Peter Neumann: „Jena 1800“

Club der freien Geister

Peter Neumann
Der Philosoph Peter Neumann © Dirk Skiba
Moderation: Simone Miller · 14.10.2018
Sie kamen in die Provinz, um die Welt neu zu denken: In seinem Buch „Jena 1800“ porträtiert Peter Neumann eine „Dichterkommune“ um die Brüder Friedrich und Wilhelm Schlegel. Ihre Ideen über Freiheit, Natur und Liebe prägten das moderne Menschenbild.
In Paris haben die Bürger ihren König gestürzt, in der deutschen Provinz braut sich bald darauf eine Revolution des Geistes zusammen. So schildert der Schriftsteller und Philosoph Peter Neumann im Buchmesse-Gespräch mit Simone Miller eine intellektuelle Entwicklung im Gefolge der Französischen Revolution. Aufgerüttelt durch Immanuel Kants 1781 publiziertes Werk "Kritik der reinen Vernunft" beginnen Dichter und Philosophen den Menschen und sein Verhältnis zu Erkenntnis, Freiheit und Verantwortung neu zu denken. In seinem Buch "Jena 1800. Die Republik der freien Geister" schreibt Neumann:
"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, lautet die Maxime Kants. Kein gebildeter Mensch kann dahinter nun zurück. Es gibt keine Inseln ewiger Wahrheiten, auch keine unschuldige Wissenschaft in der Abgeschiedenheit ehrwürdiger Universitäten mehr. Was dort, in Paris, die politische, die reale Revolution umwälzt, hebt hier die philosophische, die ideale Revolution gewaltsam aus den Angeln. Die alten Überzeugungssysteme gelten nicht mehr."

Revolution auf der Straße und in der Kunst

Zahlreiche Schriftsteller und Philosophen in Deutschland teilen die Ideale der Französischen Revolution, sagt Neumann, sie erkennen darin Ideale der Vernunft. Dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte eilt der Ruf eines "deutschen Jakobiners" voraus. Aber die Gewaltexzesse, die auf das Revolutionsjahr 1789 folgten, lassen viele Dichter und Denker Abstand nehmen von politischen Umsturzgedanken. Sie setzen ihre Hoffnung in die Freiheit der Kunst und träumen von einer "ästhetischen Revolution", so Neumann.
Jena um 1800, für Peter Neumann ist das ein intellektuelles Versuchslabor: Für wenige Jahre werde die beschauliche Universitätsstadt zum "geistig-kulturellen Mittelpunkt des gesamten europäischen Kontinents". In seinem Buch zeichnet Neumann die Lebenswege zentraler Figuren der Frühromantik nach, die in Jena zueinander finden, darunter die Brüder Friedrich und August Wilhelm Schlegel, ihre Frauen Caroline und Dorothea, der Philosoph Schelling und der Dichter Novalis.

Philosophieren und Faulenzen

In der Wohnung der Schlegels trifft man sich zum "Symphilosophieren" oder "Symfaulenzen" und erprobt im freundschaftlichen Wettstreit das gemeinsame Denken und künstlerische Schaffen. Friedrich Schlegel entwirft in seinem Roman "Lucinde" ein neues Verständnis von Liebe. Peter Neumann beschreibt es als "Abhängigkeit, die die Selbständigkeit des Anderen nicht aufhebt", und erkennt darin eine "Gesellschaftsutopie im Kleinen".
Neumann sieht eine ganze Reihe von "zentralen Erfahrungen", die wir mit der Zeit um 1800 teilen: Auch damals sorgen gesellschaftliche Umbrüche in schneller Folge für ein Klima der "Unsicherheit und Ungewissheit", Hegel und Schelling stellen "das Individuum, das selbsttätig denkt und sich in der Welt wiedererkennt" ins Zentrum ihrer Philosophie. Der Mensch trete somit aus dem Rahmen einer fest gefügten göttlichen Ordnung heraus und verstehe sich bereits in einem relativ modernen Sinne als Schöpfer seiner Welt: "Die Zukunft ist auf einmal offen und gestaltbar."
Von Friedrich Schlegels Theorie des Romans bis zu Schellings Naturphilosophie reichen die Bezüge, die uns immer noch viel zu sagen haben: "Heute ist Schellings Naturbegriff aktueller denn je", schreibt Neumann. "Die Idee, dass Natur immer schon Geist ist, sensibilisiert auch für den Umgang mit ihr." Für Peter Neumann gibt es viele Gründe, die Schriften der Freigeister aus Jena heute wieder zu entdecken.

Peter Neumann: Jena 1800. Die Republik der freien Geister
Siedler-Verlag, München 2018
256 Seiten. 22 Euro

Mehr zum Thema