Peter Singers umstrittenes "Journal of Controversial Ideas"

Wenn Menschenrechte zur Disposition gestellt werden

Der umstrittene australische Philosoph Peter Singer (2008).
Umstrittener Philosoph und politischer Provokateuer: Peter Singer (2008). © Zeitgeist Films/ Courtesy Evere
Von Carina Fron · 07.02.2019
Philosoph Peter Singer glaubt, umstrittene Thesen seien in der Wissenschaft zu wenig vertreten und hat ein "Journal der kontroversen Ideen" gegründet. Er selbst sorgte mit seiner Forderung für Empörung, stark behinderte Babys sollen keine medizinische Versorgung erhalten.
Juni 2015, NJTV News berichtet: Rund 40 Menschen mit Behinderungen und Angehörige haben sich vor der Princeton University versammelt. Sie fordern, den Dozent Peter Singer zu entlassen. Ein paar Monate zuvor hat der Philosoph und Bioethiker mal wieder mit einem Radiointerview hitzige Debatten ausgelöst. Dort erklärte Singer, dass die Regierung oder private Versicherungen Babys mit starken Behinderungen und keiner Lebensqualität die Behandlung verweigern sollen. Das Geld könne an anderen Stellen für Menschen mit mehr Zukunftsperspektiven ausgegeben werden. Diese und ähnliche Ansichten Peter Singers haben schon Ende der 90er-Jahre zu Protestwellen in Deutschland geführt.
"Ich denke, die Leute, die da protestiert haben, haben sich geschämt für das, was ihre Eltern getan haben oder wollten sich wenigstens davon distanzieren. Und törichterweise, glaube ich zumindest, wollten sie zeigen, dass sie keine Nazis sind, indem sie verhindern, dass überhaupt über Euthanasie gesprochen wird, was ich tue."

"Das fundamentalste Menschenrecht ist das Recht auf Leben"

Neben zahlreichen Protesten in der Öffentlichkeit, gab es auch Gegenstimmen im Kollegenkreis. Darunter zum Beispiel Don Marquis, Philosophieprofessor von der University of Kansas. In einem Video auf der Princeton University-Website erklärt er:
"Individuen wie wir haben bestimmte Rechte. So wie das Recht zu leben, das Recht auf Freiheit oder wenigstens das Recht auf die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Das fundamentalste Menschenrecht ist das Recht auf Leben."

Für ihn haben Menschen mit Behinderungen nicht weniger Rechte. Unbestritten ist auch, dass in der Vergangenheit tausende Kinder mit körperlichen und geistigen Behinderungen grausam getötet wurden, weil ihnen das Recht auf Leben abgesprochen wurde.
Trotz oder gerade aufgrund der Proteste hat Singer das Gefühl, dass es seit einiger Zeit nicht genug Raum für streitbare Ideen wie seine gibt.
"Ich denke, es hat eine Veränderung gegeben. Ungefähr im letzten Jahrzehnt. Insofern, dass Leute weniger tolerant gegenüber anderen Vorstellungen geworden sind. Und ich denke, man muss sagen, das kam in den letzten Jahren eher von links als von rechts." Deshalb plant er mit zwei ebenfalls umstrittenen Kollegen ein "Journal für kontroverse Ideen".

Artikel sollen anonym veröffentlicht werden dürfen

"Wir haben zu diesem Zeitpunkt beschlossen zu schauen, wie viel Unterstützung wir bekommen, wenn wir renommierte Akademiker kontaktieren, sowohl aus dem linken und dem rechten Spektrum und der Mitte. Wir wollten kein politisch gefärbtes Journal. Bisher haben wir eine sehr positive Resonanz bekommen."

Um die 40 Anhänger haben die drei Philosophen für ihr Journal schon gefunden. Die meisten davon werden wohl eher politische, philosophische und soziologische Aufsätze sein, meint Singer. Auch soll es möglich sein, anonym zu publizieren.

Geplant ist außerdem eine strikte Kontrolle der Artikel nach wissenschaftlichen Kriterien. Immerhin wird dem Journal jetzt schon unterstellt, Raum für Diskriminierung zu bieten. Laleh Khalili, eine Politikwissenschaftlerin der SOAS University of London, twittert: "Hey ihr alle, ein Journal, in dem anonym rassistische, sexistische, transphobe, pro-kolonialistische, pro-ausbeutende Ideen ohne die Angst vor Gegenreaktionen verbreitet werden können."

Und das vor der Veröffentlichung des ersten Artikels. Nicht ganz unschuldig daran dürfte der Ruf von Singer sein. Den hat auch der Philosoph Wolfgang Buschlinger erfahren. Er hat auf Wunsch seiner Studierenden ein Seminar zu Peter Singer gegeben.
"Ich hab gedacht, ein Diskurs im Rahmen der Universität wäre möglich, und es stellte sich heraus, dass es eben sehr viele Möglichkeiten gibt, eben auch Druck auf mich auszuüben oder auf Teilnehmer auszuüben. Und das ging damals soweit, dass man mir damit drohte, dass ich an der Universität nicht habilitieren könne."

Das Diskursklima habe sich verändert

Buschlinger wurde ungefragt unter Polizeischutz gestellt und hat mehr Zeit damit verbracht, Drohungen abzuarbeiten, als das eigentliche Seminar zu planen. Er selbst ist kein "Singerianer", sagt er, aber man könne an Singers Thesen seine eigenen Ansichten schärfen und sie seien zumindest diskussionswürdig. Zudem gibt er Singer Recht, dass das Diskursklima sich verändert hat – nicht nur an Universitäten. Statt Fakten würden heute mehr Emotionen im Vordergrund einer Diskussion stehen.
Das bemerkt auch Stefan Hornbostel von der Humboldt-Universität. Er ist Professor für Wissenschaftsforschung und Abteilungsleiter am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. Gegen Kollegen von der HU habe es Kampagnen von Seiten einiger Studierender gegeben. Oft mit einer guten Intention:
"Da haben wir insbesondere in den USA, aber auch in Großbritannien und inzwischen auch in Deutschland einen sehr harschen Diskurs. Wo im Grunde Political Correctness Normen eingefordert werden, von denen ich meine, die begrenzen den akademischen Diskurs in einer unzulänglichen Weise."
Schuld seien aber nicht nur die Studierenden. Auch Wissenschaftler würde in vielen Fällen ihre Grenzen überschreiten und ihr Wissen politisch einsetzen. Singers Journal-Idee bezeichnet Hornbostel zumindest als gut gemeint und publikumswirksam. Aber: "Auf der anderen Seite ist das ein Vorschlag, der eigentlich diametral der Logik des wissenschaftlichen Diskurses widerspricht. Der besteht gerade darin, dass man mit offenem Visier antritt, nicht anonym, sondern dass man zur seiner Meinung steht, sie auch vorträgt und bereit ist, sie auch zu verteidigen und gegebenenfalls auch zu revidieren, wenn sich herausstellt, dass sie nicht haltbar ist."
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