Perthes: Deutschland wäre "nahezu ideales Mitglied" im UNO-Sicherheitsrat
Der Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, Volker Perthes, hat die neue Bundesregierung aufgefordert, weiter einen ständigen Sitz Deutschlands im Weltsicherheitsrat anzustreben. Deutschland wäre ein "gutes, nahezu ideales Mitglied", sagte Perthes.
Deutschlandradio Kultur: Man sagt ja der rot-grünen Außenpolitik nach, dass sie neue Spielräume für Deutschland zumindest ausgelotet hat. Ob sie sie denn gewonnen hat, ist eine andere Frage – vom Stil her vielleicht gelegentlich nicht. Ist das eine Richtung, in die die deutsche Außenpolitik weiter gehen sollte?
Volker Perthes: Was sich eben geändert hat – und das hat etwas mit jüngeren historischen Entwicklungen zu tun – war die Möglichkeit - und ich würde sagen, die Notwendigkeit, bei einer für die USA entscheidenden Frage Nein zu sagen. Das war neu. Das ist aufgefallen…
Deutschlandradio Kultur: …Irak-Krieg…
Perthes: Im Irak-Krieg. Das ist aufgefallen, das ist Partnern aufgefallen, das ist Gegnern aufgefallen, manchen ist es positiv, manchen ist es negativ aufgefallen. Aber es war tatsächlich etwas, was die Schröder-Fischer-Regierung neu getan hat.
Deutschlandradio Kultur: Wurde nicht im Nachhinein aus einem taktischen Augenblick eine Strategie gemacht?
Perthes: Ich glaube, dass es mehr als Taktik war. Man hat nicht aus taktischen Gründen gesagt 'wir machen da nicht mit', sondern man hat gesagt 'wir machen da nicht mit, weil wir es für falsch halten, weil wir nicht überzeugt sind’. Es kam dann Wahlkampftaktik dazu, möglicherweise in der Darstellung, in der Darstellung nach innen vor allem, aber die Entscheidung als solche war eine, die durchaus eher strategisch war, das heißt langfristig gedacht, komplex gedacht. Wenn wir uns heute die Debatten im amerikanischen Kongress anschauen, dann sehen wir auch, dass die Entscheidung an sich wohl nicht so falsch war zu sagen, 'da machen wir nicht mit". Und mit dem Selbstbewusstsein und auch dem Ansehen, das Deutschland in großen Teilen der Welt dadurch gewonnen hat, dass es gesagt hat, 'trotz unserer Allianz sagen wir an einer Stelle Nein’, haben wir sicherlich etwas erreicht, worauf die Merkel-Regierung bauen wird.
Deutschlandradio Kultur: Nimmt man Deutschland ernster?
Perthes: Man nimmt Deutschland in großen Teilen der Welt durchaus ernster, das sehen wir auch an den sehr aktiven und ja auch richtigen Versuchen zumindest der zweiten Legislatur von George W. Bush, das Verhältnis zu Europa und dabei auch gerade das Verhältnis zu Deutschland wieder in Ordnung zu bringen. Das ist von beiden Seiten ausgegangen, beide Seiten haben gemerkt, dass es so nicht weiter gehen kann. Deutsche und Amerikaner oder Teile der Europäer und Amerikaner, können sich nicht die ganze Zeit anpesten.
Deutschlandradio Kultur: Erwarten Sie denn von der Merkel-Regierung so eine Art Neujustierung, was Distanz und Nähe zu einigen Partnern und Verbündeten angeht? USA war ein Stichwort, China ist vielleicht ein weiteres, vielleicht auch Polen.
Perthes: Ich glaube, hier wird es neue Akzente geben, aber nicht unbedingt sehr viel Veränderungen in der Substanz. Nehmen wir mal das Verhältnis Deutschland – USA. In ein paar entscheidenden Fragen, in denen wir einen Dissens hatten mit den USA, also Kyoto-Protokoll, Internationaler Strafgerichtshof, die Frage, wie geht man weiter mit dem Irak um - hat Frau Merkel praktisch identische Positionen wie die alte Bundesregierung gehabt hat. Kyoto ist ja kein Projekt von Jürgen Trittin gewesen, sondern Kyoto ist auf die Schiene gebracht worden, als Frau Merkel Umweltministerin war. Und hier stehen die Europäer zusammen und sagen, wir brauchen dieses internationale Regime. Das gleiche beim Internationalen Strafgerichtshof, letztlich auch bei allen parteipolitischen Auseinandersetzungen die es bei uns 2002/2003 gegeben hat in Sachen Irak. Frau Merkel hat ja, als sie jetzt schon Bundeskanzlerin war, sehr deutlich gesagt, ‚auch unter meiner Führung werden keine deutschen Soldaten in den Irak gehen’. Akzentverschiebungen was die Partner angeht? Ich denke durchaus, der Umgang mit den mittelgroßen und kleineren Staaten innerhalb der Europäischen Union…
Deutschlandradio Kultur: …ja, was ist mit Russland, was ist mit China, den Großen auf der Weltbühne?
Perthes: Die strategischen Fragen gegenüber Russland und China, seien es unsere energiepolitischen Interessen, die uns mit Russland verbinden oder auch einfach der Fakt, dass Russland ein sehr großes Land ist und dass man nicht einfach sagen kann, und Russland ignorieren wir jetzt mal, das wird Frau Merkel auch sehr schnell klar sein. Es kann hier auf der persönlichen Ebene natürlich Veränderungen geben, aus vielen Gründen wird die Männerfreundschaft nicht stattfinden, das ist richtig.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, das Selbstbewusstsein der letzten Jahre in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ging einher mit dem Wunsch, einen ständigen Sitz im UN-Weltsicherheitsrat zu erhalten. Wie könnte sich die deutsche Position in der nächsten Zeit entwickeln?
Perthes: Ich bin überhaupt nicht gegen den deutschen Sitz, den permanenten deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat. Ich glaube, wenn Deutschland dort einen Sitz hätte, wäre es ein gutes, ein nahezu ideales Sicherheitsratsmitglied, das sehr eng koordinieren würde mit den anderen Europäern, das sehr deutlich versuchen würde, multilaterale Friedens bewahrende, Konflikt vorbeugende Ansätze auf der internationalen Ebene durchzubringen. Ich glaube, dass die Vorbereitung – nehmen wir doch mal einfach, was in letzter Zeit häufig zitiert worden ist – suboptimal gewesen ist. Unabhängig davon ist bei dieser ganzen Diskussion um die Reform des Sicherheitsrates und die deutsche Forderung eine sehr interessante Gruppierung von Staaten zusammengekommen, diese G4. Zwei große Industriestaaten aus dem Norden, Deutschland und Japan, zwei aufstrebende neue industrialisierte Staaten - demokratische Staaten - aus dem Süden, nämlich Indien und Brasilien. Ich glaube, wir täten gut daran, diese vier Staaten, wenn sie sagen würden, wir holen uns noch zwei afrikanische Staaten mit ins Boot, vielleicht noch einen großen muslimischen Staat wie Indonesien und zeigen der Welt mal über die nächsten drei, vier Jahre, dass diese vier plus zwei oder vier plus drei Staaten gute Ideen haben für die Gestaltung der Globalisierung.
Deutschlandradio Kultur: Ein anderes internationales Gremium, das eine Rolle spielen soll, und wenn es nach Frau Merkel geht, zukünftig wieder eine größere Rolle spielen soll, ist die NATO. Ihr Antrittsbesuch in Brüssel bei der NATO war sicherlich in dieser Hinsicht in dieser Woche auch ein Signal. Sie wünscht sich, dass die NATO da wieder eine starke Rolle spielt als Gremium, in dem politisch diskutiert wird. Wie realistisch kann so ein Wunsch sein, wenn man sieht, dass die USA in den letzten Jahren die NATO eigentlich begonnen haben zu begreifen als eine Art Werkzeugkasten, aus dem man sich bedient, aber nicht etwa seine eigenen Bedürfnisse partnerschaftlich diskutieren will?
Perthes: Mit dem Werkzeugkastenansatz ist ja niemand zufrieden, jedenfalls niemand von den anderen Partnern. Es hat ja viele europäische Partner, auch solche, die sehr, sehr eng mit den USA jetzt etwa im Irak zusammen arbeiten, die Briten, gegeben, die gesagt haben, das kann nicht der Ansatz sein gegenüber der NATO. Und das Interessante - und das sagt vielleicht etwas über die Art und Weise, wie Kontinuität sich manchmal gestaltet, ohne dass man das so will - , ist hier, dass Frau Merkel mit ihrer sehr richtigen Forderung, dass die NATO als der wesentliche transatlantische Treibriemen auch genutzt werden muss zum Forum für Diskussionen, die wir zwischen Europäern und Amerikanern führen und wieder werden muss, ja etwas aufgreift, was Schröder bei der letzten Münchner Sicherheitskonferenz hat vortragen lassen, als er nämlich beklagte, dass die NATO eben dieses Diskussionsforum nicht mehr ist.
Das ist damals von einigen Beobachtern falsch verstanden worden als eine Generalabrechnung mit der NATO, aber es war eigentlich ein Aufruf, ein Warnruf, zu sagen, lasst uns überlegen, wie wir die NATO wieder in diese Funktion bekommen. Dass wir hier, wo eben alle Europäer dabei sind, auch die, die heute nicht in der EU sind, und wo alle Nordamerikaner dabei sind, nicht nur die USA sondern auch Kanada, dass wir in diesem Zusammenhang miteinander diskutieren was eigentlich in der Welt aus einem sicherheitspolitischen Blickwinkel für die Partner auf den beiden Seiten des Atlantik relevant ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, gehört nicht zu den besonderen Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik, eine bessere Positionierung in Europa zwischen Frankreich und Großbritannien zu finden? Die Briten unter Tony Blair haben doch, wie ich finde, spannende Ansätze für die Weiterentwicklung der europäischen Politik in Sachen Agrar-Subventionen. Und wir sind eingeklemmt aufgrund der Irak-Politik an der Seite der Franzosen, denen wir offenkundig versprochen haben, dass sie ihre Agrarpolitik weiter fortsetzen können. Hier wirken die Briten in dem Bereich moderner.
Perthes: Die Briten wirken moderner, wo sie die Privilegien der Franzosen angreifen. Sie wirken nicht unbedingt da moderner, wo sie über ihre eigenen Rabatte reden. Ich bin eigentlich bis jetzt – wir haben Ende November – ein wenig enttäuscht über die Art und Weise, wie die Briten die Präsidentschaft geführt haben, denn wir haben eine größere politische Krise gehabt nach dem Debakel der Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden. Da hat man gesagt, wir machen jetzt eine Denkpause, aber die britische Präsidentschaft hat das ja im Wesentlichen als Pause vom Denken benutzt. Und wo sind denn in dieser Denkpause jetzt tatsächlich die neuen Denkansätze gewesen? Wo sind die neuen Vorschläge, die neuen Projekte gewesen, die man zur Diskussion also zum gemeinsamen Denken auf den Tisch gebraucht hätte? Die Briten hätten die Verantwortung gehabt, das geht schon mit Präsidentschaft einher. Ich finde es auch nicht ganz richtig zu sagen, Deutschland solle eine Rolle spielen zwischen Großbritannien und Frankreich. Ich glaube, wir müssen eine Rolle spielen mit Frankreich und Großbritannien und sicherlich noch eine der Staaten Mittel-Osteuropas, also wahrscheinlich mit Polen um zu sagen, wie bekommen wir die Europäische Union wieder so auf die Bahn, dass die Bürger das auch mitkriegen und dass sich sozusagen die ‚Euro-Skepsis’, die von allen Seiten beklagt wird, einfach darüber auflöst, dass Bürger wieder mitbekommen, dieses Europa ist unser Europa, wir profitieren davon.
Deutschlandradio Kultur: Ein Problem, das brennend zu nennen schon fast zynisch wäre, ist der Iran und sein Atomprogramm. Es geht darum, ob man wieder Verhandlungen aufnehmen kann, um den Iran dazu zu bekommen, auf ein militärisches Atomprogramm zu verzichten und auch zu beweisen, dass man darauf verzichtet. Der neue Außenminister Steinmeier hat schon gesagt, es muss von Iran dafür Garantien geben. Wunschdenken? Oder realistisch? Denn alles, was man bisher erlebt hat in Verhandlungen mit Iran, war der Garantien viele, die dann aber genau so gut auch wieder gebrochen wurden.
Perthes: Wir haben hier natürlich eine Situation, in der die Iraner sagen, wir haben überhaupt kein Interesse an einer militärischen Nutzung, sondern wir wollen zivile Nutzung. Und wir sagen, das ist ja schön, die zivile Nutzung dürft ihr auch haben, das steht euch zu als souveräner Staat und Mitglied des Nuklearwaffen-Sperrvertrages, aber garantiert uns, gerade wenn wir euch helfen sollen in der technologischen Weiterentwicklung, garantiert uns, dass euer ziviles Programm nicht eines Tages doch ein militärisches werden wird. Wir Europäer sagen, die einzige Garantie, die uns überzeugt, ist der Verzicht auf die Wiederanreicherung, der Verzicht auf die Schließung des Brennstoffkreislaufes in Iran. Und da werden wir wahrscheinlich noch ein bisschen kreativer werden müssen und sagen, wie können wir dies durchsetzen und gleichzeitig den Iranern ihr durchaus legitimes Recht auf zivile Forschung garantieren. Meiner Ansicht nach – und ich sage das seit einiger Zeit – könnte der Ansatz oder ein Ansatz für eine Lösung in einer Art "Euratomisierung" des iranischen Atomprogramms liegen. Das heißt: Ja, Iraner sollen forschen dürfen, alle zivilen Aspekte Nuklear-Technologie gehören dazu, aber dies muss ja nicht unter iranischer Souveränität und auf iranischem Territorium stattfinden, sondern es kann, so wie wir das im europäischen Verbund EURATOM machen, ja durchaus unter geteilter Souveränität und auch in anderen Ländern stattfinden. Das ist mittlerweile aufgegriffen worden.
Deutschlandradio Kultur: Zauberhafte Idee, aber eigentlich kaum vorstellbar, dass die Iraner darauf verzichten.
Perthes: Für mich ist das sehr vorstellbar und vielleicht müssen wir ja auch als Politikberater und Wissenschaftler uns immer etwas mehr vorstellen als sich ein Politiker, der mitten in der Verhandlung steckt, also zum Beispiel der iranische Beauftragte sich hier gerade vorstellen kann. Ich habe das Gefühl, wir haben dort noch Chancen, uns näher zu kommen. Interessanterweise haben die Russen dies aufgegriffen, haben auch die Amerikaner gesagt, sie wären nicht dagegen. Und die Iraner haben gesagt, na ja, darüber können wir diskutieren, wir stellen uns das so nicht vor aber wir können darüber reden. Wir haben in den letzten zwei Jahren jedenfalls durch unsere Verhandlungen verhindert, dass das iranische Nuklear-Programm heimlich weiter geführt wird, es gibt Inspekteure der Internationalen Atom-Energie-Agentur in Iran, die Zugang haben zu den Installationen. Wir werden aber wahrscheinlich einen Abschluss der Verhandlungen nicht bekommen, wenn nicht ein fehlendes Element dazukommt: nämlich eine direkte oder indirekte Sicherheitsgarantie für Iran, die die Europäer nicht geben können, sondern die die Amerikaner geben müssen.
Die europäischen Verhandler sagen das den Amerikanern jeden zweiten Tag. Wenn Teile der iranischen Elite nachdenken darüber, ob man nicht doch eine Option zumindest haben will, das Atom auch militärisch zu nutzen, dann machen sie das nicht wegen Israel, das machen sie nicht wegen Europa, denn von uns fühlen sie sich schon gar nicht bedroht, sondern das machen sie, weil sie sich umrundet fühlen von amerikanischen Truppen. Und wenn man sich die Karte anschaut und schaut, wo amerikanische Truppen stehen im Irak, im Golf, in Afghanistan, in Pakistan, dann, na ja ist es zumindest eine Überlegung, die man nicht ganz zur Seite schieben kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, wir bleiben in der Region, ich möchte fast sagen, in Ihrer Region, denn Sie sind unter anderem ein Spezialist für den Nahen Osten. Die neue Bundesregierung scheint ja Profil im Nahen Osten erhöhen zu wollen. Kaum dass sie dran ist, ist von deutschen Polizeitruppen, von einer Rolle der EU an der Grenze zwischen Israelis und Palästinensern die Rede. Wie bewerten Sie da die Chancen, wie sehen Sie das Engagement der Europäer und speziell der Deutschen dort?
Perthes: Es ist ja ein relativ kleines Engagement, zahlenmäßig, aber wahrscheinlich ein sehr wichtiges, weil es Freizügigkeit für Palästinenser ermöglichen soll und wahrscheinlich ermöglichen wird. Ich finde, es ist eine ausgesprochen positive Entwicklung, dass im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik es hier möglich ist, sehr, sehr schnell die Hilfe zu leisten, die es braucht, um ganz konkret einen Grenzübergang aufzumachen, solange Israelis und Palästinenser nicht genug Vertrauen zueinander haben um das einfach bilateral machen zu können. Dass es gleichzeitig möglich ist, dass die Israelis sagen, wir vertrauen den Europäern genug, und die Palästinenser sagen, wir vertrauen den Europäern genug und dazu – so haben Sie Ihre Frage ja angefangen – die Israelis das völlig in Ordnung finden, dass deutsche Polizisten da stehen und sagen, wir haben Vertrauen zu ihnen. Das, finde ich, ist eigentlich eine ganz positive Entwicklung und zeigt vielleicht, dass Europa doch ein bisschen erwachsen geworden ist. Wir können zwar nicht die großen militärischen Einsätze leisten, die die Amerikaner natürlich leisten können, aber vielleicht wollen wir das ja auch nicht. Vielleicht ist es uns ja wichtiger, hier und da eine Polizeimission zu starten, die einfach Konflikt verhütend wirkt. Selbstverständlich müssen wir da mitmachen, selbstverständlich sollten wir da mitmachen. Die einzige Ausnahme wäre, wenn einer der lokalen Beteiligten sagt - die Israelis oder die Palästinenser – und wahrscheinlich werden es dann eher die Israelis sagen, 'nein, Deutsche wollen wir da aber nicht drin haben’.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja in Israel eine wirklich historische Entwicklung. Da ist ein amtierender Regierungschef, der aus seiner eigenen Partei austritt, eine neue Partei gründet und es wird ja auch vorgezogene Neuwahlen Ende März geben. Jetzt heißt es von Scharon, dass er sich von der Formel 'Land gegen Frieden' verabschieden will. Er sagt jetzt: ‚Sicherheit für Israel gegen einen eigenen Staat für die Palästinenser’. Halten Sie das für eine kluge Formel vor dem Hintergrund, dass wir ja schlussendlich uns noch immer nicht ganz von dem Gedanken eines Friedensprozesses, wie erstickt er auch immer sein mag, verabschieden wollen?
Perthes: Scharon hat sich von dieser ‘Land für Frieden’ Formel, die ja die Essenz des Oslo-Prozesses war, schon lange verabschiedet. Er hat Oslo kritisiert, er wollte Oslo nicht und er hat von Anfang an gesagt, wir müssen das anders machen, nicht Land gegen Frieden, sondern allenfalls Sicherheit gegen ein Stück Land oder gegen territoriale Konzession. Das ist ein Ansatz, der unserer europäischen Logik überhaupt nicht entspricht, den wir zu Recht kritisiert haben. Aber gleichzeitig haben wir erlebt, dass Ariel Scharon dabei der erste israelische Ministerpräsident war, der tatsächlich okkupiertes palästinensisches Territorium aufgegeben hat, der sich eben zurückgezogen hat aus Gaza, der möglicherweise auch mit Rücksicht auf Widerstände gegen einen auf Verhandlungen basierenden Friedensprozess in der eigenen israelischen Öffentlichkeit gesagt hat, das einzige was möglich ist, ist Dinge unilateral zu tun, also selber zu bestimmen, wie weit ich gehen will entsprechend meinem eigenen Sicherheitsgefühl.
Wenn uns dies vorwärts bringt, glaube ich, müssen wir pragmatisch genug sein zu sagen: Oslo ist, aus welchen Gründen auch immer, gescheitert. Der Scharonsche unilaterale Scheidungsprozess, wenn Sie es so wollen, kann uns zumindest weiter bringen. Am Schluss, und interessanter Weises sagt Scharon das mittlerweile, am Schluss wird Unilateralismus nicht weiterhelfen, am Schluss, wenn es denn um die Grenzen des Staates Israel geht, von denen Scharon ja gesagt hat, er will sie in seiner nächsten Amtszeit eigentlich ein für alle Mal festlegen, wenn es dann um die Grenzen geht zwischen zwei Staaten, dann muss wieder verhandelt werden.
Volker Perthes wurde am 16. Mai 1958 im niederrheinischen Homberg als Sohn eines Ingenieurs geboren. Auslandsaufenthalte seines Vaters in der arabischen Welt weckten früh P.s Interesse an der Region und verhalfen ihm zu ersten Reisen nach Saudi-Arabien und Ägypten. P. studierte nach dem Abitur von 1976 bis 1986 in Duisburg Politische Wissenschaften und Geschichte sowie in Bochum Orientalische Philologie. 1990 promovierte P. mit einer Arbeit über Syrien. Danach war er Lehrbeauftragter an den Universitäten in Duisburg und Münster. 1991 bis 1993 hatte P. eine Assistenzprofessur an der American University in Beirut inne. 1992 kam er zu der aus Bundesmitteln geförderten Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), die das Parlament und die Bundesregierung in außenpolitischen Belangen berät. Im Jahr 2003 übernahm P. die Leitung der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika. Im Rahmen des 2001-2003 von P. geleiteten Projekts "Elite Change in the Arab World" wurde einer der Forschungsschwerpunkte auf Struktur und Zusammensetzung der künftigen Eliten in der arabischen Welt gelegt. Die gewachsene Bedeutung der SWP als professionelle Politik-Beratungsinstitution zeigte sich 2003 bei den Diskussionen um den von den USA geführten Irak-Krieg bzw. dem daraus resultierenden Konflikt mit vielen europäischen Staaten. Im Jan. 2005 bestellte der Stiftungsrat P. zum neuen Direktor der SWP ab 1. Okt. 2005. Er trat die Nachfolge von Christoph Bertram an.
Volker Perthes: Was sich eben geändert hat – und das hat etwas mit jüngeren historischen Entwicklungen zu tun – war die Möglichkeit - und ich würde sagen, die Notwendigkeit, bei einer für die USA entscheidenden Frage Nein zu sagen. Das war neu. Das ist aufgefallen…
Deutschlandradio Kultur: …Irak-Krieg…
Perthes: Im Irak-Krieg. Das ist aufgefallen, das ist Partnern aufgefallen, das ist Gegnern aufgefallen, manchen ist es positiv, manchen ist es negativ aufgefallen. Aber es war tatsächlich etwas, was die Schröder-Fischer-Regierung neu getan hat.
Deutschlandradio Kultur: Wurde nicht im Nachhinein aus einem taktischen Augenblick eine Strategie gemacht?
Perthes: Ich glaube, dass es mehr als Taktik war. Man hat nicht aus taktischen Gründen gesagt 'wir machen da nicht mit', sondern man hat gesagt 'wir machen da nicht mit, weil wir es für falsch halten, weil wir nicht überzeugt sind’. Es kam dann Wahlkampftaktik dazu, möglicherweise in der Darstellung, in der Darstellung nach innen vor allem, aber die Entscheidung als solche war eine, die durchaus eher strategisch war, das heißt langfristig gedacht, komplex gedacht. Wenn wir uns heute die Debatten im amerikanischen Kongress anschauen, dann sehen wir auch, dass die Entscheidung an sich wohl nicht so falsch war zu sagen, 'da machen wir nicht mit". Und mit dem Selbstbewusstsein und auch dem Ansehen, das Deutschland in großen Teilen der Welt dadurch gewonnen hat, dass es gesagt hat, 'trotz unserer Allianz sagen wir an einer Stelle Nein’, haben wir sicherlich etwas erreicht, worauf die Merkel-Regierung bauen wird.
Deutschlandradio Kultur: Nimmt man Deutschland ernster?
Perthes: Man nimmt Deutschland in großen Teilen der Welt durchaus ernster, das sehen wir auch an den sehr aktiven und ja auch richtigen Versuchen zumindest der zweiten Legislatur von George W. Bush, das Verhältnis zu Europa und dabei auch gerade das Verhältnis zu Deutschland wieder in Ordnung zu bringen. Das ist von beiden Seiten ausgegangen, beide Seiten haben gemerkt, dass es so nicht weiter gehen kann. Deutsche und Amerikaner oder Teile der Europäer und Amerikaner, können sich nicht die ganze Zeit anpesten.
Deutschlandradio Kultur: Erwarten Sie denn von der Merkel-Regierung so eine Art Neujustierung, was Distanz und Nähe zu einigen Partnern und Verbündeten angeht? USA war ein Stichwort, China ist vielleicht ein weiteres, vielleicht auch Polen.
Perthes: Ich glaube, hier wird es neue Akzente geben, aber nicht unbedingt sehr viel Veränderungen in der Substanz. Nehmen wir mal das Verhältnis Deutschland – USA. In ein paar entscheidenden Fragen, in denen wir einen Dissens hatten mit den USA, also Kyoto-Protokoll, Internationaler Strafgerichtshof, die Frage, wie geht man weiter mit dem Irak um - hat Frau Merkel praktisch identische Positionen wie die alte Bundesregierung gehabt hat. Kyoto ist ja kein Projekt von Jürgen Trittin gewesen, sondern Kyoto ist auf die Schiene gebracht worden, als Frau Merkel Umweltministerin war. Und hier stehen die Europäer zusammen und sagen, wir brauchen dieses internationale Regime. Das gleiche beim Internationalen Strafgerichtshof, letztlich auch bei allen parteipolitischen Auseinandersetzungen die es bei uns 2002/2003 gegeben hat in Sachen Irak. Frau Merkel hat ja, als sie jetzt schon Bundeskanzlerin war, sehr deutlich gesagt, ‚auch unter meiner Führung werden keine deutschen Soldaten in den Irak gehen’. Akzentverschiebungen was die Partner angeht? Ich denke durchaus, der Umgang mit den mittelgroßen und kleineren Staaten innerhalb der Europäischen Union…
Deutschlandradio Kultur: …ja, was ist mit Russland, was ist mit China, den Großen auf der Weltbühne?
Perthes: Die strategischen Fragen gegenüber Russland und China, seien es unsere energiepolitischen Interessen, die uns mit Russland verbinden oder auch einfach der Fakt, dass Russland ein sehr großes Land ist und dass man nicht einfach sagen kann, und Russland ignorieren wir jetzt mal, das wird Frau Merkel auch sehr schnell klar sein. Es kann hier auf der persönlichen Ebene natürlich Veränderungen geben, aus vielen Gründen wird die Männerfreundschaft nicht stattfinden, das ist richtig.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, das Selbstbewusstsein der letzten Jahre in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik ging einher mit dem Wunsch, einen ständigen Sitz im UN-Weltsicherheitsrat zu erhalten. Wie könnte sich die deutsche Position in der nächsten Zeit entwickeln?
Perthes: Ich bin überhaupt nicht gegen den deutschen Sitz, den permanenten deutschen Sitz im Weltsicherheitsrat. Ich glaube, wenn Deutschland dort einen Sitz hätte, wäre es ein gutes, ein nahezu ideales Sicherheitsratsmitglied, das sehr eng koordinieren würde mit den anderen Europäern, das sehr deutlich versuchen würde, multilaterale Friedens bewahrende, Konflikt vorbeugende Ansätze auf der internationalen Ebene durchzubringen. Ich glaube, dass die Vorbereitung – nehmen wir doch mal einfach, was in letzter Zeit häufig zitiert worden ist – suboptimal gewesen ist. Unabhängig davon ist bei dieser ganzen Diskussion um die Reform des Sicherheitsrates und die deutsche Forderung eine sehr interessante Gruppierung von Staaten zusammengekommen, diese G4. Zwei große Industriestaaten aus dem Norden, Deutschland und Japan, zwei aufstrebende neue industrialisierte Staaten - demokratische Staaten - aus dem Süden, nämlich Indien und Brasilien. Ich glaube, wir täten gut daran, diese vier Staaten, wenn sie sagen würden, wir holen uns noch zwei afrikanische Staaten mit ins Boot, vielleicht noch einen großen muslimischen Staat wie Indonesien und zeigen der Welt mal über die nächsten drei, vier Jahre, dass diese vier plus zwei oder vier plus drei Staaten gute Ideen haben für die Gestaltung der Globalisierung.
Deutschlandradio Kultur: Ein anderes internationales Gremium, das eine Rolle spielen soll, und wenn es nach Frau Merkel geht, zukünftig wieder eine größere Rolle spielen soll, ist die NATO. Ihr Antrittsbesuch in Brüssel bei der NATO war sicherlich in dieser Hinsicht in dieser Woche auch ein Signal. Sie wünscht sich, dass die NATO da wieder eine starke Rolle spielt als Gremium, in dem politisch diskutiert wird. Wie realistisch kann so ein Wunsch sein, wenn man sieht, dass die USA in den letzten Jahren die NATO eigentlich begonnen haben zu begreifen als eine Art Werkzeugkasten, aus dem man sich bedient, aber nicht etwa seine eigenen Bedürfnisse partnerschaftlich diskutieren will?
Perthes: Mit dem Werkzeugkastenansatz ist ja niemand zufrieden, jedenfalls niemand von den anderen Partnern. Es hat ja viele europäische Partner, auch solche, die sehr, sehr eng mit den USA jetzt etwa im Irak zusammen arbeiten, die Briten, gegeben, die gesagt haben, das kann nicht der Ansatz sein gegenüber der NATO. Und das Interessante - und das sagt vielleicht etwas über die Art und Weise, wie Kontinuität sich manchmal gestaltet, ohne dass man das so will - , ist hier, dass Frau Merkel mit ihrer sehr richtigen Forderung, dass die NATO als der wesentliche transatlantische Treibriemen auch genutzt werden muss zum Forum für Diskussionen, die wir zwischen Europäern und Amerikanern führen und wieder werden muss, ja etwas aufgreift, was Schröder bei der letzten Münchner Sicherheitskonferenz hat vortragen lassen, als er nämlich beklagte, dass die NATO eben dieses Diskussionsforum nicht mehr ist.
Das ist damals von einigen Beobachtern falsch verstanden worden als eine Generalabrechnung mit der NATO, aber es war eigentlich ein Aufruf, ein Warnruf, zu sagen, lasst uns überlegen, wie wir die NATO wieder in diese Funktion bekommen. Dass wir hier, wo eben alle Europäer dabei sind, auch die, die heute nicht in der EU sind, und wo alle Nordamerikaner dabei sind, nicht nur die USA sondern auch Kanada, dass wir in diesem Zusammenhang miteinander diskutieren was eigentlich in der Welt aus einem sicherheitspolitischen Blickwinkel für die Partner auf den beiden Seiten des Atlantik relevant ist.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, gehört nicht zu den besonderen Herausforderungen für die deutsche Außenpolitik, eine bessere Positionierung in Europa zwischen Frankreich und Großbritannien zu finden? Die Briten unter Tony Blair haben doch, wie ich finde, spannende Ansätze für die Weiterentwicklung der europäischen Politik in Sachen Agrar-Subventionen. Und wir sind eingeklemmt aufgrund der Irak-Politik an der Seite der Franzosen, denen wir offenkundig versprochen haben, dass sie ihre Agrarpolitik weiter fortsetzen können. Hier wirken die Briten in dem Bereich moderner.
Perthes: Die Briten wirken moderner, wo sie die Privilegien der Franzosen angreifen. Sie wirken nicht unbedingt da moderner, wo sie über ihre eigenen Rabatte reden. Ich bin eigentlich bis jetzt – wir haben Ende November – ein wenig enttäuscht über die Art und Weise, wie die Briten die Präsidentschaft geführt haben, denn wir haben eine größere politische Krise gehabt nach dem Debakel der Verfassungsreferenden in Frankreich und in den Niederlanden. Da hat man gesagt, wir machen jetzt eine Denkpause, aber die britische Präsidentschaft hat das ja im Wesentlichen als Pause vom Denken benutzt. Und wo sind denn in dieser Denkpause jetzt tatsächlich die neuen Denkansätze gewesen? Wo sind die neuen Vorschläge, die neuen Projekte gewesen, die man zur Diskussion also zum gemeinsamen Denken auf den Tisch gebraucht hätte? Die Briten hätten die Verantwortung gehabt, das geht schon mit Präsidentschaft einher. Ich finde es auch nicht ganz richtig zu sagen, Deutschland solle eine Rolle spielen zwischen Großbritannien und Frankreich. Ich glaube, wir müssen eine Rolle spielen mit Frankreich und Großbritannien und sicherlich noch eine der Staaten Mittel-Osteuropas, also wahrscheinlich mit Polen um zu sagen, wie bekommen wir die Europäische Union wieder so auf die Bahn, dass die Bürger das auch mitkriegen und dass sich sozusagen die ‚Euro-Skepsis’, die von allen Seiten beklagt wird, einfach darüber auflöst, dass Bürger wieder mitbekommen, dieses Europa ist unser Europa, wir profitieren davon.
Deutschlandradio Kultur: Ein Problem, das brennend zu nennen schon fast zynisch wäre, ist der Iran und sein Atomprogramm. Es geht darum, ob man wieder Verhandlungen aufnehmen kann, um den Iran dazu zu bekommen, auf ein militärisches Atomprogramm zu verzichten und auch zu beweisen, dass man darauf verzichtet. Der neue Außenminister Steinmeier hat schon gesagt, es muss von Iran dafür Garantien geben. Wunschdenken? Oder realistisch? Denn alles, was man bisher erlebt hat in Verhandlungen mit Iran, war der Garantien viele, die dann aber genau so gut auch wieder gebrochen wurden.
Perthes: Wir haben hier natürlich eine Situation, in der die Iraner sagen, wir haben überhaupt kein Interesse an einer militärischen Nutzung, sondern wir wollen zivile Nutzung. Und wir sagen, das ist ja schön, die zivile Nutzung dürft ihr auch haben, das steht euch zu als souveräner Staat und Mitglied des Nuklearwaffen-Sperrvertrages, aber garantiert uns, gerade wenn wir euch helfen sollen in der technologischen Weiterentwicklung, garantiert uns, dass euer ziviles Programm nicht eines Tages doch ein militärisches werden wird. Wir Europäer sagen, die einzige Garantie, die uns überzeugt, ist der Verzicht auf die Wiederanreicherung, der Verzicht auf die Schließung des Brennstoffkreislaufes in Iran. Und da werden wir wahrscheinlich noch ein bisschen kreativer werden müssen und sagen, wie können wir dies durchsetzen und gleichzeitig den Iranern ihr durchaus legitimes Recht auf zivile Forschung garantieren. Meiner Ansicht nach – und ich sage das seit einiger Zeit – könnte der Ansatz oder ein Ansatz für eine Lösung in einer Art "Euratomisierung" des iranischen Atomprogramms liegen. Das heißt: Ja, Iraner sollen forschen dürfen, alle zivilen Aspekte Nuklear-Technologie gehören dazu, aber dies muss ja nicht unter iranischer Souveränität und auf iranischem Territorium stattfinden, sondern es kann, so wie wir das im europäischen Verbund EURATOM machen, ja durchaus unter geteilter Souveränität und auch in anderen Ländern stattfinden. Das ist mittlerweile aufgegriffen worden.
Deutschlandradio Kultur: Zauberhafte Idee, aber eigentlich kaum vorstellbar, dass die Iraner darauf verzichten.
Perthes: Für mich ist das sehr vorstellbar und vielleicht müssen wir ja auch als Politikberater und Wissenschaftler uns immer etwas mehr vorstellen als sich ein Politiker, der mitten in der Verhandlung steckt, also zum Beispiel der iranische Beauftragte sich hier gerade vorstellen kann. Ich habe das Gefühl, wir haben dort noch Chancen, uns näher zu kommen. Interessanterweise haben die Russen dies aufgegriffen, haben auch die Amerikaner gesagt, sie wären nicht dagegen. Und die Iraner haben gesagt, na ja, darüber können wir diskutieren, wir stellen uns das so nicht vor aber wir können darüber reden. Wir haben in den letzten zwei Jahren jedenfalls durch unsere Verhandlungen verhindert, dass das iranische Nuklear-Programm heimlich weiter geführt wird, es gibt Inspekteure der Internationalen Atom-Energie-Agentur in Iran, die Zugang haben zu den Installationen. Wir werden aber wahrscheinlich einen Abschluss der Verhandlungen nicht bekommen, wenn nicht ein fehlendes Element dazukommt: nämlich eine direkte oder indirekte Sicherheitsgarantie für Iran, die die Europäer nicht geben können, sondern die die Amerikaner geben müssen.
Die europäischen Verhandler sagen das den Amerikanern jeden zweiten Tag. Wenn Teile der iranischen Elite nachdenken darüber, ob man nicht doch eine Option zumindest haben will, das Atom auch militärisch zu nutzen, dann machen sie das nicht wegen Israel, das machen sie nicht wegen Europa, denn von uns fühlen sie sich schon gar nicht bedroht, sondern das machen sie, weil sie sich umrundet fühlen von amerikanischen Truppen. Und wenn man sich die Karte anschaut und schaut, wo amerikanische Truppen stehen im Irak, im Golf, in Afghanistan, in Pakistan, dann, na ja ist es zumindest eine Überlegung, die man nicht ganz zur Seite schieben kann.
Deutschlandradio Kultur: Herr Perthes, wir bleiben in der Region, ich möchte fast sagen, in Ihrer Region, denn Sie sind unter anderem ein Spezialist für den Nahen Osten. Die neue Bundesregierung scheint ja Profil im Nahen Osten erhöhen zu wollen. Kaum dass sie dran ist, ist von deutschen Polizeitruppen, von einer Rolle der EU an der Grenze zwischen Israelis und Palästinensern die Rede. Wie bewerten Sie da die Chancen, wie sehen Sie das Engagement der Europäer und speziell der Deutschen dort?
Perthes: Es ist ja ein relativ kleines Engagement, zahlenmäßig, aber wahrscheinlich ein sehr wichtiges, weil es Freizügigkeit für Palästinenser ermöglichen soll und wahrscheinlich ermöglichen wird. Ich finde, es ist eine ausgesprochen positive Entwicklung, dass im Rahmen der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik es hier möglich ist, sehr, sehr schnell die Hilfe zu leisten, die es braucht, um ganz konkret einen Grenzübergang aufzumachen, solange Israelis und Palästinenser nicht genug Vertrauen zueinander haben um das einfach bilateral machen zu können. Dass es gleichzeitig möglich ist, dass die Israelis sagen, wir vertrauen den Europäern genug, und die Palästinenser sagen, wir vertrauen den Europäern genug und dazu – so haben Sie Ihre Frage ja angefangen – die Israelis das völlig in Ordnung finden, dass deutsche Polizisten da stehen und sagen, wir haben Vertrauen zu ihnen. Das, finde ich, ist eigentlich eine ganz positive Entwicklung und zeigt vielleicht, dass Europa doch ein bisschen erwachsen geworden ist. Wir können zwar nicht die großen militärischen Einsätze leisten, die die Amerikaner natürlich leisten können, aber vielleicht wollen wir das ja auch nicht. Vielleicht ist es uns ja wichtiger, hier und da eine Polizeimission zu starten, die einfach Konflikt verhütend wirkt. Selbstverständlich müssen wir da mitmachen, selbstverständlich sollten wir da mitmachen. Die einzige Ausnahme wäre, wenn einer der lokalen Beteiligten sagt - die Israelis oder die Palästinenser – und wahrscheinlich werden es dann eher die Israelis sagen, 'nein, Deutsche wollen wir da aber nicht drin haben’.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja in Israel eine wirklich historische Entwicklung. Da ist ein amtierender Regierungschef, der aus seiner eigenen Partei austritt, eine neue Partei gründet und es wird ja auch vorgezogene Neuwahlen Ende März geben. Jetzt heißt es von Scharon, dass er sich von der Formel 'Land gegen Frieden' verabschieden will. Er sagt jetzt: ‚Sicherheit für Israel gegen einen eigenen Staat für die Palästinenser’. Halten Sie das für eine kluge Formel vor dem Hintergrund, dass wir ja schlussendlich uns noch immer nicht ganz von dem Gedanken eines Friedensprozesses, wie erstickt er auch immer sein mag, verabschieden wollen?
Perthes: Scharon hat sich von dieser ‘Land für Frieden’ Formel, die ja die Essenz des Oslo-Prozesses war, schon lange verabschiedet. Er hat Oslo kritisiert, er wollte Oslo nicht und er hat von Anfang an gesagt, wir müssen das anders machen, nicht Land gegen Frieden, sondern allenfalls Sicherheit gegen ein Stück Land oder gegen territoriale Konzession. Das ist ein Ansatz, der unserer europäischen Logik überhaupt nicht entspricht, den wir zu Recht kritisiert haben. Aber gleichzeitig haben wir erlebt, dass Ariel Scharon dabei der erste israelische Ministerpräsident war, der tatsächlich okkupiertes palästinensisches Territorium aufgegeben hat, der sich eben zurückgezogen hat aus Gaza, der möglicherweise auch mit Rücksicht auf Widerstände gegen einen auf Verhandlungen basierenden Friedensprozess in der eigenen israelischen Öffentlichkeit gesagt hat, das einzige was möglich ist, ist Dinge unilateral zu tun, also selber zu bestimmen, wie weit ich gehen will entsprechend meinem eigenen Sicherheitsgefühl.
Wenn uns dies vorwärts bringt, glaube ich, müssen wir pragmatisch genug sein zu sagen: Oslo ist, aus welchen Gründen auch immer, gescheitert. Der Scharonsche unilaterale Scheidungsprozess, wenn Sie es so wollen, kann uns zumindest weiter bringen. Am Schluss, und interessanter Weises sagt Scharon das mittlerweile, am Schluss wird Unilateralismus nicht weiterhelfen, am Schluss, wenn es denn um die Grenzen des Staates Israel geht, von denen Scharon ja gesagt hat, er will sie in seiner nächsten Amtszeit eigentlich ein für alle Mal festlegen, wenn es dann um die Grenzen geht zwischen zwei Staaten, dann muss wieder verhandelt werden.
Volker Perthes wurde am 16. Mai 1958 im niederrheinischen Homberg als Sohn eines Ingenieurs geboren. Auslandsaufenthalte seines Vaters in der arabischen Welt weckten früh P.s Interesse an der Region und verhalfen ihm zu ersten Reisen nach Saudi-Arabien und Ägypten. P. studierte nach dem Abitur von 1976 bis 1986 in Duisburg Politische Wissenschaften und Geschichte sowie in Bochum Orientalische Philologie. 1990 promovierte P. mit einer Arbeit über Syrien. Danach war er Lehrbeauftragter an den Universitäten in Duisburg und Münster. 1991 bis 1993 hatte P. eine Assistenzprofessur an der American University in Beirut inne. 1992 kam er zu der aus Bundesmitteln geförderten Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP), die das Parlament und die Bundesregierung in außenpolitischen Belangen berät. Im Jahr 2003 übernahm P. die Leitung der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika. Im Rahmen des 2001-2003 von P. geleiteten Projekts "Elite Change in the Arab World" wurde einer der Forschungsschwerpunkte auf Struktur und Zusammensetzung der künftigen Eliten in der arabischen Welt gelegt. Die gewachsene Bedeutung der SWP als professionelle Politik-Beratungsinstitution zeigte sich 2003 bei den Diskussionen um den von den USA geführten Irak-Krieg bzw. dem daraus resultierenden Konflikt mit vielen europäischen Staaten. Im Jan. 2005 bestellte der Stiftungsrat P. zum neuen Direktor der SWP ab 1. Okt. 2005. Er trat die Nachfolge von Christoph Bertram an.