Perfekt in Kreis und Quadrat einfügt

10.12.2012
Leonardo da Vinci war ein Universalgelehrte. Seine Talente kommen in einer seiner berühmtesten Zeichnungen zum Ausdruck: der "Vitruvianische Mensch". Die Zeichnung ist bis heute geheimnisvoll. Um diese Geheimnisse kümmert sich Journalist Toby Lester in seinem Buch "Die Symmetrie der Welt".
Jahrhundertelang wusste fast niemand von ihrer Existenz, denn sie lagerte im Verborgenen. Zunächst als loses Blatt bewahrt, später in einen Folioband eingeklebt, wechselte die 34,4x24,5 Zentimeter kleine Zeichnung von einer Privatbibliothek in die nächste und verschwand schließlich im Museumsdepot.

Erst Mitte des 20. Jahrhunderts, tauchte sie - abgedruckt in einer kunsthistorischen Studie - wieder auf, und heute ist sie weltberühmt: die Skizze eines Mannes, der sich mit ausgestreckten Armen und Beinen perfekt in Kreis und Quadrat einfügt; bekannt als "Vitruvianischer Mensch", geschaffen um 1490 von Leonardo da Vinci.

So berühmt diese Zeichnung ist, so geheimnisumwoben blieb sie. Was stellt sie eigentlich dar? Ist sie Leonardos Illustration der Proportionslehre Vitruvs? Zeigt sie menschliche Idealmaße oder göttliche Harmoniegesetze? Verweist sie gar auf eine kosmische Ordnung? Und warum hat Leonardo sie gezeichnet? In welchem Kontext ist dieses Werk entstanden? All diesen Fragen spürt der Journalist Toby Lester in seinem neuen Buch nach.

Lesters Vorhaben ist gewaltig: Nicht weniger als 1500 Jahre europäische Geistes- und Ideengeschichte will der Autor zu einem erzählerischen Ganzen verweben. Tatsächlich spannt er seinen Bogen vom Werk des römischen Baumeisters Vitruv und antiken Proportionslehren, über frühchristliche geometrische Symbolik von Kreis und Quadrat, die mystischen Visionen einer Hildegard von Bingen und die Vorstellung des Mikrokosmos bis hin zu den philosophischen Ideen der Renaissance. Darüber hinaus verfolgt Lester die Lebensgeschichte Leonardo da Vincis bis zur Entstehung seiner berühmtesten Zeichnung in einem eigenen Handlungsstrang.

Streckenweise liest sich das sehr spannend. Etwa wenn Toby Lester der Wirkungsgeschichte von Vitruv nachforscht, wenn er spekuliert, ob Hildegard von Bingen wohl dessen Buch über Architektur kannte, oder wie Leonardo damit in Berührung gekommen sein mag. Auch gelingt es ihm hervorragend, die Idee des Mikrokosmos (im Kleinen spiegelt sich das Große), auf ihren mäandernden Wegen durch Europa und Persien zu verfolgen, bis sie schließlich zu Leonardos Zeit "so zentral war, wie der Evolutionsgedanke für uns heute".

Deshalb, so der Autor, kann der Renaissancekünstler schließlich postulieren, dass der "Mensch das Modell der Welt" ist und dieser Idee im "Vitruvianischen Menschen" eine Form gab. All das hat man selten derart stringent vor Augen geführt bekommen. Übrigens auch im Bild, denn Lester versammelt viele Abbildungen etwa antike Welt- oder Anatomiekarten.

So begeistert man den Nachforschungen des Autors über weite Strecken folgt, an manchen Stellen überfordert Lester seine Leser. Etwa wenn er zu viele Informationen auf zu wenig Raum presst, und sich bisweilen unzählige Namen, Theorien und Quellen auf einer Seite zusammendrängeln. Leonardo konnte 1500 Jahre Ideengeschichte in einer einzigen Skizze bannen. Sie in der gebührenden Tiefe und Breite nachzuerzählen, braucht es dann doch mehr als 304 Seiten.

Besprochen von Eva Hepper

Toby Lester: Die Symmetrie der Welt
Aus dem Englischen von Klaus Binder und Bernd Leineweber
Berlin Verlag, Berlin 2012
288 Seiten, 24,99 Euro


Links bei dradio.de:
Erste Erwähnung Amerikas
Toby Lester: "Der vierte Kontinent". Berlin Verlag
Amerikas Taufschein
Toby Lester: "Der vierte Kontinent. Wie eine Karte die Welt veränderte", Berlin Verlag, Berlin 2010, 528 Seiten
Mehr zum Thema