Pegida

Das Fremde gehört zum Abendland

Gegner der Anti-Islam-Bewegung "Dügida" demonstrieren am 12.01.2015 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) mit einer Leuchtschrift "Stop PEGIDA"
Gegner der Anti-Islam-Bewegung "Dügida" demonstrierten in Düsseldorf © picture alliance / dpa / Federico Gambarini
Von Michael Lösch · 21.01.2015
Das Abendland, das sich die Pegida-Anhänger wünschen, habe es so nie gegeben, erklärt der Schriftsteller Michael Lösch: Schon Friedrich von Hohenstaufen siedelte als Christ in seinem Vielvölkerreich Muslime an, um politische Spannungen zu entschärfen.
Kürzlich war es so, als wollte Gott meine Tochter erziehen. Und ich gebe zu, dass ich das auch wollte.
Wir wohnen unweit des Münchner Hauptbahnhofs. Und von dem gehen zwei symbolträchtige Straßen ab. Die Goethe- und die Schillerstraße. Unterwegs zum S-Bahnhof begegnen uns jede Menge Menschen, die fremd erscheinen, die als Muslime zu erkennen sind.
Die 10-jährige Tochter hält meine Hand fest. Fester als sonst. Ich frage, fürchtest du dich vor den schwarzen Männern? Sie nickt nur. Du musst Dich nicht fürchten, die sehen nur anders aus als wir, manchmal reden sie lauter als wir und manchmal sind sie ebenso unrasiert wie ich.
Sie weist verängstigt auf die Bettler, die hier zuhauf herumsitzen: Die aber sind leise, Papa, und ich fürchte mich trotzdem. Ach, erwidere ich, das sind arme Leute, sie kommen aus Rumänien wie dein Papa auch. Sie würden nicht betteln, wenn es ihnen zu Hause besser ginge. Und bestimmt sind sie traurig, weil sie hier in der Fremde sitzen und frieren und betteln müssen.
Was würden die Pegidas sagen, wenn sie meine Tochter hörten? Auch an ihre Adresse gerichtet gebe ich zu Bedenken, dass manch schwarzer Mann freundlicher und hilfsbereiter ist als manch Weißer.
Und ich erzähle meiner Tochter, wie mich einmal ein Auto angefahren hat, als ich auf dem Fahrrad saß. Ich stürzte und das Auto fuhr weiter. Andere Autos machten einen Bogen um mich und setzten ihren Weg fort. Es waren zwei schwarze Pakistani, die mich packten, von der Straße schleppten und den Notarzt riefen.
Und als wir in der S-Bahn sitzen, schaltet sich nun also Gott ein, der offensichtlich zugehört hat, und es uns zeigen will. In der S-Bahn ist viel los. Ein Ausländer, vielleicht ein Türke, erhebt sich und macht uns beiden Platz. Siehst du, sag ich, der hat uns seinen Sitzplatz angeboten, der schwarze Mann da.
"Werden wir islamisiert? Keine Ahnung"
Zwei Stationen weiter steigt eine restlos überforderte Mutter zu. Sie trägt ein Baby im Arm und hat noch einen etwa fünfjährigen Jungen mit seinem Tretroller bei sich. Der Junge fällt vom Roller genau in dem Augenblick, da er zusteigen will. Er gerät mit dem Fuß zwischen Waggon und Bahnsteig.
Ich bin so erschrocken, dass ich nur benommen hinstarre und das Schlimmste erwarte. Die Mutter ebenso. Und da ist dann wieder so ein schwarzer Mann, der greift beherzt zu und holt den schreienden Balg in den Zug. Dann greift er noch nach dem Roller.
Meine Tochter starrt nun abwechselnd die kreidebleiche Mutter an und den hilfsbereiten Mann. Eine eindrucksvolle Lektion, die ihr und auch mir da erteilt wird.
Ich füge an die Adresse der Pegidas hinzu: Deutschland ist ein Einwanderungsland und wir brauchen Einwanderung. Nur können und sollten wir nicht selektieren. Mal sind die Einwanderer bettelarm, mal stinkreich, mal christlich, mal muslimisch, mal westlich, mal östlich. Und das ist gut so.
Werden wir islamisiert? Keine Ahnung. Wichtig ist, dass sich alle an eine freiheitliche, an eine demokratische Ordnung halten, vor allem die Würde jedes Einzelnen achten, so wie das Grundgesetz es befiehlt.
Schon der große Friedrich von Hohenstaufen, der ein riesiges Vielvölkerreich regierte, wusste politische Spannungen zu entschärfen. Weil es mit den Sarazenen ständig Ärger gab, siedelte er sie in Apulien an, verpflichtete ihre Männer zum Kriegsdienst und rekrutierte sie für seine Leibgarde. Er war ein überzeugter Christ. Seine Sarazenen aber waren Muslime – und dem Herrscher treu bis über dessen Tod hinaus.
Heute würde er den Pegidas vielleicht zurufen: Ich bin kein Patriot in Eurem Sinne, ich fürchte die Islamisierung nicht, und Euer Abendland hat es so, wie Ihr es Euch vorstellt, nie gegeben! Also macht Euch locker.
Michael Lösch lebt und arbeitet in München - als Schriftsteller und DJ. Er stammt aus Hermannstadt, siedelte 1973 von Rumänien nach Deutschland aus und studierte Deutsch, Geschichte und Sozialkunde. Zurzeit beendet er den ersten Band der Romantrilogie "Die Geschichte der Seiten", die über hundert Jahre hinweg aus zwei Teilen einer Welt erzählt, aus einer östlich-balkanischen und einer westlich-bundesrepublikanischen.
Michael Lösch
Michael Lösch© Stephan Paul Stuermer
Mehr zum Thema