Kommentar zu PFAS
Fragwürdige Antihaft-Beschichtung: Teflon gehört zu den Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS). © IMAGO / Tillmann Pressephotos
Das Asbest unserer Zeit
04:32 Minuten

Asbest wurde Jahrzehnte lang eingesetzt, obwohl seine Risiken bekannt waren. Die Chemikaliengruppe PFAS birgt ähnliche Gefahren – und steckt doch in Tausenden Alltagsprodukten.
Ein Wunderstoff! Vielseitig, wasserfest, hitzebeständig, isolierend. Und dazu auch noch so preiswert! Ideal für Ihr neues Dach, den Küchenfußboden, als Kitt oder wenn Sie einen Spiegel ankleben wollen. Sogar feuerfeste Kleidung lässt sich daraus herstellen.
So könnte sich vor 50 Jahren eine Werbung für Asbest angehört haben. Etwa 3000 verschiedene Produkte waren auf dem Markt. Aus der Baubranche schien der Stoff aus den winzig kleinen Fasern einfach nicht mehr wegzudenken. Und so findet sich heute Asbest in schätzungsweise 70 Prozent der vor 1990 errichteten Häuser.
Mindestens 1500 Asbest-Tote pro Jahr
Dabei war schon früh bekannt, dass Asbest extrem gesundheitsschädlich ist. Bereits in den 1930er-Jahren wurde "Asbestose" als Berufskrankheit anerkannt – Heilung ausgeschlossen. Trotzdem erlebten die Fasern nach dem Zweiten Weltkrieg einen Boom. Die Sache war ein Riesengeschäft. Versuche, das Material zu verbieten, konnten der Konzern Eternit und andere Lobbyisten lange Zeit verhindern.
Sie argumentierten mit den vielen Tausend Arbeitsplätzen in der Produktion und behaupteten, es gäbe keine Ersatzstoffe. So dauerte es bis 1993, bis Asbest in Deutschland endlich verboten wurde. Bis heute sterben jedes Jahr nachweislich 1500 Menschen an den Folgen eingeatmeter Asbestfasern – wahrscheinlich sind aber es zehnmal so viele.
Vom Wundermineral zum Sondermüll
Die Entsorgung von Asbest ist derweil zu einem lukrativen Geschäftsfeld geworden. 3700 Euro, um die Fassade einer Gartenlaube zu entsorgen – geradezu ein Schnäppchen. Andere Anbieter verlangen bis zu 12.000 Euro. Was einst, als billiges Wundermineral verbaut wurde, ist heute toxischer Sondermüll. Volkswirtschaftlich ist das Nutzen-Kosten-Verhältnis von Asbest eindeutig negativ: Krankenkassen und Berufsgenossenschaften müssen jährlich Milliarden aufwenden, hinzukommen die immensen Kosten für Sanierung und Deponierung.
Was gelernt aus dem Desaster? Nein. Das Asbest unserer Zeit klingt nur komplizierter: „Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen“, kurz PFAS.
PFAS stecken in Tausenden von Produkten
Die Teflonpfanne machte 1948 den Anfang. In den 1960er-Jahren wurden dann erste Gesundheitsschäden bei Chemiearbeitern nachgewiesen. Doch da stand der große Einsatz von PFAS noch bevor. Die Produktion der sogenannten Ewigkeitschemikalien ist in den vergangenen Jahrzehnten kontinuierlich gewachsen. Heute stecken sie in Tausenden von Alltagsprodukten: Outdoor-Kleidung, Backpapier, Kabelummantelungen, Kosmetik, Dichtungen, Feuerlöschschaum und vielem mehr. Es gibt über zehntausend Varianten dieser Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen – fest, flüssig oder gasförmig, bestehend aus langen oder kurzen Molekülketten. Weil sie nicht abbaubar sind, reichern sie sich immer weiter an. Längst sind sie angekommen in den Körpern von Pinguinen und Eisbären ebenso wie im Blut fast aller Menschen.
WHO stuft bestimmte PFAS als krebserregend ein
Die Weltgesundheitsorganisation hat bestimmte PFAS vor Jahren als krebserregend eingestuft. Auch Alzheimer und Adipositas, Leber- und Nierenschäden sind darauf zurückzuführen. Darüber hinaus steht die Stoffgruppe im Verdacht, das Gewicht von Neugeborenen zu mindern und ihrer Hirnentwicklung zu schaden.
Ein generelles Verbot? Sie ahnen es. Wieder sind Lobbyisten am Werk. Sie behaupten, dass alle "modernen" Industrien ohne PFAS schlicht nicht mehr funktionieren würden. Zugleich ist ein neuer Wirtschaftszweig entstanden: Mit Boden- und Gewässersanierung lässt sich sehr viel Geld verdienen.
Deutschland und andere Länder wollen PFAS nun endlich vom Markt verdrängen – soweit es Alternativen gibt. Wo die fehlen, soll es erst einmal weitergehen wie bisher. Die volkswirtschaftlichen Kosten werden auf weltweit Hunderte von Milliarden, wenn nicht sogar Billionen Euro geschätzt. Die trägt in der Regel die Allgemeinheit – ganz abgesehen von dem vielfachen Leid der Kranken. Nötig wäre, den Herstellern die Kosten aufzubrummen – und ein generelles Verbot, und zwar sofort.