Perfekte Kurzgeschichten

Rezensiert von Lutz Bunk · 03.02.2006
Carlos María Domínguez wurde bereits 2004 für seinen Roman "Das Papierhaus" von den Kritikern gefeiert. Nun hat der argentinische Schriftsteller ein neues Buch vorgelegt: In dem Erzählband "Wüste Meere" spielen alle sieben Geschichten auf oder am Wasser. Dabei gelingt es Domínguez in spannenden und perfekt komponierten Stories die Freude des Lebens und die Melancholie des Scheiterns zu schildern.
2004 hatte der argentinische Schriftsteller Carlos María Domínguez sein Debüt in Deutschland; sein Roman "Das Papierhaus" wurde von den Kritikern gefeiert, einmal sogar mit Balzac verglichen, und Elke Heidenreich nannte es "ein Buch, sehr schön zu lesen". Nun ist ein neues Buch von Domínguez erschienen, "Wüste Meere", ein Band mit Erzählungen. Und zumindest haben alle Geschichten etwas mit Wasser zu tun. Drei spielen auf oder am Rio de la Plata und seinen Nebenflüssen, zwei vor der südamerikanischen Küste, und zwei entführen uns in den arabischen Golf und in den Pazifik. Fünf der sieben Erzählungen spielen tatsächlich im Wesentlichen auf Schiffen.

In einer der Erzählungen sagt jemand an Bord eines Schiffes: "Ich glaube, hier hat alles mehr Gewicht, es ist das Meer. Wir verlieren das Maß der Dinge", - eine Metapher für extreme Lebenssituationen, die es ebenso an Land gibt; in einer anderen Geschichte sitzen Männer in einer Kneipe, - "wie Schiffbrüchige in einem Meer aus Schweigen." Aber abgesehen von existentialistischen Metaphern birgt das Leben auf einem Schiff natürlich tatsächlich immer besondere Gefahren: So werden, auch heutzutage noch, blinde Passagiere einfach über Bord geworfen und müssen ertrinken. Das Meer ist eine perfekte Bühne für Dominguez; einmal sagt er: "Wir sind wie Gefangene auf dem Meer, wie Fische in einem Aquarium." Und so fühlt sich, mag man hinzufügen wollen, eben auch mancher Mensch an Land.

In einer Geschichte geht es beispielsweise um die Bergung eines Schiffes, aber alle Anstrengungen sind am Ende vergebens, denn hinter der Havarie steckt ein Versicherungsbetrug. In einer anderen Story erfährt der Leser von der Piraterie in den Flussdeltas Südamerikas. In einer der Erzählungen wird ein Supertanker im persischen Golf mit Raketen beschossen, und in der letzten Geschichte befinden wir uns auf einem Frachter mitten im Pazifik, zwei Besatzungsmitglieder sprechen miteinander, vollkommen betrunken erzählen sie sich ihr Leben, - nur, der eine versteht den andern nicht, denn der eine spricht Polnisch, der andere Spanisch.

Dominguez ist ein Meister seines Faches. Man muss seine Erzählungen mit denen der ganz Großen vergleichen, mit denen von Gabriel García Márquez und von Hemingway. Auf jeweils nur 20 Seiten in einer sehr spannenden, perfekt komponierten Geschichte die Freude des Lebens und die Melancholie des Scheiterns zu schildern und dabei den Puls des Lesers zum Rasen zu bringen, das schaffen nur wenige. Und was Dominguez für ein Sprachkünstler ist, das zeigt sich auch ganz konkret in seiner poetischen Kraft: "Das Licht der Taschenlampen fegte die Gänge", oder: "die Luft passte in eine einzige Faust", oder: "da steigt aus den Tiefen des Horizonts das Tosen der Stille."

Auf dem amerikanischen Kontinent, ob in den USA oder in Südamerika, gilt die Kunst, perfekte Kurzgeschichten zu schreiben, als die Krönung literarischen Könnens. Und dort können auch Erzählbände zu Bestsellern werden, was diesem neuen Buch von Carlos María Dominguez auch in Deutschland zu wünschen wäre, denn das hätte es verdient.

Carlos María Domínguez: Wüste Meere
Übersetzt von Elisabeth Müller
Eichborn Verlag 2006
128 Seiten, 14,90 Euro