Pfarrerin Christiane Müller

Raus aus der Kirche, rein ins Leben

Ein Grabstein mit eingraviertem Kreuz steht am 22.10.2015 hinter einem gelben Grabgesteck auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main/Hessen.
Zwölf Jahre lang Pfarrerin - das war für Christiane Müller genug. © dpa / picture alliance / Alexander Heinl
Von Kirsten Dietrich · 28.02.2016
Zwölf Jahre war Christiane Müller evangelische Pfarrerin. Doch eines Tages konnte sie nicht mehr. Wie sie sich von ihrer Kirche verabschiedete – und eine neue geistige Heimat fand.
Twitter 31.08.15: "Morgen trete ich aus der ev. Kirche aus, um bei den Alt-Katholiken einzutreten. Manchmal gehen Entscheidungen schnell. #"
"Ich heiße Christiane Müller, ich war zwölf Jahre lang evangelische Pfarrerin und hab mich 2015 selbständig gemacht als freie Theologin und Heilpraktikerin für Psychotherapie."
Twitter 10.12.15: "Von jetzt an heb ich Friseurrechnungen fürs Finanzamt auf, als freie Theologin muss ich schließlich gut aussehen."
Wenn Christiane Müller jetzt mit "Guten Vormittag, Gemeinde!" grüßt, dann macht sie das beim Kurznachrichtendienst Twitter. Den nutzt sie schon seit Jahren. Müller schreibt übers Geigespielen im Orchester und die Katze, über Spiritualität, den Tatort, Politik – nur eben jetzt keine Anekdoten mehr aus der Arbeit als Pfarrerin in einer bayerischen Kleinstadt.
Twitter 11.01.16: "Mein ganzes Leben nur noch ein Komponist? Grauenvoll. Aber wenn, dann Vivaldi."
Christiane Müller war von Anfang an keine typische Pfarrerin. Sie kam von außen in die kirchlichen Strukturen. Sie ist nicht mit Kindergottesdienst und Krippenspiel großgeworden, ganz im Gegenteil: Ihr Vater war Pfarrerssohn und empfand das als so bedrückend, dass er schon früh aus der Kirche austrat.
"Er hat mal gesagt, es wird nirgends so viel gelogen wie in deutschen evangelischen Pfarrhäusern. Man muss immer nach außen ein Bild vermitteln, was man eigentlich gar nicht ist."
Christiane Müller kam nicht über die Gemeindearbeit zur Kirche, sondern über die Fragen. Davon hatte sie viele, sagt sie, schon als Kind. Mit 20 ließ sie sich taufen. Sie wurde evangelisch – auch wenn ihr eigentlich der katholische Gottesdienst viel besser gefiel. Aber sie wollte sich die Möglichkeit bewahren, ihre Glaubensfragen auch zum Beruf zu machen.
"Ich bin wirklich mit Leib und Seele Theologin, ich hätte da gerne sehr viel vermittelt. Aber ich hab gemerkt, dass vom Pfarrer eigentlich hauptsächlich erwartet wird, dass der Kirche repräsentiert zum Beispiel bei Geburtstagsbesuchen oder zum Beispiel bei der Teilnahme an Vereinssitzungen, lauter so Zeug, sag ich mal, das mit dem, was ich wollte, nicht so viel zu tun hat."

Die Suche nach dem Platz in der Gemeinde

Ein Eintrag aus Christiane Müllers Weblog aus dem Jahr 2014, Titel: "Wo sind die anderen?"
"Wäre ich nicht – noch – Gemeindepfarrerin, sondern würde zufällig als evangelische Christin in 'meiner' Gemeinde wohnen, gäbe es keine einzige kirchengemeindliche Veranstaltung, die mich hinter dem Ofen hervorlockt. Puh. Jetzt ist es raus. Mal ernsthaft: Ich bin 41, ledig, Akademikerin. Welche Veranstaltung meiner – oder im Prinzip irgendeiner beliebigen – volkskirchlichen evangelischen Gemeinde sollte ich denn besuchen? Die Mutter-und-Kind-Gruppe? Krabbelgottesdienst? Seniorenkreis? Frauenkreis (lauter Frauen jenseits der 55)? Gemeindefrühstück (kaum einer unter 70)? Gottesdienst? Ja, den vielleicht, manchmal."
"Zum Ausstieg kam es wieder mal mit einer einschneidenden biografischen Erfahrung, und zwar als ich 39 war, da sind relativ kurz hintereinander meine beiden Eltern gestorben, da hab ich gemerkt: Jetzt ist Halbzeit."
Christiane Müller lässt sich Anfang 2015 beurlauben, ohne Bezüge. Sie will in Ruhe überlegen, wie es mit ihr und der Theologie weitergehen kann. Sie macht eine Ausbildung zur Heilpraktikerin für Psychotherapie und bietet erste Beerdigungen als freie Theologin an. Allerdings gegen Honorar – das rief schnell die Landeskirche auf den Plan. Die bot kein Gespräch an, sondern drohte mit Strafmaßnahmen – und dann war für Christiane Müller alles plötzlich ganz einfach.
"Das war auf einmal völlig klar. Als der Dekan vor mir saß und ein Disziplinarverfahren ankündigte. Klar kann man sagen: selber schuld, aber das war auf der anderen Seite der Kick, den ich gebraucht habe, um endlich auszusteigen, so seh ich's inzwischen. Weil ich hätte sonst ewig noch so weitergemacht, ich hätte gedacht, okay, probier's noch mal, hast schon so viel investiert, die Verbeamtung ist dann weg, das schöne Gehalt ist weg, aber ich war ja eigentlich nie 100% identifiziert mit dem, was ich da mache. Das wäre die Entscheidung für die Sicherheit gewesen. Nach dem letzten Gespräch mit der Regionalbischöfin im Grunde hab ich am nächsten Tag die Ordinationsurkunde zurückgeschickt. Und bin dann zwei Tage später aus der evangelischen Kirche ausgetreten."
Twitter 20.08.15: "Ich. Bin. Frei. Müde, ungewisse Zukunft, kaum geschlafen - aber frei. Ich muss keine Rücksicht mehr nehmen auf einen Arbeitgeber, der in mein Leben hinein regiert. Von jetzt ab nach vorne. Guten Morgen."
Seit ihrem Ausstieg ist Christiane Müller auf der Suche. Nicht nach Sinn oder Spiritualität, sondern nach einer beruflichen Existenz, die den Lebensunterhalt sichert. Das ist durchaus mühsam. Aber sie ist zuversichtlich: Immer deutlicher kristallisiert sich die Arbeit als Trauerrednerin und Anbieterin von Ritualen heraus. Dabei bleibt Christiane Müller sehr bewusst Mitglied einer Kirche, nur eben jetzt der altkatholischen. Die hat sie als neue geistliche Heimat ausgesucht, weil sich in ihr katholische Spiritualität und eine gewisse Öffnung für Frauen verbinden lassen.
"Das war eigentlich schon ein logischer Schritt, weil ich als freie Theologin genau die Sachen machen kann, die mir am Pfarramt in meinem bisherigen Beruf auch wichtig waren. Aber ich bin halt nicht mehr an kirchliche Vorschriften gebunden damit. Ich hab mit Leuten zu tun, mit denen ich im Pfarramt niemals zu tun gehabt hätte, das find ich sehr spannend, und vor allem find ich es spannend, was für Glaubensfragen diese Menschen dann doch haben, die unter der Hand dann doch immer rüberkommen."
Twitter 11. Januar 2016: "Freies Theologen Wonderland: Drei Anfragen für Trauungen gestern und heute. Zwei davon leider für denselben Tag."
Und vielleicht, daran glaubt Christiane Müller, ist das, was sie lebt, ein Hinweis darauf, wie Kirche in Zukunft sein wird. Nicht mehr die Volkskirche, die die Mehrheit vor Ort in ihrer Lebensweise bestätigt. Sondern Suchende, die sich immer neu und passend zur Lebenssituation und ihren Fragen zusammenfinden.
"Ich bin nach wie vor gläubig, und ich glaub, das klingt jetzt total geschwollen, dass Gott durch mich wirkt. Nicht exklusiv, nicht mit Heiligenschein oder so, aber ich glaub schon, dass ich dadurch Gott irgendwie zu den Menschen bringe. Die sonst vielleicht nicht so nach ihm gefragt hätten."