Petersen: Journalisten in Pakistan vom Wohlwollen der Taliban abhängig

Britta Petersen im Gespräch mit Matthias Hanselmann |
Während Journalisten in einigen Teilen Pakistans "relativ normal arbeiten" könnten, sei Kritik an den Taliban in manchen Gebieten an der pakistanisch-afghanischen Grenze kaum möglich, sagt Britta Petersen, Reporterin und Journalistik-Dozentin in Afghanistan und Pakistan. Bestimmte Thematiken müssten aus der Berichterstattung ausgeklammert werden, so die Vorsitzende der "Initiative Freie Presse".
Matthias Hanselmann: Wir schauen nach Pakistan. Für den "Spiegel" ist das Land am Abgrund. US-Experten nennen Pakistan das gefährlichste Land der Welt. Mehr als 100 Menschen sind allein seit Anfang dieses Monats bei Anschlägen von Terroristen getötet worden. Selbstmordattentate, bewaffnete Angriffe und Bombenexplosionen haben inzwischen Teile des öffentlichen Lebens komplett lahmgelegt. Alle Schulen und Universitäten sind zurzeit geschlossen. Durch die Kämpfe zwischen der pakistanischen Armee und Einheiten der Taliban sind über 120.000 Menschen vertrieben worden. Man kann sich vorstellen, dass auch die Arbeit von Journalisten in diesem Land unter schwierigsten Bedingungen vonstatten geht. Britta Petersen ist Journalistin und bildet seit 2003 Journalisten in Afghanistan und seit vergangenem Jahr auch in Pakistan aus. Sie ist die Gründerin und Vorsitzende der "Initiative Freie Presse", die unter anderem vom Auswärtigen Amt und vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert wird. Jetzt ist Britta Peterson für uns am Telefon in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Guten Tag, Frau Petersen!

Britta Petersen: Guten Tag, Herr Hanselmann!

Hanselmann: Unter welchen Bedingungen arbeiten Journalisten zurzeit in diesen Zeiten des Terrors in Pakistan und dem Grenzgebiet zu Afghanistan?

Petersen: Dazu muss man wissen, dass die Lage in Pakistan, vor allen Dingen in den Grenzgebieten, sehr unterschiedlich ist als im Rest des Landes. Es gibt die Provinz North-West Frontier Province, die an Afghanistan angrenzt, und dort wiederum gibt es die sogenannten autonomen Stammesgebiete, die nie der Gesetzgebung des Gesamtstaates Pakistan unterlegen haben, das ist ein Erbe der britischen Kolonialzeit. Dort haben die pashtunischen Stämme, die dort ansässig sind, sich weitgehend selbst regiert und in diesen Regionen haben die Taliban in den letzten Jahren die Macht übernommen. Deswegen ist die Lage dort für Journalisten eine komplett andere als sagen wir in Islamabad oder Lahore, wo man noch relativ normal arbeiten kann. In den Stammesgebieten ist im Grunde genommen im Moment jeder vom Wohlwollen der Taliban abhängig. Das heißt, wenn man sich als Journalist mit den Taliban anlegt, dann hat man schlechte Karten.

Hanselmann: Wie kann man das vermeiden?

Petersen: Das kann man eigentlich kaum – also das kann man natürlich vermeiden, indem man nicht kritisch über die Taliban berichtet. Es ist natürlich nicht so, dass man gar nicht mehr dort berichten kann. Es findet jedoch noch jede Menge Berichterstattung unterhalb des Levels statt, wo man die Taliban kritisiert, aber trotzdem müssen die Journalisten dort natürlich sehr vorsichtig sein, wie im Übrigen jeder andere auch. Also man kann schon Probleme bekommen, wenn man nur keinen Bart hat oder sich als Frau einen Liebhaber zulegt.

Hanselmann: Vor zwei Wochen erst haben Sie in Islamabad, der Hauptstadt Pakistans, einen Kurs zum Thema "investigativer Journalismus" gegeben. Vielleicht erzählen Sie uns, wie sowohl in diesen etwas sichereren Gebieten als auch in den umkämpften Krisengebieten, die Sie eben genannt haben, Journalismus überhaupt funktionieren kann. Wer waren denn die Teilnehmer dieses Kurses?

Petersen: Die Teilnehmer des Kurses waren ausschließlich Journalisten aus den Stammesgebieten in North-West Frontier Province, das ist sozusagen die Zielgruppe unseres Projekts. Wir arbeiten mit pashtunischen Journalisten auf beiden Seiten der Grenze zusammen, aus Afghanistan und aus Pakistan, weil wir die Leute von beiden Seiten der Grenze zusammenbringen wollen und hoffen, dahingehend wirken zu können, dass die dazu beitragen, die Konflikte ein bisschen zu entschärfen. Aus Sicherheitsgründen konnten wir den Kurs nicht Peshawar, in der Hauptstadt von North-West Frontier Province, stattfinden lassen, wo wir das normalerweise machen. Die pakistanische Regierung erlaubt im Moment ausländischen Journalisten dort gar nicht hinzufahren. Die Lage für die Journalisten in den Stammesgebieten ist extrem schwierig. Sie war schon immer sehr schwierig, weil dort eben auch eine andere Gesetzgebung gilt als im Rest des Landes. Das heißt, man kann dort nicht ohne Weiteres journalistisch arbeiten, es gibt dort praktisch keine Radiosender, die in der pashtunischen Sprache arbeiten dürfen, es gibt dort sehr viele Analphabeten, Zeitungen sind dort deswegen nicht sehr weit verbreitet. Und als Journalist unterliegt man auch anderen Restriktionen, als wenn man in Islamabad arbeitet.

Hanselmann: Da frage ich mich natürlich sofort, wie kann man denn dort überhaupt von investigativem Journalismus sprechen?

Petersen: Es ist natürlich eine wichtige Frage, die wir auch in unseren Kursen immer diskutieren. Wichtig in diesen Kursen ist, dass man die Leute dazu ermutigt, eine seriöse journalistische Arbeit zu machen. Und wie wir im letzten Kurs auch festgestellt haben in Islamabad, sind durchaus eine ganze Menge der Teilnehmer der Meinung, dass man bestimmte Themen durchaus kritisch-investigativ angehen kann, zum Beispiel das Thema Korruption in den Behörden. Mit bestimmten Gruppen darf man sich natürlich dort nicht anlegen. Das Stichwort lautet dort "Target Killings". Es gibt dort Leute, die gezielt umgebracht werden von den Taliban, aber auch von anderen interessierten Gruppen. Es ist auch schwierig, wenn man bestimmte Themen, die sagen wir mal das pakistanische Militär oder den Geheimdienst betreffen, aufgreift, da muss man extrem vorsichtig sein. Aber es ist nicht so, dass man über gar nichts berichten kann.

Hanselmann: Vor dem Hintergrund dessen, was Sie uns bisher schon alles geschildert haben: Warum wollen junge Menschen in Pakistan oder in den Grenzgebieten zu Afghanistan denn eigentlich überhaupt noch Journalisten werden, dort als Journalisten arbeiten?

Petersen: Ich glaube, die Motivation ist sehr unterschiedlich, das mag vielleicht überraschen. In Afghanistan ist Journalismus in den letzten Jahren beinahe eine Art Modeberuf gewesen. Nach dem Fall der Taliban-Regierung dort hatten sehr viele Leute die Motivation, jetzt aber, das Afghanistan als freies Land mit einer freien Presse aufzubauen. Das ist zum Teil auch immer noch so. Die Lage der Medien ist leichter in weiten Teilen Afghanistans als in Pakistan, die Kontrolle des Staates ist kaum dort. In Pakistan ist es, glaube ich, sehr gemischt. Vor allem in den Stammesgebieten, die nicht sehr weit entwickelt sind, ist Journalismus für viele Leute gar nicht der Hauptberuf, sondern eine Art und Weise, wie man sich noch was dazuverdienen kann. Häufig haben die ihre Läden vor sich, häufig sind die auch Bauern oder haben eine Tankstelle und arbeiten dann als Korrespondenten für Zeitungen, die in Islamabad oder in Lahore sitzen, und verdienen sich dadurch zusätzlich noch so ein bisschen Geld und haben dann außerdem noch die Reputation, die damit einhergeht, dass man sagen kann, ich bin Journalist. Hin und wieder kommt es sogar vor, dass die tatsächlich investigative Geschichten machen und dann zu dem entsprechenden Politiker gehen und sagen: Ich hab hier die und die Geschichte, was gibst du mir, wenn ich sie nicht veröffentliche?

Hanselmann: Es geht so rum, geht es vielleicht auch andersrum, kann man sagen, dass es noch Teile von freier Presse gibt in Pakistan, die noch nicht instrumentalisiert ist?

Petersen: Es gibt die Möglichkeit, das haben mir bestimmte Journalisten auch immer wieder versichert. Also man kann bestimmte Geschichten machen, wichtig ist, dass man die Motivation der Leute stärkt, ihre Funktion als Medien wahrzunehmen. Das gilt für die North-West Frontier Province, und in Islamabad und in Lahore und in Karatschi kann man durchaus journalistisch arbeiten. Dort ist wiederum, glaube ich, die Gefahr eher die, dass Journalisten instrumentalisiert werden, was zum Teil an der wirtschaftlich schlechten Lage liegt. Wenn man sehr wenig Geld verdient, dann ist es natürlich leicht, jemanden zu kaufen. Zum anderen ist es aber auch so, dass das pakistanische Militär häufig Medien dazu nutzt, Kampagnen loszutreten, und ich glaube, man muss einfach bei den Journalisten dort auch das kritische Bewusstsein und den Medienethos stärken.

Hanselmann: Frau Petersen, Sie werden, soweit ich weiß, in absehbarer Zeit wieder nach Pakistan reisen. Mit welchen Gefühlen fahren Sie dorthin, welche Rolle spielt vielleicht die Angst?

Petersen: Ich muss Ihnen sagen, wenn man die Medien in Deutschland liest, dann denkt man sicher immer, das ist ganz, ganz schrecklich und wie kann man da überhaupt hinfahren. Es ist vor Ort ganz anders, als man denkt. In Islamabad kann man immer noch im Straßencafé sitzen und einen Kaffee trinken und über den Markt bummeln, in Peshawar ist das leider inzwischen nicht mehr so, das war aber auch bis vor anderthalb Jahren noch so. Insofern habe ich bisher dort gar nicht so viel Angst gehabt. Allerdings ist die Lage, so wie sie sich im Moment entwickelt, beunruhigend, zumal ich nicht genau weiß, welches Spiel eigentlich im Moment die Armee spielt. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Armee wirklich 100 Prozent die Islamisten bekämpfen will und sich immer noch einige Optionen offenhält. Deswegen ist die Lage in Pakistan im Moment durchaus kritisch.

Hanselmann: Dann wünsche ich Ihnen weiterhin viel Erfolg und vor allen Dingen Unbeschadetheit und größtmögliche Freiheit. Danke schön! Das war Britta Petersen, Journalistin und Vorsitzende der "Initiative Freie Presse", Ausbilderin von Journalisten in Afghanistan und Pakistan. Danke schön!