Peter Høeg: "Durch deine Augen"

Das Bewusstsein mit anderen Menschen teilen

Cover von Peter Hoegs Roman "Durch deine Augen". Im Hintergrund ist das blau-rote 3D-Bild einer jungen Frau zu sehen.
Die Welt durch die Augen eines anderen sehen - lässt Peter Høeg in seinem Roman die Frauenfigur Lisa. © Hanser-Verlag / Unsplash James Bak
Von Andrea Gerk · 19.02.2019
Peter Høeg verknüpft im Roman "Durch deine Augen" Material aus den Neurowissenschaften mit einer imposanten Frauenfigur: Lisa taucht als Therapeutin in Lebensgeschichten von Probanden ein, die von schweren Missbrauchserfahrungen geprägt sind.
Einmal die Welt durch die Augen eines anderen sehen zu können – das ist nicht nur ein alter Menschheitstraum, sondern auch Voraussetzung fiktiven Erzählens und Grundannahme vieler Psychotherapien.
In seinem neuen Roman "Durch deine Augen" lässt der dänische Schriftsteller Peter Hoeg die Idee, das Bewusstsein mit anderen Menschen teilen zu können, durch eine Verschränkung beider Ebenen wirklich werden.

Geheime Experimente

Zu Beginn des Romans besucht der Ich-Erzähler Peter seinen Pflegebruder Simon, der versucht hat, sich das Leben zu nehmen, in einer psychiatrischen Klinik. Um ihm zu helfen, nimmt Peter Kontakt zu der Wissenschaftlerin Lisa auf, die am streng bewachten, millionenschwer subventionierten "Institut für neuropsychologische Bildgebung" geheime Experimente durchführt.
Mit Hilfe von Hirn- und Körper-Scans sowie psychogenen Drogen kann sie das Bewusstsein – also Erinnerungen, Ängste und Zwänge – von Menschen in Hologrammen sichtbar machen und mit den Probanden teilen. Gemeinsam mit ihren Patienten durchlebt und "liest" sie deren Geschichten und hofft, ihnen dadurch die Möglichkeit zu geben, ihr Leben noch einmal neu und anders "erzählen" zu können.
Ein Verfahren, das im Prinzip an die klassische Psychoanalyse erinnert, nur dass hier durch physikalische und neurowissenschaftliche Techniken dreidimensionale Bilder – die Hologramme – entstehen, die das Unterbewusste konkret verkörpern und zudem Sprache und Erinnerungen in sichtbare Bilder und Gefühle übersetzen.

Der Club der schlaflosen Kinder

Peter nimmt immer häufiger an Lisas Experimenten teil und taucht gemeinsam mit ihr in die erschütternden Lebensgeschichten der Probanden ein, die fast alle von schweren Missbrauchserfahrungen geprägt sind.
Auf einer zweiten Erzählebene erzählt Peter Hoeg davon, dass Lisa, Peter und Simon bereits im Kindergarten eng befreundet waren und damals den "Club der schlaflosen Kinder" bildeten: Während die anderen ihren Mittagsschlaf halten, gehen die drei auf ganz besondere Reisen in die "wirkliche Wirklichkeit", in der sie die Träume anderer Menschen aufsuchen oder versuchen, ein Unglück – wie die schwere Infektion eines Spielkameraden – nachträglich ungeschehen zu machen.
40 Jahre später begeben sie sich erneut miteinander auf den Weg in das Bewusstsein anderer. Nur erleben sie nun nicht nur die Verletzungen und Ängste ihrer Nächsten, sondern kollektive Kriegstraumata oder massenhafte Missbrauchs- und Gewalterfahrungen aus dem sogenannten "Dunkeldänemark".
Der dänische Schriftsteller Peter Høeg, im Februar 2018 bei der Woche der dänischen Literatur in Prag
Der dänische Schriftsteller Peter Høeg, im Februar 2018 bei der Woche der dänischen Literatur in Prag© imago/CTK Photo
Wie in seinen internationalen Bestsellern "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" oder "Der Susan-Effekt" verknüpft Peter Høeg gründlich recherchiertes Material aus den Neurowissenschaften – wo tatsächlich an der Erforschung von Gedankenübertragung gearbeitet wird – mit geradezu magisch wirkenden Seltsamkeiten und vor allem mit einer imposanten Frauenfigur.
Mit der Grundfrage, was es – auch im negativen Sinn – bedeuten würde, die Gedankenwelten anderer betreten und manipulieren zu können, sowie mit seiner raffinierten Erzähltechnik hat er einen bis zum Schluss am Haken. Auch wenn man sich teilweise fast darüber ärgert, denn immer wieder verfällt Høeg in geradezu esoterisches Raunen, schlägt einen weihevollen Ton an oder verliert sich in relativ banalen Allgemeinplätzen, mit denen der Text letztlich dem Horizont, den er eröffnet, nicht wirklich gerecht wird.

Peter Høeg: Durch deine Augen
Carl Hanser Verlag, München 2019
336 Seiten, 24 Euro

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