Perchlorat in Lebensmitteln

Unkrautkiller aus dem All

Paprika, Spinat, Mangold, Zwiebel, Möhren, Porree und Brokkoli liegen in einem Supermarkt.
Woher kommt das Perchlorat im Gemüse? © picture alliance / dpa / Jens Kalaene
Eine Kolumne von Udo Pollmer · 26.01.2018
In Kräutern, Blattgemüse oder Brokkoli lässt sich Perchlorat nachweisen. Aber woher kommt der Unkrautkiller, der längst verboten wurde? Bei ihren Forschungen stießen Wissenschaftler auf ein bislang unterschätze Pestizidquelle.
Ein Pestizid, von dem man annahm, es sei aus den ökologischen Kreisläufen längst entschwunden, ist einfach nicht kleinzukriegen. In schöner Regelmäßigkeit finden die Chemiker beachtliche Rückstände. Belastet sind hauptsächlich Kräuter, grünes Blattgemüse, Brokkoli, aber selbst Pudding kann betroffen sein. Für Kampagnen taugt das Pflanzenschutzmittel weniger, weil sich diesmal kein bekannter Hersteller ans Kreuz nageln lässt.
Es geht um den Unkrautkiller Perchlorat, der bereits vor einem Jahrzehnt verboten wurde. Irritierend ist, dass die zulässigen Höchstmengen recht hoch angesetzt sind, bei Treibhaus-Rucola sogar hundertmal höher als bei anderen verbotenen Mitteln. Und das bei einem Pestizid, das bis in die Muttermilch gelangt. Nach einer Bewertung durch österreichische Fachbehörden sind die Grenzwerte viel zu hoch angesetzt. Bei häufigem Gemüseverzehr befürchten sie Nebenwirkungen auf die Schilddrüse.
Perchlorat kann nicht nur durch eine Ausbringung auf dem Feld ins Gemüse geraten, sondern auch über Düngemittel, die damit verunreinigt sind. Als weitere Quelle gilt eine Desinfektion von Blattsalaten und Kräutern mit chlorhaltigem Wasser. Dies ist allerdings bei uns nicht erlaubt. Der mit Abstand wichtigste Einsatzzweck ist jedoch ein militärischer: Perchlorat dient als Treibstoff für Raketen. Dabei geht natürlich einiges verschütt und gerät in die Umwelt. Damit und mit den Folgen der Kernwaffentests erklärten die Amerikaner bisher ihre Rückstände in Gewässern.

Perchlorat entsteht im Sonnensystem

Lange Zeit ging die Fachwelt davon aus, dass wir Belastungen gewöhnlich menschlichen Aktivitäten verdanken. Nun aber rücken natürliche Quellen in den Focus der Forschung. Perchlorate werden durch Blitze in der Atmosphäre gebildet, womit das verbreitete Vorkommen im Wasser sinnvoller erklärt wäre. Doch nun wurde eine gigantische Pestizidquelle entdeckt: das Universum. Perchlorat entsteht im Sonnensystem und wie es scheint auf dem gleichen chemischen Weg wie in der Atmosphäre: aus dem allgegenwärtigen Chlor und Ozon. Die Isotopenmuster sind identisch.
Der Marsboden ist satt mit dem Raketentreibstoff und Pestizid verunreinigt. Daneben fanden sich zu allem Überfluss auch noch Chlorkohlenwasserstoffe, die auf der Erde verboten sind. Wer Schadstoffe grundsätzlich für "menschengemacht" hält, darf jetzt die kleinen grünen Männchen verdächtigen, das Gift heimlich in einem der Marskrater zusammengerührt zu haben. Als Treibstoff für ihre fliegenden Untertassen. Als sie abgehauen sind, haben sie ihren Giftmüll einfach liegen lassen.
Vielleicht rühren daher auch die polycyclischen Kohlenwasserstoffe, die auf Erden als krebserregend eingestuft werden, aber ungeniert überall im All herumschwirren. Eigentlich entstehen sie ja in Verbrennungsmotoren. Diesel und Erdgas gäbe es im Universum genug. Neben gewaltigen Mengen an klimaschädlichem Methan wabert reichlich Erdöl durch die endlosen Weiten des Pferdekopfnebels. Wie diese sogenannten "fossilen Brennstoffe" wohl dahin geraten sind?

Müllhalde Universum

Der Himmel hängt nicht nur voller Geigen, Gift und Gas, sondern lockt auch mit Süßem. In Meteoriten findet sich ein breites Sortiment an Zuckerstoffen. Es sind zwar nur Spuren, aber rechnet man dies aufs Weltall um, dann dürften bereits die Zuckervorräte, die in der Milch(!)straße ungenutzt herumdümpeln, grenzenlos sein.
Ohne Sinn für die fernen Verlockungen, entsenden wir dagegen unseren Schrott ins All: Im irdischen Orbit fliegen kaputte Satelliten, Werkzeugtaschen, sogar ein Astronauten-Handschuh herum, – tausende Tonnen. Bald ist das Universum randvoll mit menschlichen Hinterlassenschaften. So schnell kann‘s gehen.
So bleibt nur die tröstende Einsicht Albert Einsteins: "Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher." Mahlzeit!

Literatur:
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