Perfekte Fehlersucher

Von Thomas Gith · 17.07.2013
Die Berliner Firma Auticon setzt auf ungewöhnliche Mitarbeiter. Die Softwaretester können sich unwahrscheinlich gut konzentrieren und sehr genau beobachten. Aber wegen ihres Asperger-Syndroms haben sie auf dem Arbeitsmarkt meist keine Chance.
Ortsbesuch bei der Firma Auticon in Berlin. Das Softwareunternehmen residiert im fünften Stock eines geräumigen Altbaus. In den langen Fluren und hohen Räumen herrscht regungslose Stille. In einigen Zimmern klappert lediglich hin und wieder die Tastatur - so auch im Büro einer jungen Frau, die konzentriert am Computer arbeitet:

"Mein Name ist Melanie Altrock, ich bin 27 Jahre alt und Softwaretesterin bei Auticon."

Seit rund einem Jahr gehört die schlanke, dunkelblonde Frau zum Auticon-Team, testet hier neu entwickelte Software auf Programmierfehler. Ein so reizarmes und ruhiges Umfeld wie hier ist wichtig für einen Menschen mit Asperger-Autismus.

"Am besten ein eigenes Büro, Tür zu und nichts hören. Bloß in den meisten Firmen sind die Wände einfach zu dünn. Da hört man die Sekretärin noch drei Büros weiter husten, oder quatschen oder telefonieren und das kann ich gar nicht ab."

Solch ein Bedürfnis nach Ruhe, Abgeschiedenheit und Reizarmut könnte in einem normalen Büro-Umfeld für Unverständnis bei den Kollegen sorgen. Nicht aber bei Auticon: Denn hier arbeiten neben der Verwaltung ausschließlich Autisten sowie einige Coaches. Auch Melanie Altrock kann so Schwierigkeiten im sozialen Bereich vermeiden -und die hatte sie oft, etwa in der Schule, die sie nach der 12. Klasse abbrach:

"Ich war auf dem Gymnasium. Ich habe gemerkt, dass die anderen sehr merkwürdig sind, die anderen sind anders. Ja, ich kam mit denen nicht klar, aber von Autismus hatte ich nie was gehört. Da bin ich nicht von selbst drauf gekommen."

Erst vor rund einem Jahr wurde dann das Asperger-Syndrom bei ihr diagnostiziert - eine leichte Form des Autismus also. Viele der Betroffenen leben sehr zurückgezogen, vermeiden Kontakte mit anderen Menschen - so wie Melanie Altrock. Im Berufsleben ist das ein Handicap, sagt Tilman Höffken von der Auticon Öffentlichkeitsarbeit:

"Gerade wenn Sie sich den Unternehmensalltag anschauen: Es wird immer wichtiger, die so genannten Soft Skills mitzubringen. Das sind Dinge, die für Autisten Schwierigkeiten bedeuten. Also Metaphern verstehen, Small Talk, soziale Regeln - ganz leicht mit denen zu spielen, das sind Dinge, mit denen Autisten Schwierigkeiten haben. Und genau das macht sie in unserer Gesellschaft zum Teil zu Ausgegrenzten."

Bei Auticon ist das anders. Hier nutzt man die andererseits ebenfalls oft vorhandenen enormen Begabungen von Menschen mit Asperger-Autismus. Denn sie können sich sehr lange konzentrieren, erkennen häufig auch in komplexen Systemen sofort Strukturen.

Bei so genannten Quellcodes etwa: Einer schier endlos langen Ansammlung von Zeichen und Formeln also, mit denen Computer programmiert werden. Auch Melanie Altrock ist darin besonders gut:

"Meine Mustererkennung ist eine große Stärke. Bei einfachen Syntaxchecks. Code hat immer eine gewisse Struktur, da sind Muster drinnen und Musterabweichungen fallen mit einfach sofort auf."

Wo nicht geübte Menschen nur endlos viele Buchstaben, Zahlen und Zeichen auf dem Computermonitor sehen, erfasst Melanie Altrock sofort die Struktur dahinter, erkennt auch kleinste Zahlen- und Buchstabendreher. Eine ideale Jobvoraussetzung, die sie und 15 weitere Menschen mit Asperger-Autismus bei Auticon mitbringen, erzählt Tilman Höffken:

"Unsere Leute haben halt das Spezialinteresse IT. Und das Besondere bei Asperger-Autisten ist eben diese unglaubliche Konzentrationsfähigkeit, lange an einer vielleicht auch monotonen Arbeit sitzen zu können, ohne die Motivation daran zu verlieren. Kleinste Details zu finden und dann gleichzeitig auch die fehlerhaften Stellen innerhalb des Musters zu sehen. Und das ist, was unsere Leute besonders gut für die Qualitätssicherung und fürs Softwaretesting macht."

Ende 2011 wurde Auticon in Berlin gegründet - und mittlerweile gibt es zwei weitere Niederlassungen: In München und Düsseldorf. Zu den Kunden des Unternehmens zählen unter anderem Telekommunikationsunternehmen und Banken, die ihre Software auf Fehler testen lassen:

"Und wir sehen, gerade die Rückmeldung von unseren Kunden ist sehr positiv. Projekte werden verlängert. Wenn sich beide Seiten, also unsere Mitarbeiter und unsere Kunden, aufeinander eingestellt haben, dann sehen unsere Kunden oftmals auch, wie gut da die Zusammenarbeit klappen kann und was für sehr gute Arbeit abgeliefert wird."

Ganz ohne Unterstützung geht es allerdings nicht: Den Softwaretestern mit Asperger-Autismus werden daher bei Auticon so genannte Jobcoachs zur Seite gestellt. Sie treten als soziale Vermittler zwischen den Kunden und den Softwaretestern auf. Jobcoachs wie Elke Seng nehmen dabei etwa den Kontakt zu den Kunden auf:

"Es gibt bei Menschen aus dem Autismusspektrum häufig das Problem, dass sie nicht so sehr gerne telefonieren. Das machen wir also als Jobcoaches häufig, dass wir in der Firma anrufen, sei es, um Termine zu vereinbaren, sei es auch Arbeitszeiten, Urlaub abzusprechen oder andere Absprachen, die zu treffen sind. Das wir das für den Mitarbeiter übernehmen."

Auticon agiert dabei als soziales und wirtschaftliches Unternehmen, das sich auf dem Markt behaupten muss. Allerdings: Die Bewerbungskriterien sind bei Auticon besonders:

"Jeder Mensch aus dem Autismusspektrum kann sich erst mal bei uns bewerben. Voraussetzung ist eine Autismus-Diagnose, das ist ja das Leitbild der Firma. Und dann fragen wir schon die IT-Vorkenntnisse ab. Eine Ausbildung ist nicht unbedingt zwingend erforderlich aber Kenntnisse der Programmiersprachen schon."

Auch Melanie Altrock hat über diesen Weg ihre Anstellung ganz ohne Berufsausbildung bekommen.

"Ich habe nie eine gekriegt. Ich habe Arbeitslosengeld 2 bekommen, bis ich hier bei Auticon angefangen habe."

Für die 27-Jährige ist Auticon beruflich eine riesen Chance. Denn hier kann sie ihre Fähigkeiten einbringen - und sie ist nicht mit sozialen Situationen konfrontiert, die sie überfordern. Ihr Fazit:

"Ich bin glücklich hier, es ist wunderbar. Der perfekte Job für mich."
Mehr zum Thema