Pfeifen für Fernost

Von Joachim Hildebrandt · 08.06.2013
Die Globalisierung macht auch vor deutschen Orgelbauern nicht halt. Eine Firma aus Werder bei Potsdam stellt ein Instrument her, das handwerkliche Tradition mit ganz neuen Klängen verbindet - eine Orgel aus Bambus für ein Konzerthaus in Taiwan.
Für die Orgel in Pingtung ist ein Großteil des Pfeifenwerks bereits gebaut. Die Windladen werden gerade fertig gestellt. Das ist ein rechteckiger Kasten aus Hartholz, auf dem die Pfeifen stehen, nach Klangfarbe und Tonhöhe sortiert. Vereinfacht gesagt wird von dort der Orgelwind auf die einzelnen Pfeifen verteilt. Die Windladen sind das Herzstück einer jeden Orgel. Die Tonmechanik wird danach eingerichtet. Der Orgelbauer Michael Zierenberg hat für das Register mit den Bambuspfeifen die Vorintonation durchgeführt. Das Trimmen der Pfeifen auf bestmöglichen Klang nennt man Intonation. Bei der Vorintonation wird in der Werkstatt schon so weit wie möglich alles vorbereitet, damit ein einheitliches Klangbild innerhalb eines Registers entsteht.

Zierenberg: "Das Bambusregister ist das allererste, was ich hier in die Vorintonation genommen habe, das ich auch selber gebaut habe. Da es das unbekannteste von allen Registern für uns ist, haben wir das schon vorab gebaut, damit wir überhaupt wissen, ob es geht. Und wir haben Glück gehabt."

Bambus kann reißen, es kann splittern. Es ist kein leicht zu verarbeitendes Material. Im traditionellen Orgelbau werden für die Pfeifen aus Holz einheimische Hölzer verwendet, wie Birke, Eiche, Buche, Kiefer und Fichte. Diese Hölzer werden abgelagert und unter gleichmäßigen klimatischen Bedingungen aufbewahrt.

Michael Zierenberg: "Beim Bambus ist es so: Das ist kein Holz. Es ist ein natürlich gewachsenes Gras, und es ist ein sehr schnellwüchsiges Gras, das, wenn es getrocknet ist, sehr schnell dazu neigt, zu reißen und zu splittern. Das war für uns die größte Herausforderung.

Es sind 42 einzelne Pfeifen, dementsprechend auch 42 Röhren, die alle einen unterschiedlichen Durchmesser haben. Diese unterschiedlichen Durchmesser, die ein bisschen springen und nicht ganz homogen sind, die bringen ein etwas auffälligeres Klangbild, als man es von Orgelregistern her kennt, wo man bemüht ist, eine gleichmäßige Intonation, das heißt einen durchgehenden Charakter innerhalb eines Registers herzustellen. Es ist eher dem natürlichen Instrument der Traversflöte angeglichen, die auch in allen Lagen etwas unterschiedlich klingt, je nachdem, wie geblasen oder gegriffen wird, wo auch innerhalb einer Oktave schon unterschiedliche Töne entstehen."

Wir können in diesen Orgelpfeifen aus Süßgrashalmen einen sehr hohen Ton oder einen scharfen Tön hören, der jedes Mal eine exotische Klangfarbe hat.

Michael Zierenberg: "Hier haben wir unsere Bambusflöte fertig. Die geht von Groß-C bis F-2. Dann wird sie in Metall weiter gebaut. Ich spiele einfach mal ein paar Töne.

Hier hört man also sehr schön den Traversflötencharakter. Das Besondere an diesem Register ist, dass die unteren beiden Oktaven in natürlicher Länge gebaut sind und der Rest der Pfeifen in doppelter Länger dann überblasend intoniert wird. Das klingt dann wie eine Piccoloflöte."

Nur ein Vorbild existiert bereits weltweit. Auf den Philippinen hat ein spanischer Missionar Anfang des 19. Jahrhunderts sein Instrument mit 900 Bambuspfeifen für die Dorfkirche Las Pinas bei Manila gebaut.

Michael Zierenberg: "Das Vorbild in Manila war für uns nicht zugänglich. Es wäre auch zu umfangreich gewesen, dort zu recherchieren. Wir sind quasi ins kalte Wasser gesprungen und haben gesagt, wir probieren es auf unsere eigene Art und Weise. Das Vorbild für dieses Register kommt von der Bansuri. Das ist eine Flöte, die genauso gespielt wird wie die Traversflöte, kommt aus dem asiatischen Raum. Das ist eine Flötenbautradition, die dort seit Jahrhunderten, wenn nicht sogar seit Jahrtausenden Tradition hat."

Im letzten Jahr hat die Firma Schuke Kirchenorgeln etwa in Seehausen, Wittenberge und im altmärkischen Eichstedt restauriert. Aber die Kirchgemeinden neigen jetzt mehr dazu, zu sparen und eher nicht kostenaufwendige Instrumente sich anzuschaffen. Momentan führen die Mitarbeiter der Orgelfirma vor allem Reparaturen, Restaurierungen oder auch Reinigungen der Instrumente durch.

"Dann ist immer die Frage, welche Gemeinde setzt die Prioritäten in Richtung Instrument, wobei meine Meinung ist, dass auch eine Orgel ein Verkündigungsinstrument ist und nicht nur der Pfarrer."

Angesichts dieser Lage sind solche Aufträge wie die aus dem fernen Osten willkommen. Und natürlich ist es eine besondere Herausforderung und technisch reizvolle Aufgabe für die Firma Schuke, die Orgel für das Konzerthaus in dem taiwanesischen Pingtung mit einem Register aus Bambuspfeifen auszustatten.

"Die Asiaten suchen sehr gerne die deutschen Orgelbaufirmen auf, weil Deutschland im Orgelbau eine sehr gute und ausgereifte Tradition hat, auch auf dem Gebiet der Konzertorgeln in den letzten Jahren eine ganze Menge passiert ist und die Orgeltradition in den asiatischen Ländern, dadurch, dass die Religion auch eine andere ist, nicht diesen Stellenwert hat wie in Europa."

Wenn man vor der Orgel steht, sieht man die beigefarbenen Bambuspfeifen zunächst in einer Länge von 60 cm. Über zwei Oktaven verringert sich die Länge der Pfeifen dann auf 15 cm.

"Jede Pfeife steht für einen Ton und die Tonhöhe ergibt sich aus der Länge des Pfeifenkörpers. Wenn ich einen Pfeifenton ungefähr berechnen will, dann gehe ich über die Frequenz, in Verbindung mit der Schallgeschwindigkeit ergibt sich dann für den jeweiligen Ton eine Wellenlänge. Die gibt quasi die Körperlänge der Pfeife vor."

Die Orgel wird Ende August in einen Container verfrachtet und per Schiff auf die Reise nach Taiwan gehen. Ein Kollege von Schuke wird dann die Montagearbeiten vor Ort koordinieren. Das Montageteam, vier oder fünf Techniker und drei oder vier Mitarbeiter für die Intonation, reist mit nach Taiwan. Die gesamten Kosten für Bau und Aufbau der Orgel mit Bambuspfeifen belaufen sich etwa auf 700.000 Euro.