Performance in Hamburg

Erinnerung an die Verfolgung von "Asozialen"

Der queere Künstler Tucké Royale im Studio von Deutschlandradio Kultur.
"Die Opfergruppe der sogenannten Asozialen lässt sich schwer umreißen", sagt Tucké Royale im Deutschlandradio Kultur. © Deutschlandradio / Andreas Buron
Tucké Royale im Gespräch mit Stephan Karkowsky  · 18.03.2015
Der Performer Tucké Royale hat in Hamburg einen "Zentralrat der Asozialen" gegründet. Er soll an eine Opfergruppe erinnern, die während der Nazi-Zeit massiv verfolgt wurde und heute vergessen ist.
Gerade auf Schulhöfen ist das Schimpfwort "asig" nie so richtig außer Mode gekommen: Oder die Zuschreibung Du "Asi" für: "Du Asozialer". Menschen mit Geschichtsverständnis zucken da zusammen, denn im Nationalsozialismus waren die sogenannten "Asozialen" eine verfolgte Gruppe aus Menschen, die vorwiegend aus einer Schicht kamen, die wir heute vornehm als "Prekariat" umschreiben. Die Nazis markierten die "Asozialen" in den Konzentrationslagern mit einem schwarzen Winkel.
Es gab nie eine Entschädigung
Doch anders als Juden, Sinti und Roma, Homosexuelle oder andere von den Nationalsozialisten Verfolgte haben sich die "Asozialen" nie zu einer eigenen Opfergruppe zusammengeschlossen oder gemeinsam für Entschädigung gekämpft. Dies holt der Performer Tucké Royale nun nach mit der Gründung eines "Zentralrats der Asozialen", eines künstlerischen Langzeitprojektes, das von verschiedenen Stiftungen gefördert wird und in Hamburg auf Kampnagel startet. In der zweiten Jahreshälfte soll noch eine Publikation herauskommen. Außerdem sollen mit einer Kampagne Selbstzeugnisse dieser Verfolgten des NS-Regimes gesammelt werden, um ein Archiv zu gründen.
Heterogene Opfergruppe
"Die Opfergruppe der sogenannten Asozialen lässt sich schwer umreißen", sagte Royale im Deutschlandradio Kultur. "Es ist wahrscheinlich mit die heterogenste Opfergruppe." Betroffen seien damals Obdachlose, Arbeitslose, Stricher, Bettler und Prostituierte gewesen. Es habe auch Überschneidungen mit anderen Opfergruppen, beispielsweise Homosexuellen, Juden oder Sinti und Roma gegeben. Der kleinste gemeinsame Nenner sei damals vermutlich eine "Unterschichtsherkunft" gewesen, sagte Royale. Auch in den Konzentrationslagern habe diese Gruppe die "unterste Stufe" repräsentiert. Es gebe keine Statistik, die aussagen könne, um wie viele Menschen es sich gehandelt habe. Die meisten seien wohl heute tot, sagte Royale.
Stigmatisierung setzt sich fort
Das Problem sei auch, dass "Asozial" vor allem eine Fremdzuschreibung sei, die keine Selbst-Identifikation mit dieser Opfergruppe ermögliche. Kritisch gesehen werde auch, dass die Stigmatisierung lange nicht als politisch angesehen wurde. "Dann ist aber der politische Verfolgungsgrund nicht anerkannt worden", sagte Royale. Mit dieser Stigmatisierung setze sich eine Scham bis heute fort.
Royale sagte, er habe dieses Thema schon während seines Studiums der Puppenspielkunst vor sich hergeschoben. "Ich war öfters in Gedenkstätten und in Ausstellungen und habe mich immer sehr gewundert, dass es in diesen Ausstellungsräumen so eine bestimmte Farbwinkeltabelle an der Wand gab, der man quasi entnehmen konnte, wie Opfergruppen eingeteilt wurden", sagte er. Auf dieser Tabelle habe dann abseits und reißerisch "Asozial" gestanden, gekennzeichnet mit einem schwarzen Winkel. Royale fand verdächtig, dass es dazu keine weiteren Informationen in den Ausstellungsräumen gab. Deshalb habe er angefangen, zu recherchieren und der Frage nachzugehen.
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