Peter Tauber über Einwanderung und Bürgersinn

Von Preußens positiven Traditionen lernen

08:05 Minuten
Salzburger Emigranten 1731/32. Vertreibung von 20.000 Protestanten aus dem Erzbistum Salzburg. “Hans Gruber hat nebst Weib und 7 Kindern einen Paß erhalten und den 27. September 1732 seine Emigration angetreten”. Kupferstich von Elias Baeck (1679-1747).
Preußen war sehr offen für Menschen von außerhalb, sagt Peter Tauber. Emigranten aus Salzburg wurden um 1730 größtenteils in Ostpreußen angesiedelt. © akg images / Elias Baeck
Moderation: Stephan Karkowsky · 28.06.2021
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Preußen steht heute meist für konservative Werte, oft auch für den Militarismus oder die Schwarze Pädagogik. Der CDU-Politiker und Historiker Peter Tauber sagt aber, für eine Einwanderungsgesellschaft könnte das Königreich Preußen ein Vorbild sein.
Stephan Karkowsky: Preußen war zunächst mal nur ein Land an der Ostsee. Später umfasste das Königreich Preußen fast ganz Deutschland nördlich der Main-Linie. Preußengibt’s lange nicht mehr, aber der Begriff Preußen steht heute für eine konservative Sehnsucht nach alten Werten und Tugenden. Manche davon wünscht sich der CDU-Politiker Peter Tauber offenbar zurück in seinem neuen Buch "Was hält uns zusammen? Lösungen für die Einwanderungsgesellschaft". Herr Tauber, der Preußen-Begriff durchzieht Ihren Text wie ein roter Faden. Wie kommt’s?
Peter Tauber: Ich bin von Hause aus Historiker. Es ist zwar kein historisches Buch, sondern ein politisches; es ist auch kein Buch über Preußen, sondern eher über uns, aber wir vergleichen uns natürlich. Und es gibt zwei Dinge, die man nicht ändern kann: die eigene Geschichte und die Geografie. Deswegen beschäftigt uns Preußen – nicht nur mich – immer wieder, und zwar sowohl im Dunklen als auch im Hellen. Nicht umsonst sind die preußischen Farben Schwarz und Weiß.
Karkowsky: Sie haben in Geschichte promoviert. Ist der neue deutsche Staat nach 1949 und erst recht nach 1990 nicht angetreten, um Preußen zu überwinden? Ich meine, die Alliierten haben Preußen doch nicht umsonst 1947 aufgelöst.
Tauber: Natürlich gibt es Dinge in der preußischen Geschichte, die uns fremd sind, und das ist auch ganz gut so. Aber, um mit Sebastian Haffner zu sprechen, der Preußen als Vernunftstaat beschrieben hat – das ist die Bundesrepublik ja nun dezidiert auch. Ein gewisses Pathos, wie wir es in der amerikanischen oder auch in der französischen Politik erleben, das ist uns ja fremd, wir sind da sehr rational. Da sind wir dann schon eher bei Kant als bei dem, was man so lautsprecherisch mit Preußen verbindet. Das war ja dann doch meist eher deutschnational als preußisch.

"Nicht dieser Drang nach Homogenität"

Karkowsky: Ihr Ruf "Mehr Preußen wagen" kann aber auch missverstanden werden. Ich denke bei Preußen vor allem an Militarismus, an Schwarze Pädagogik, an Standesdenken, auch an eine kleine Clique reicher Herrscherfamilien, der das Volk herzlich egal war. Kann man das alles ausklammern, Herr Tauber?
Tauber: Nein, das kann man nicht ausklammern. Es ist ja auch deswegen kein historisches Buch, sondern es ist ein Buch, das nach positiven Traditionen fragt. Sie haben die Schwarze Pädagogik angesprochen, dem würde ich das Humboldt'sche Bildungsideal entgegenstellen. Da muss man ja selbstkritisch sagen, unsere Bildungspolitik ist an vielen Stellen leider weit davon entfernt. Wir reden in Schule, auch in Universitäten inzwischen weitestgehend über Berufsvorbereitung, wir reden nicht mehr über Herzens- und Charakterbildung, wie das Humboldt ein Anliegen war. Da, glaube ich, können wir durchaus von den Preußen was lernen; wie auch ich mir – gerade wenn ich in soziale Netzwerke schaue – etwas mehr Kant wünschen würde und nicht so viel selbst verschuldete Unmündigkeit.
Karkowsky: Es geht ja im Buch inhaltlich vor allen Dingen um die moderne deutsche Einwanderungsgesellschaft. Wie kann Preußen denn dafür Vorbild sein?
Tauber: Die preußische Politik ist ja da ganz spannend, zumindest in gewissen Phasen. Zunächst ist Preußen ein viel weniger homogener Staat, als wir das heute denken. Es gibt eine große Zahl an ethnischen Minderheiten, die in diesem Staatsgebiet leben, die auch ihre Sprache pflegen, teilweise ihre eigene Kultur oder sogar Religion. Und das ist für den preußischen Staat kein Problem.
Es gibt nicht diesen Drang nach Homogenität, wie wir den leider durch die deutsche Nationalstaatsgeschichte bisweilen auch immer noch haben. Und dann muss man, wenn man wieder ein historisches Beispiel bemühen will, anerkennen, dass die berühmten preußischen Reformen, die wir ja in der Tat heute immer noch als vorbildhaft für die Reformfähigkeit eines Staatswesens beschreiben, ohne Nicht-Preußen nicht stattgefunden hätten. Es gab offensichtlich Menschen, die sich diesem Gemeinwesen verpflichtet haben, obwohl sie originär gar nicht dazugehört haben. Ich finde, diese Offenheit, die würde uns heute an vielen Stellen ganz gut tun.

"Ich wünsche mir mehr Freiheiten"

Karkowsky: Wichtig ist Ihnen auch das Bild des Staatsbürgers, und da lese ich in Ihrem Buch zwischen den Zeilen immer wieder, dass Sie sich im Prinzip Staatsbürger wünschen, die dem Staat gegenüber so eine Art preußischen Gehorsam an den Tag legen, der Bürger als Diener des Staates – oder habe ich Sie da missverstanden?
Tauber: Ich glaube, da haben Sie mich ein bisschen missverstanden. Was uns doch umtreibt, ist, dass es Dinge gibt, die können wir als Bürger gar nicht selber regeln; zum Beispiel die Pandemiebekämpfung in großem Stil. Wir können Masken tragen. Aber das große Ganze, das muss bitte der Staat übernehmen, das können wir ja gar nicht selbst.
Aber andererseits beschwert es uns ganz oft, dass der Staat in Dinge eingreift, von denen wir als Bürger ganz selbstbewusst sagen, das können wir schon selber entscheiden, wie wir das gerne machen möchten. Da, glaube ich, ist der preußische Staat zumindest in gewissen Phasen seiner Geschichte ein ganz gutes Vorbild, weil er eben für sich gar nicht in Anspruch genommen hat, alle Belange des Alltags zu regeln, sondern das den Bürgern anheimgestellt hat. Und das wünsche ich mir ehrlich gesagt von meinem Staat auch. Ich wünsche mir mehr Freiheiten, wo ich individuell entscheiden kann, was ich tun möchte und was nicht.
Karkowsky: Und welche Pflichten wünschen Sie sich für die Staatsbürger?
Tauber: Auch da sind wir ja durch unseren Nationalstaat geprägt und auch durch noch dunklere Phasen unserer Geschichte, ob wir wollen oder nicht – oft noch in diesem Bild, es müsste so etwas wie eine Homogenität innerhalb der staatlichen Gemeinschaft geben, sonst könne sie nicht funktionieren, sonst könne Zusammenhalt nicht funktionieren. Und das, glaube ich, ist ein großer Trugschluss. Es kommt nicht so sehr darauf an, wo jemand herkommt, wie bei den preußischen Reformern, sondern was er für dieses Gemeinwesen bereit ist zu tun.
Damit meine ich eben nicht pflichtschuldigen Gehorsam gegenüber der Politik oder staatlichen Institutionen, Verwaltungen, sondern damit meine ich auch die bewusste Wahrnehmung von Rechten, die wir als Bürger haben, also zum Beispiel unser Wahlrecht, uns einzubringen in der Demokratie. Da kann man sagen, das interessiert mich alles nicht. Oder man kann sagen, ich will dabei teilhaben, Demokratie ist ja dann manchmal auch anstrengend. Dieses Bürgerverständnis, zu sagen, mir ist das Gemeinwesen nicht egal. Egal, wo ich herkomme, ich will mitbestimmen, ich lebe hier, ich zahle hier Steuern, ich will, dass meine Kinder eine gute Zukunft haben. Das ist völlig unabhängig davon, ob die Vorfahren, wie meine, seit Jahrhunderten aus dem tiefsten Vogelsberg kommen oder aus anderen Teilen der Welt.

"Es braucht auch Grenzen"

Karkowsky: Sie beschreiben aber auch, wer zu diesem Deutschland nicht dazugehört – wer nämlich?
Tauber: Ja, der Staat muss Grenzen setzen. Ich glaube, das ist die andere Seite. Die können weit gefasst sein, aber es braucht sie eben. Wer in Deutschland zum Beispiel antisemitische Weltbilder pflegt, wer die Gleichberechtigung infrage stellt, wer das Primat der Politik infrage stellt, der, glaube ich, kann kein Bürger dieser Republik sein. Ich glaube, wir würden gut daran tun, solche Grenzen stärker zu beschreiben.
Karkowsky: Aber was machen wir mit diesen Bürgern, wenn sie denn deutsche Staatsbürger sind?
Tauber: Na ja, zumindest müssen wir mal drüber reden, wer darf’s eigentlich werden. Ich glaube, was viele, die einer offenen Einwanderungspolitik skeptisch gegenüberstehen, umtreibt, ist eben, dass wir natürlich in unserer Gesellschaft auch Beispiele gescheiterter Integration erleben, wo Menschen die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten haben, die nicht verstanden haben, in welches Gemeinwesen sie da eingetreten sind.
Diese Skepsis, die muss man auch seitens der Politik natürlich aufgreifen, wie wir das ja getan haben durch Integrationsverpflichtungen, durch diesen Test, den man machen muss, bevor man die deutsche Staatsbürgerschaft bekommt. Das sind eben die beiden Seiten – einerseits zu sagen, du musst gewisse Regeln und Normen zu deinen eigenen machen, sonst kannst du nicht dazugehören, und andererseits zu sagen, deine Hautfarbe ist aber egal; du kannst – egal wie du aussiehst und was du glaubst – guter deutscher Staatsbürger sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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