasser, die kriegt soundso viel Wasser von mir und das und das gebe ich ihr. Ja, meint sie, genau wie bei mir. Aber bei mir wuchs sie eben nicht.
Karkowsky: Also das Verhältnis Mensch-Pflanze ist wichtiger, als manche glauben wollen?
Rausch: So ist es.

Die Pflanze wie ein Familienmitglied aufnehmen

Karkowsky: Über tausend Pflanzen haben Sie mit Ihrer Börse bereits ein neues Zuhause gegeben. Wenn ich eine Pflanze adoptieren möchte, welche Bedingungen muss ich dafür erfüllen?
Rausch: Ich muss bereit sein, mich wirklich verantwortungsvoll um die Pflanze zu kümmern und sie als ein Lebewesen anzuerkennen. Also wir haben einen richtigen Adoptionsvertrag, der ist auch mit Humor und Kontextverschiebung geschrieben, aber das Ganze hat schon eine ganz ernsthafte Basis. Da steht zum Beispiel drin, dass ich die Pflanze wie ein Familienmitglied oder einen Freund bei mir aufnehme und dass ich mich im Falle der Krankheit auch mit ganzheitlichen Maßnahmen der Heilung um sie kümmere.
Karkowsky: Ich darf die Pflanze nicht weiterverkaufen, und ich muss auch regelmäßig Fotos vom Wohlergehen der Pflanze an Sie schicken. Richtig?
Rausch: Genau. Ich darf sie auch nicht weiterverschenken, das haben manche nämlich auch schon angefragt, denn eine Adoption ist ja eine ganz ernsthafte Sache. Mit den Fotos verhält es sich folgendermaßen: Die werden ja auf unserer Website veröffentlicht, und ich muss auch sagen, wir haben jetzt mittlerweile so viele Fotos hier, die noch auf die Veröffentlichung warten. Wir bekommen halt viele zugeschickt.
Aber die dienen nicht in erster Linie der Kontrolle, sondern die sind eigentlich dazu gedacht, dass man eben auch nachvollziehen kann und sehen kann, in welchem soziokulturellen Umfeld lebt denn so eine Pflanze jetzt. Steht die jetzt auf einer Fensterbank, manche dekorieren sie als Weihnachtsbaum zu Weihnachten, da gibt es ja ganz viele Unterschiede. Und so eine Fensterbank sagt ja auch sehr viel aus, da ist ja sehr viel Gestaltungswille auch immer drin.

Trauriges Pflanzenschicksal Abfalltonne

Karkowsky: Warum machen Sie das, Frau Rausch!
Rausch: Mein Partner Torsten Grosch und ich haben 2006 begonnen – da haben wir einfach immer mehr Pflanzen gefunden in Mülltonnen, vor allen Dingen auch schon zerschnitten, mehrjährig blühende Pflanzen, die einfach nach der Blüte in die Tonne geworfen wurden. Wir haben damals gesehen, okay, wir haben auf der einen Seite ein ganz massives Artensterben, also wirklich so, dass wenn wir nichts ändern, in kürzester Zeit 60 bis 90 Prozent der Arten ausgestorben sein werden. Und mittlerweile ist das ja auch in einer breiten Diskussion.
Und auf der anderen Seite werden Zimmerpflanzen, die ja auch Pflanzen sind, nämlich unsere Lebensgrundlage, wirklich nach der Blüte in die Tonne geworfen oder wenn sie nicht mehr schön sind oder wenn sie zu groß sind.
Das ist eine solche massive Diskrepanz, dass wir gesagt haben, dazu wollen wir ein Projekt machen, eben mit unseren künstlerischen Mitteln, und zwar ein Projekt, was es möglich macht, auch nicht nur was zu erkennen – denn wir wissen das ja alle, also an dem mangelnden Wissen liegt es ja nicht …
Eine braune Tonne mit der Aufschrift "Bio-Tonne - Sie sammeln, wir kompostieren".
Trauriges Schicksal vieler ungeliebter Pflanzen: ein Ende in der Biotonne.© dpa/Armin Weigel

Empathie für Pflanzen trainieren

Karkowsky: Nun bieten Sie auch Empathietrainings an für Menschen, die ihre Orchidee, wenn sie nicht mehr blüht, einfach in die Tonne treten wollen. Was genau wird dort trainiert?
Rausch: Na, wie der Name sagt, versuchen wir die Empathiefähigkeit zu trainieren, und wir möchten damit einen Zugang zu einer Pflanze ermöglichen. Und das versuchen wir, da schaffen wir verschiedene Möglichkeiten. Wir haben Empathietrainings so eins zu eins, die wir mit Menschen machen, wir haben aber auch Gruppen-Empathietrainings, und das fängt bei ganz einfachen Sachen an wie einfach mal zu lächeln, also so, wie man mit einem Menschen auch Kontakt aufnimmt.
Es geht aber auch darum, diese Grenze zu überwinden, die ich normalerweise zu einer Pflanze habe, weil sie keine Augen und keine Ohren und keinen Mund hat und eigentlich nicht zu mir sprechen kann in einer Sprache, die ich verstehe. Pflanzen sprechen ja auch, die kommunizieren über chemische Signale und Reize und haben wesentlich mehr Sinnesrezeptoren als wir Menschen, aber die Sprache ist eine ganz andere.
Und wir versuchen, mit diesem Empathietraining eine Brücke zu schlagen und einfach auch Menschen zu ermöglichen, eine ganz andere Perspektive einzunehmen und auch mit einer Pflanze Kontakt aufzunehmen. Das ist nicht nur physisch, also auch die Pflanze vielleicht mal anzufassen und mal zu fühlen, sondern auch den Atem, das, was man ausatmet, bewusst der Pflanze zu senden, denn das ist ja ihre Nahrung, oder auch mit der Pflanze zu sprechen.
Also es gibt eine ganzes Feld von Aufgaben, die auf ganz verschiedenen kognitiven Ebenen stattfinden, sodass wir auch denken, für jeden ist da was dabei. Und es macht auch unglaublich viel Spaß, weil man tatsächlich eine ganz andere Rolle einnimmt, eine, die man vielleicht auch mal im Alltag als absurd empfindet, aber dabei eine ganz neue Erfahrung machen kann.
Karkowsky: Es hilft dabei natürlich auch, den Pflanzen Namen zu geben und eine Biografie. Das haben Sie gemacht in Ihrem Buch "Urban Plants", ein Buch, das im Distanz-Verlag erscheint heute und ganz viele Pflanzen-Biografien nacherzählt. Wir sprachen darüber mit einer der beiden Autor*innen, mit Haike Rausch. Gemeinsam mit Torsten Grosch bildet sie ein Künstlerduo.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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