Persönlichkeitsschutz

Wer ich bin, bestimme ich!

Beate Rössler im Gespräch mit Katrin Heise · 04.12.2013
Zu allen Zeiten habe es den Rückzug ins Private gegeben, um die eigene Identität zu schützen, sagt die Philosophie-Professorin Beate Rössler. Die Herausforderung heute sei es, Plattformen und Geräte so auszustatten, dass Einstellungen zur Privatsphäre leicht vorgenommen werden können. Dieser Trend habe auch schon einen Namen: Privacy by design.
Katrin Heise: Was für ein genialer Werbegag vor ein paar Tagen, die Idee mit Drohnen, die die Amazon-Pakete innerhalb einer halben Stunde nach Hause liefern. Es kann einem allerdings auch das Lachen im Halse stecken bleiben bei dem Gedanken, was diese kleinen Helfer dann alles über uns an Informationen mit zum Händler zurücknehmen.
Das Recht auf Privatsphäre ist ein Menschenrecht, das uns unbehelligt von äußeren Einflüssen die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantieren soll. Dieses Recht scheint uns momentan aber angesichts der Bequemlichkeit beispielsweise einer Xbox nicht viel wert zu sein. Die Privatheit wieder kennenlernen und ahnen, was verloren geht – unter diesem Motto spreche ich jetzt mit Beate Rössler, sie ist Professorin für Praktische Philosophie an der Universität von Amsterdam. Ich grüße Sie, Frau Rössler, schönen guten Tag!
Beate Rössler: Guten Tag!
Heise: Wann haben die Menschen eigentlich die Privatheit für sich entdeckt? Waren das erst die Griechen oder schon die Steinzeitmenschen?
Rössler: Na ja, über die Steinzeitmenschen und deren Privatsphäre wissen wir natürlich nicht so viel. Aber was Historiker und Anthropologen schreiben und erforscht haben, ist, dass eigentlich keine einzige Gesellschaft oder Zusammenleben von Menschen je gefunden worden ist, wo es nicht irgendeine Trennung von privat und öffentlich gibt. Es kann einfach sein, dass das eine Linie ist vor dem Haus oder der Hütte oder dem, wo die Menschen sich zurückziehen, hinter der andere Regeln gelten als in der Öffentlichkeit. Aber es gibt immer irgendeine Unterscheidung. Im Blick auf Regeln, im Blick auf Verhaltensweisen, auf Tätigkeiten und so weiter.
Keine Gesellschaft ohne Trennung von privat und öffentlich
Heise: Wann wurde das Recht auf Privatsphäre denn so richtig geschätzt und darum auch gekämpft?
Rössler: Na ja, Gott, gekämpft wurde darum eigentlich nie so richtig. Das wurde als relativ selbstverständlich angenommen und der große Bruch, wie in vielen Hinsichten unseres politischen Zusammenlebens ist natürlich das 18. Jahrhundert, 17., 18. Jahrhundert, in dem die sogenannten negativen Freiheiten festgelegt wurden. Freiheiten, die sagen, dass Individuen bestimmte Rechte haben, zum Beispiel Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und so weiter. Und mit diesem Recht auf Freiheiten geht einher die Idee, dass wir privat Entscheidungen treffen können, wie wir es wollen. Ohne dass der Staat da reinredet. Aber wie gesagt, das ist eine politische Entwicklung, die wir ungefähr seit dem 18. Jahrhundert haben.
Heise: Und mit dem 20. Jahrhundert und jetzt den neuen Kommunikationstechnologien, da hat sich Privatheit so ein bisschen verändert, vom räumlichen Begriff erweitert quasi auf eine informationelle Privatsphäre. War denn davor öffentlich und privat immer durch Räume definiert? Sie haben vorhin von einer Linie gesprochen?
Rössler: Die Linie muss man sich durchaus symbolisch vorstellen. Ich glaube, es ist sinnvoll, verschiedene Dimensionen des Privaten zu unterscheiden, und zwar kann man das auch im Blick aufs 19. Jahrhundert oder davor. Auch schon im 18. Jahrhundert machte nämlich die lokale Privatheit, die Privatheit des Hauses, die für uns eigentlich so die selbstverständlichste Form von Privatheit ist, und dann die sogenannte dezisionale Privatheit, die Entscheidungsprivatheit. Das heißt, dass ich bestimmte Sachen selber privat entscheiden darf, zum Beispiel, auf welche Schule ich mein Kind schicke, oder - die Kinder selber, wenn sie 18 sind und entscheiden wollen, was sie studieren wollen oder welche Ausbildung sie folgen, dann können sie ihren Eltern sagen, das geht dich nichts an, das ist meine Privatsache. Und dann gibt es den dritten Begriff, die informationelle Privatheit. Und die ist in der Tat eigentlich erst im 20. Jahrhundert wirklich relevant geworden deswegen, weil es erst seit dem 19., 20. Jahrhundert technologische Entwicklungen gibt, die dafür sorgen, dass die informationelle Privatheit bedroht wird auf eine Weise, wie das vorher einfach nicht denkbar war.
Heise: Das heißt also beispielsweise auch personenbezogene Daten, also meine privaten Daten weitergegeben werden.
Ein Jura-Professor und die Hochzeitsfotos seiner Tochter
Rössler: Angefangen hat es am Ende des 19. Jahrhunderts mit einem berühmten Artikel von zwei Juristen aus Boston, weil nämlich die Tochter von dem einen geheiratet hat, und da waren Fotografen, die haben Fotos genommen und diese Fotos veröffentlicht in der lokalen Zeitung, und das ging dem Vater, der nun zufällig Juraprofessor auch noch war, so gegen den Strich, dass er gemeinsam mit einem Freund dann einen extrem einflussreichen Aufsatz geschrieben hat, der eigentlich die gesamte Privatheitsdebatte im 20. Jahrhundert und bis heute geprägt hat. Und da geht es darum, dass wir ein Recht haben darauf, welche Daten von uns wem gegeben werden.
Heise: Wie stehen, Frau Rössler, eigentlich Privatheit und Freiheit zueinander?
Rössler: Dadurch, dass – ich hab' schon versucht, zu sagen, dass es im 18. Jahrhundert zur gleichen Zeit entstanden ist, das Recht auf Privatheit als Freiheitsrecht und die anderen Freiheitsrechte. Ich würde sagen, wir können ohne Privatheit keine individuelle Freiheit leben. Vielleicht muss ich das ganz kurz verdeutlichen am Beispiel des Voyeurs. Wenn wir uns auf eine Weise verhalten, wie wir das eigentlich niemandem zeigen wollen, keinem Freund und auch den Eltern nicht und so weiter und dabei beobachtet werden durch den sogenannten Voyeur, das kann auch ein guter Freund sein, dann ist jedenfalls das Bild, das der Voyeur von uns hat, anders, als wir das wollen, anders, als wir das geplant haben, anders, als wir das denken. Wenn der Voyeur auch noch weitergibt an andere Freunde oder – heutzutage kann man das ja alles gleich auf Facebook setzen – an ganz viele sogenannte Freunde, dann haben wir überhaupt keine Kontrolle mehr darüber, wie Leute uns eigentlich sehen, wie andere Personen uns sehen. Und das gehört zu unserem Freiheitsbegriff, dass wir die Rollen, die wir spielen in der Gesellschaft, voneinander trennen können.
Heise: Also dass die Definition über uns selbst bei uns bleibt.
Rössler: Die Präsentation des Selbst, genau.
Heise: Privatsphäre, unser Thema im Radiofeuilleton mit Beate Rössler. Frau Rössler, jetzt haben wir diesen Voyeur, wie Sie ihn nennen, ja quasi per …
Rössler: … vertausendfacht.
Heise: Ja! Und vor allem per Technik auch noch in das Privateste, Selbstverständlichste, Privateste, unser Haus nämlich - mehr oder weniger freiwillig - hineingelassen. Was bedeutet denn diese ständige Transparenz für den Einzelnen? Ändert also das unser Verhalten?
Das Thema der Privatheit ist vielen noch zu abstrakt
Rössler: Das Problem ist, dass wir das natürlich noch nicht wirklich erforschen können. Es gibt mittlerweile ziemlich viel empirische Forschung darüber, wie sich Jugendliche eigentlich auf Facebook verhalten und wie viel sie preisgeben, wie viel sie preisgeben, ohne es zu wollen. Dass viele die Konsequenzen überhaupt nicht übersehen dessen, was sie da auf Facebook setzen. Aber was es bedeutet zum Beispiel für unser Verhalten, dass wir den berechtigten Eindruck haben, permanent beobachtet werden zu können. Oder, dass wir diese Xbox eins uns zu Hause installieren, oder, was ja der neueste Hit ist, jedenfalls hier bei uns, die Google-Glass-Brille, mit der man durch die Welt laufen kann und die einfach alles, was man sieht und was man dabei erfragen will – das kann man dann immer gleich im Internet fragen, wenn man irgendwo eine Kirche sieht und fragt, woher kommt die denn und so weiter –, wird auch alles sofort, alle Daten, weitergeleitet.
Das Problem ist, dass es diese extrem unglückliche Kombination gibt von Daten über uns, die wir unfreiwillig preisgeben und Daten von uns, die wir freiwillig preisgeben. Wenn die kombiniert werden, dann entsteht ein vollkommenes Bild unserer Persönlichkeit, jedenfalls von außen, unserer Aktivitäten, unseres Tuns. Und warum in unserer Gesellschaft eigentlich noch nicht, so wie Sie das vorhin gesagt haben, die Leute für Privatheit auf die Straße gehen, ist eigentlich nicht ganz erklärbar. Ich glaube, es ist einfach alles noch zu abstrakt. In dem Moment, wo sozusagen strukturell Probleme entstehen, wo strukturell nicht nur Einzelne, sondern viele Menschen zum Beispiel ihre Identität – wie sagt man das auf Deutsch – dass ihre Identität geklaut wird, dass einfach jemand anders so tut, als seien es sie selbst, weil jemand anders Zugriff hat zu allen Daten über die Person. Wenn so was struktureller passiert, ich glaube, dann werden auch die Menschen mit einer Xbox eins zu Hause skeptisch werden.
Heise: Andererseits kann man – Sie haben die jungen Leute angesprochen –, nachfolgende Generationen kennen es irgendwann nicht mehr anders, außer, wir kriegen noch mal die Wende hin – die werden natürlich das Problem, was wir sehen, so vielleicht gar nicht mehr haben. Außerdem kann man ja auch sagen, man kann im Netz ja auch selbst Identitäten kreieren, und dann hat man eben eine für die Außenwelt und eine für sich ganz innen drin. Das ist ja vielleicht auch nur eine Definitionssache.
Die Jüngeren müssen schwierige Lernprozesse durchmachen
Rössler: Absolut. Ich will jetzt auch nicht alle Kommunikationsmöglichkeiten und auch Unterhaltungsmöglichkeiten, die das Internet bietet, verdammen. Natürlich sind das wunderbare Möglichkeiten, auch, wie Sie sagen, mit Identitäten zu spielen. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass die sogenannte Jugend keinen Begriff mehr von Privatheit hat. Ich sehe das jedenfalls bei meinen Studenten, die immer unheimlich werden, wenn ich sage, ja, ihr setzt ja alles auf Facebook. Nein, sie wissen genau, was sie auf Facebook setzen. Jedenfalls, sagen wir mal, die, die jetzt so Mitte 20 sind. Und ich denke, das stimmt nicht immer.
Ich denke, vor allem die Jüngeren müssen erst schwierige Lernprozesse durchmachen, was es bedeutet, allzu private Dinge ins Internet zu setzen. Aber ich glaube, jeder Mensch, jede Person, auch diese jungen Leute, haben alle einen Begriff noch davon, was sie lieber nicht mit anderen teilen wollen. Also, es gibt diese Grenzen für jeden. Die verlaufen mittlerweile anders, das findet jemand wie ich, die aus einer sehr viel älteren Generation kommt, häufig überraschend und manchmal ärgerlich, aber die Grenzen gibt es immer noch.
Ich glaube, was sehr viel wichtiger werden wird und werden muss, ist das, was die Techniker und die Ethiker privacy by design nennen, nämlich dass Privatheit von vornherein in die Apparate, die Privatheit verletzen können, eingebaut wird. Dann würde in so eine Xbox eins, würden Mechanismen eingebaut, sodass man die Privatheit selbstverständlich schützen kann. Dann würde Facebook zum Beispiel eine Architektur haben auf der Website, wo man ganz selbstverständlich und ganz einfach die Freundeskreise trennen kann. Diese Idee, dass Privatheit relevanter wird und von vornherein auch in solche Apparate wie Google Glass, diese Brille, mit bedacht wird, bei der Entwicklung von Technik mit bedacht wird. Darauf müssen wir hinarbeiten. Denn wir können natürlich nicht darauf hinarbeiten, die Technologien nicht weiterzuentwickeln.
Heise: Hofft und sagt Beate Rössler, Philosophie-Professorin in Amsterdam. Wir unterhielten uns über Privatheit. Ich danke Ihnen, Frau Rössler.
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