Pferdefleisch für Arme: Deutsche Tafeln weisen Vorschlag zurück

22.02.2013
Die Deutschen Tafeln üben scharfe Kritik an dem Vorschlag eines CDU-Politikers, Fertiggerichte mit nicht deklariertem Pferdefleisch an Bedürftige zu verteilen. Das verstoße gegen die Würde des Menschen, sagte der Vorsitzende des Bundesverbands, Gerd Häuser.
Ulrike Timm: Warum sollten wir eigentlich eine Lasagne mit ein wenig Pferdefleisch drin einfach wegschmeißen, dachte sich der CDU-Politiker Hartwig Fischer und empfahl, die wegen des nicht deklarierten Fleisches zurückgerufene Ware doch an Arme zu verschenken, statt sie zu vernichten. In Frankreich haben einige Hilfsorganisationen diesen Vorschlag selbst gemacht, in Deutschland bezieht der Politiker für seinen Vorschlag Dresche von der Deutschen Bischofskonferenz, die das für respektlos hält, bis hin zum Verbraucherschutzministerium, das, sagen wir, skeptisch reagierte. Wir sprechen über den Vorschlag mit Gerd Häuser, er ist Vorsitzender des Bundesverbandes Deutsche Tafel, und wir tun das just an dem Tag, an dem die Berliner Tafel, die sozial Schwache mit Lebensmitteln unterstützt, 20 Jahre alt wird. Herr Häuser, schönen guten Tag!

Gerd Häuser: Guten Tag, Frau Timm!

Timm: Nehmen wir mal an, Herr Fischer hat das schlicht gut gemeint, ist doch besser, Lebensmittel, die in Ordnung sind, wenn auch falsch deklariert, zu verbrauchen, statt sie wegzuwerfen. Das Echo ist negativ, auch bei Ihnen?

Häuser: Ja, natürlich, also gut gemeint reicht nicht. Ich denke, da zeigt sich immer so eine gewisse Würdelosigkeit und Respektlosigkeit, weil der Rest der Bevölkerung möchte das überhaupt nicht essen, er akzeptiert dieses gar nicht, und dann einfach zu sagen, na ja, gut, dann geben wir es denen, die sonst nichts haben, die es nehmen müssen – das halte ich also schon für gegen die Würde des Menschen.

Timm: Aber drehen wir es mal um, der Skandal ist ja die Täuschung.

Häuser: Ja.

Timm: Und da Pferdefleisch bei uns kulturell nicht verankert ist, finden viele das eklig. Gehen Sie über die Grenze nach Holland, da kriegen Sie gerne Ihre Pferdewurst – wenn also jeder weiß, was drin ist, warum die Produkte nicht für Spenden nutzen, statt sie auf den ja auch viel beschimpften Lebensmittelberg zu werfen?

Häuser: Das ist ja etwas ganz anderes. Also ich denke mir, erstens mal ist es in Deutschland nicht akzeptiert, das heißt, für viele Leute ist es eklig, aber die finden sich dann in einer Notsituation, weil sie sonst nichts haben, wo sie so was nehmen müssten, und das halte ich für ganz schlimm. Das ist genau so, wie wenn sie die restlichen Döner den Moslems geben, wo Schweinefleisch drin war, das ist genau so ein Problem, wäre das.

Timm: Ist es also für Sie keine Diskussion um Fleisch und Essen, sondern um Würde und als Mensch gesehen werden?

Häuser: Genau, das ist keine Frage, wenn jemand das verlangt und sagt, es ist für mich kein Problem – aber ich denke auch für den Fall stellt sich die Frage eigentlich überhaupt nicht, denn die Handelsketten bieten so etwas auch nicht an.

Timm: Okay, und morgen gibt es dann wieder eine Schlagzeile, der Lebensmittelberg wird größer und größer: Ein Drittel aller Lebensmittel wird weggeworfen. Das ist beklagenswert.

Häuser: Also, wenn Sie das in Zusammenhang bringen, das hat damit doch nichts zu tun. Die falsch deklarierte Ware ist ja nicht die normale Ware, die übrig bleibt. Das wäre ja ganz schlimm, wenn alle Ware, die im Handel wäre, irgendwas falsch Deklariertes drin wäre, was eklig wäre für die Menschen. Ob das jetzt Gammelfleisch wäre, das wäre genau dasselbe gewesen, das Gammelfleisch war auch noch verzehrbar – wenn Sie das nehmen würden oder andere Sachen, das ist aber nicht der Fall, sondern der Lebensmittelberg kommt nicht daher, weil Pferdefleisch in manchen Sachen drin ist, sondern weil wir viel zu viel wegwerfen.

Timm: Ja, gut, aber er muss ja dann dadurch nicht größer werden. Die Tafeln nehmen ja auch Obst und Gemüse an, das in Ordnung ist, aber wo der Apfel vielleicht eine kleine Stoßstelle hat oder die Banane so reif ist, dass man sie gleich verbrauchen sollte, eben, damit es nicht auf den Müll kommt.

Häuser: Aber ich bitte Sie! Apfel ist Apfel, Banane ist Banane, das in dem Fall ist ja eine Sache, das heißt, in unserem Kulturbereich ist Pferdefleisch, hat das einen negativen Touch. Einige Leute, die das kennen, rheinischen Sauerbraten, es gibt … wo bewusst Leute so was essen, aber das ist nicht der Normalfall. Aber ganz besonders schlimm ist natürlich, wenn die Gesellschaft sagt, nein, wir wollen das nicht, dann geben wir es denen bei uns, die sowieso schon schlimm dran sind, weil sie im Prinzip keinen Job haben, weil sie Hartz IV nehmen müssen, weil sie sonst keine andere Möglichkeit haben, wenn man denen dann sagt, dann nehmt doch hier das. Das halte ich schon für äußerst arrogant und äußerst von oben runter.

Timm: Sie werfen sich mit Verve ins Zeug, nun sagen Sie aber selber, es ist kulturell verankert, das Pferdefleisch bei uns. Gehen Sie über die Grenze, ist das ein ganz normales Lebensmittel – wir haben in den letzten Tagen erfahren, gut, es wird bei uns nicht gegessen, ist aber im Prinzip wunderbar gesund. Und ich fand das schon interessant, in Frankreich haben Hilfsorganisationen selbst vorgeschlagen, das lieber zu verschenken als zu vernichten, darunter etwa Secours populaire oder Restos du Cœur oder gar der große Verband, der wirklich sehr große Verband der französischen Lebensmittelbanken. Ist das nicht auch wieder eine zutiefst deutsche Moraldiskussion?

Häuser: Ich denke, das ist eine andere Art. In Frankreich haben sie ja auch eine andere Kultur, was Pferdefleisch betrifft. Andersrum weiß ich nicht, was die gesagt haben, mir liegt auch nicht das vor, beispielsweise von der Banque alimentaíre, liegen mir natürlich auch Nachrichten vor, wo die sagen, das wollen wir auf keinen Fall. Da sind einige Leute, die das scheinbar gesagt haben, deshalb kann ich schlecht sprechen für die Kollegen in Frankreich, werde ich auch jetzt nicht tun. Nur auf unseren Bereich gesehen, in unserem Bereich, würde ich schon sagen, das ist nicht möglich, weil, wenn wir von vornherein sagen würden, wir haben jetzt Pferdefleisch übrig, also sagen wir mal, die Bockwürstchen aus Pferdefleisch von Edeka oder so, die angeboten werden, ganz normal im Sortiment, wenn die übrig sind, jemand nimmt die und sagt, ich nehme die, ich esse die, gar kein Problem. Aber das wäre ja so eine Sache, wo der Politiker sagte, ihr nehmt das zurück und verteilt das an die Bedürftigen, …

Timm: Ja, die sind ja auch nicht gezwungen, das zu nehmen.

Häuser: Bitte?

Timm: Die sind ja auch nicht gezwungen, das zu nehmen, die können ja nein sagen.

Häuser: Wenn Sie kein Geld haben und Ihnen sonst nichts übrigbleibt, dann haben Sie doch ein Problem, viel schlimmeres Problem. Das wäre ja genau so, wenn ich jetzt meine … umgekehrter Vorschlag, wir machen in der Bundestagskantine jetzt eine Woche lang mit diesem Essen Mittagessen.

Timm: Eigenartige Vorstellung. Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton", wir sprechen mit Gerd Häuser, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes Deutsche Tafel, und es erscheint fast wie eine Fügung, dass die Diskussion just auf den Tag fällt, an dem sich die erste Einrichtung einer Tafel, die Arme mit Lebensmittelspenden unterstützt, zum 20. Mal jährt. Herr Häuser, inzwischen ist die Tafel ja ein bundesweit etabliertes Hilfsangebot. Mögen Sie das überhaupt feiern oder würden Sie sich lieber abschaffen?

Häuser: Ich würde mich lieber abschaffen. Ich meine, mir wäre es lieb, wenn überhaupt niemand gezwungen wäre, von der Tafel zu holen. Was anderes ist natürlich der ökologische Teil, das heißt also, dass wir Lebensmittel nicht wegwerfen, das will ich mal ausklammern. Wenn Sie auf den sozialen Teil geben, halte ich das für nicht feiernswürdig, sondern ich halte es für feiernswürdig, dass es Menschen gibt, die sich seit 20 Jahren einsetzen für so was, dass die Zivilgesellschaft reagiert, aber nicht, dass Tafeln notwendig sind.

Timm: Vor 20 Jahren, da schnappten sich wohltätige Damen Obst und Gemüse, das noch völlig in Ordnung war, aber eben auf dem Müll gelandet wäre, und schenkten es Obdachlosen. Das war auch eine sehr politische Idee, die sich dann immer weiter ausweitete. Sind die heute Bedürftigen eigentlich immer noch die Gleichen, oder hat sich der Kreis der Menschen, denen Sie helfen, verändert?

Häuser: Ich denke, er hat sich total verändert. Wenn Sie damals gesagt hätten, dass Leute zu uns kommen, die einen Job haben, die aber Transferbezieher sind, das heißt also, sie können nicht von ihrem Job leben, und zur Tafel gehen, das gab es damals noch nicht. Der Teil der Alleinerziehenden mit Kinder, auch ein Teil, der viel stärker kommt, und natürlich viel mehr Rentner. Also wir geben es viel weniger Institutionen, sondern die Menschen kommen selber zu den Tafeln, und sie kommen bewusster zu den Tafeln. Früher war das ein Verstecken, dafür kommen heute viele Leute und sagen, ich tue was, und ich bin auch dafür, in diesem Kreislauf, damit nichts weggeworfen wird.

Timm: Sie wünschen sich, nicht nötig zu sein, und zugleich ist es heute schick, Schirmherr über eine Tafel zu sein. Berlins Bürgermeister Wowereit ist sehr gerne Ehrenmitglied – wie sehen Sie solchen Zwiespalt, wie gehen Sie damit um?

Häuser: Es ist schon ein Zwiespalt, wenn Sie sagen, Politiker sind Schirmherr. Ich denke, wir müssen zusammenarbeiten mit der Politik. Natürlich wäre es mir lieber, wenn wir nicht nur eine Umverteilungsdebatte in Deutschland führen würden, sondern praktisch anfangen würden mit einer Umverteilungspolitik, und zwar in der gesamten Gesellschaft.

Timm: Ja, nun wird der Sozialstaat wahrscheinlich erst mal nicht ausgeweitet werden, da ist es doch ein Glück, dass sich Menschen ehrenamtlich bei der Tafel engagieren, oder verfestigen Sie Strukturen, weil Sie dem Staat ja auch die Arbeit abnehmen?

Häuser: Das meine ich jetzt nicht, also nochmals, es gibt einen Unterschied zwischen der Daseinsfürsorge, die hat der Staat zu tragen. Und was wir machen, ist ein zusätzliches Angebot, damit dann, wenn was übrig bleibt, die Menschen am sozialen Leben teilnehmen können, also kulturell oder Sportverein, oder sonst, was sie machen wollen. Und ich halte es dann schon für ganz toll und ganz wichtig, dass sich so viele Menschen wie bei uns – zurzeit zwischen 50.000 und 60.000 – täglich wirklich dazu bemühen, da mitzuarbeiten. Das finden Sie sonst kaum irgendwo.

Timm: Ich möchte noch mal zurück zum Anfang unseres Gespräches. Mir ist nämlich aufgefallen, dass Sie das Ökologische auch mehrfach betont haben, eben dieser Lebensmittelberg. Vor diesem ganzen Hintergrund: Sie verteilen auch Obst und Gemüse, das nicht mehr verkäuflich ist, aber noch in Ordnung. Und jetzt Prisen von Pferdefleisch in irgendwelcher Lasagne – dieser ganz große Unterschied, warum man das unbedingt auf diesen großen Lebensmittelberg, der eh vernichtet wird, noch draufschmeißen soll, ist mir nicht deutlich.

Häuser: Mir ist es schon deutlich, weil gerade hier in dem Fall ist es eine Sache, wenn ich den Apfel nehme, da geht es um den Flecken im Apfel. Der ist weder schädlich, noch ist der irgendwo kulturell, noch ist der ekelhaft. Das, was da passiert, ist ja, wenn ich die Lasagne nehme und da ist Pferdefleisch drin, und wie es zurzeit erbracht worden ist, da ist das Ding falsch deklariert, jemand hat versucht zu betrügen, das bedeutet natürlich, dass auch der Verbraucher sagt, um Gottes willen, das nicht kaufen würde. Und wenn er es nicht kaufen würde, dann muss ich es natürlich genau so bei der Tafel nicht anbieten, weil dann soll er es auch selbst nehmen müssen.

Und er muss es halt nehmen, weil er im Zwiespalt steht. Sie dürfen nicht vergessen, wenn Sie nicht haben, und dann nur Nudeln so essen, dann kommen sie auf die Gefahr hin, ja, dann nehmen wir es vielleicht doch, und sie essen es dann, wie man in Hessen sagt, … Also ich würde es persönlich auch nicht essen wollen zurzeit.

Timm: Meint Gerd Häuser, der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutsche Tafel, und vor 20 Jahren, da gab es in Berlin die erste Tafel, die sozial Schwache mit Lebensmitteln unterstützte. Herr Häuser, danke für das Gespräch!

Häuser: Ich danke Ihnen, Frau Timm!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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