Wunderglaube im Islam

Gott wirkt in der Natur

09:16 Minuten
Ein Sichelmond am blauen Himmel hinter einem Minarett.
Der Prophet Muhammad soll die Mondsichel gespalten haben. Doch das größte Wunder, das ihm zugeschrieben wird, ist der Empfang der göttlichen Offenbarung. © Getty Images / Gëzim Fazliu / EyeEm
Paula Schrode im Gespräch mit Anne Françoise Weber · 25.09.2022
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Im Islam gilt der Koran als zentrales Wunder. Manche Muslime wenden sich an Heilige, um Wunder zu erbitten, andere lehnen das als Umweg ab. Gottes Wundertaten sehen viele vor allem in der Natur, sagt die Religionswissenschaftlerin Paula Schrode.
Anne Françoise Weber: Manche Christinnen und Christen entdecken in ihrem Alltag viele Wunder. Aber wie ist das bei Menschen muslimischen Glaubens, gibt es das da auch? Und wenn wir auf die Schriften schauen – dass Jesus als Gottes Sohn in der Bibel Wunder wirkt, ist ja nachvollziehbar, aber wie ist das mit dem Propheten Muhammad, der so ganz explizit nur ein Botschafter ist und nichts Göttliches an sich hat?

Muhammad soll den Mond gespalten haben

Das sind Fragen, die ich mit Paula Schrode besprechen will. Sie ist Professorin für Religionswissenschaft mit Schwerpunkt Islamische Gegenwartskulturen an der Universität Bayreuth und hat unter anderem zur Ritualpraxis von sunnitischen Muslimen in Deutschland geforscht. Frau Schrode, fangen wir mal bei den Quellen an: Von welchen Wundern berichtet denn der Koran?
Paula Schrode: Ja, der Koran ist, vor allem aus muslimischer Sicht, tatsächlich selbst das zentrale Wunder. Zur Entstehung des Korans hat es diese Erwartung gegeben, dass Propheten sich durch Wunder beweisen müssen, also ihr Prophetensein beweisen müssen, und so hat es auch eine Reihe von Erzählungen gegeben, was Muhammad an Wundern gewirkt hat.
Es gibt eine Geschichte, dass er den Mond gespalten hätte. Aber eigentlich ist das zentrale Wunder, womit Muhammad seine Prophetenschaft unter Beweis stellt, eben der Koran selbst, also die Tatsache, dass er den Koran empfangen hat als göttliche Offenbarung. Vom Koran wird eben auch gesagt, dass er unnachahmlich ist, also dass er durch seine Form schon Zeugnis von Gott ablegt, weil ein Mensch so eine Dichtung gar nicht hätte verfassen können.
Weber: Und das Wunder ist eben auch nicht Muhammads eigenes allein geschaffenes Wunder, sondern es ist sozusagen Gott, der durch ihn wirkt.
Schrode: Genau, das ist das ganz zentrale Verständnis im Islam, dass immer Gott der Wirkende ist. Und auch eine besondere Kraft, die ein Mensch vielleicht hat, irgendetwas zu bewirken, was seine Umgebung dann als Wunder erlebt, diese Kraft kommt letztlich immer von Gott, und das ist auch das islamisch richtige Verständnis dann.

Menschgemachte Magie wird abgelehnt

Weber: Und das ist auch ein Unterschied zur Magie, wo man einen Zauber kennen und sprechen kann und dann wird etwas bewirkt – da gibt’s ja nicht unbedingt göttliche Intervention. Das heißt, der Islam setzt das auch ab von Wunder – Magie sind keine Wunder?
Schrode: Ja, ganz genau. Es wird immer betont, dass alleine Gott derjenige ist, der Wunder wirkt, wie überhaupt natürlich auch die ganze Welt, die er geschaffen hat, und damit er letztlich der einzige Verursacher ist. Und Magie bezeichnet die Haltung, in der sich Menschen selbst zutrauen, Dinge zu bewirken, und das ist im islamischen Kontext dann immer abwertend benutzt.
Also, Magie, Zauberei, diese Begriffe werden verwendet, um Praktiken von anderen Menschen abzuwerten, denen dann eben unterstellt wird: Ja, ihr denkt, dass ihr selbst die Dinge kontrollieren könnt, aber eigentlich ist Gott allein allmächtig.
Die Religionswissenschaftlerin Paula Schrode trägt kurze dunkle Haare, ein graues Sakko und eine Halskette mit Halbedelsteinen.
Wirkliche Wunder vollbringt nur Gott. Diese Überzeugung ist im Islam tief verwurzelt, sagt Paula Schrode.© Universität Bayreuth / Donal Khosrowi
Weber: In der katholischen Kirche werden nur Personen heiliggesprochen, die Wunder, also natürlich auch Wunder mit göttlicher Hilfe bewirkt haben sollen – wie ist das im Islam? Da gibt es ja durchaus auch Heilige, bewirken die auch Wunder?
Schrode: Ja, das muss man unterscheiden. Es gibt die Idee von Bestätigungswundern, durch die die Propheten bestätigt wurden – Muhammad war der Letzte in dieser Reihe, aber es sind ja auch die ganzen Propheten des Alten Testamentes, denen werden ja auch Wundergeschichten zugeschrieben. Die dienten dazu, diesen besonderen Status dieser Menschen zu bekräftigen.

Wunder bestätigen Propheten, aber keine Heiligen

Wenn wir jetzt von Heiligen sprechen, dann ist das nicht vergleichbar mit Heiligen in christlichem Kontext, die eben von einer Instanz heiliggesprochen werden, sondern es geht hier eher um die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die eben Gott besonders nahe sind.
Auch hier geht es aber beim Verständnis von Wundern dann darum, dass diese Wunder letztlich von Gott kommen, also dass sie durch Gott Wunder wirken können, oder beziehungsweise andersrum, Gott wirkt durch diese Menschen Wunder.
Das geht von Gott aus, und das Verständnis ist eben auch, dass die Heiligen selbst oder diese Personen selbst eigentlich eine demütige Haltung haben müssen, also die dürfen sich nur als Werkzeug Gottes verstehen. Sobald sie den Anspruch haben, dass sie selbst Dinge bewirken können aus eigener Kraft, gilt das eben dann als ein falsches unislamisches Verständnis.
Aber genau daran entzünden sich dann auch immer wieder Diskussionen, dass eben Menschen vorgeworfen wird, dass sie sich anmaßen, Dinge zu bewirken, die eigentlich nur Gott bewirken kann. Was es auf jeden Fall im Islam nicht gibt, ist eine Instanz, die Menschen heiligspricht auf der Grundlage von bestimmten Wundern, die sie gewirkt hätten.

Wo Gottes Segenskraft besonders wirkt

Weber: Aber was es durchaus gibt, ist eine Art Wallfahrt zu den Gräbern von Heiligen, wo man dann auch eben sich erhofft, dass da ein Wunder passieren möge – also man geheilt wird oder eine Frau, die bislang als unfruchtbar galt, schwanger wird oder so was. Das ist doch durchaus vorhanden.
Schrode: Ja, das ist sehr weit verbreitet in der islamischen Welt, dass solche Orte aufgesucht werden oder solche Personen, und hier gibt es diese Vorstellung, dass die Segenskraft, die göttliche Segenskraft, also baraka, dass das besonders eben an diesen Orten wirkt, wo Frömmigkeit praktiziert wird. Aber wie gesagt, die Idee ist, das ist eigentlich die göttliche Kraft, die da an dem Ort dann wirkt, und das geht nicht von den Menschen eigentlich aus.

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Weber: Das sagen auch die, die Wallfahrten machen, aber es gibt dann strenge Gläubige, wahrscheinlich kann man sie als Salafisten bezeichnen, die sagen, das ist alles überhaupt Mumpitz oder wie auch immer, aber jedenfalls nicht korrekt islamisch und sollte eingestellt werden, oder?
Schrode: Genau. Hier gibt es dann diese Auffassung, dass alles suspekt ist, wo irgendwie Menschen zugeschrieben wird, dass sie einen Unterschied machen können. Alleine die Vorstellung, wenn jemand sich an bestimmte Personen wendet, dass man dann mehr Aussicht auf Heil hat, als wenn man sich direkt an Gott wendet, ist aus so einer salafistischen Sicht abzulehnen, weil hier eben nicht direkt bei Gott dann Heilung gesucht wird, sondern weil man sich stattdessen an andere Menschen wendet.

Salafisten lehnen jeden Umweg über Personen ab

Damit ist diese Idee, dass Gott allein allmächtig ist und, dass Gott allein anzubeten ist und dass man sich an Gott allein wenden muss, um Heil zu finden, dieser Gedanke ist dadurch korrumpiert. Und da ist dann immer der Vorwurf, dass man ja doch eigentlich auch Menschen anbetet und bei Menschen Zuflucht sucht statt eben bei Gott.
Obwohl dieser Diskurs auch unter denjenigen, die jetzt zum Beispiel Heilige aufsuchen, natürlich geführt wird, dass die Heilung allein von Gott kommt, gibt es auch aus salafistischer Sicht da große Bedenken gegenüber so einer Praxis.
Weber: Und wie ist das nun heute, wenn wir jetzt nach Deutschland gucken – Sie haben Muslime und Musliminnen begleitet in ihrer Glaubenspraxis hier –, spielt denn da der Wunderglaube eine große Rolle?
Schrode: Ja, unter Muslimen in Deutschland spielt das jetzt weniger eine Rolle, dass man über sehr spektakuläre Ereignisse spricht oder davon erzählt, dass da irgendwelche unerklärlichen Dinge passiert wären, sondern es geht vielfach darum, zu betonen, dass die Natur, so wie wir sie wahrnehmen in ihrer Gesetzmäßigkeit, auch in dem, was die Wissenschaft erforscht, eigentlich ein Wunder ist und eben aus dieser Perspektive auch zu verstehen ist.

Die Komplexität der Natur gilt als Wunder

Was häufig auch gemacht wird, ist, dass dann ausgehend von neuen Erkenntnissen über die Komplexität der Natur und der Welt dann auch der Koran noch mal neu gelesen wird, und das ist dann wiederum eine Bestätigung auch des Wunders des Korans, dass man dann den Koran in dem Sinne liest, dass da bestimmte moderne Erkenntnisse eigentlich schon enthalten waren.
Solche Diskurse spielen eine relativ große Rolle, also einfach auch Dinge im Alltag, Erlebnisse im Alltag aus der Perspektive zu betrachten und zu deuten, dass Gott hier eingegriffen hat oder dass Gott hier lesbar wird für diejenigen, die in der Lage sind, das zu verstehen sozusagen. Aber es geht vielfach um Dinge, die jetzt nicht unbedingt übernatürlich erscheinen.
Weber: So diese Idee eben, wenn eine Frau sehr gerne Kinder haben möchte und ihr aber die Ärzte sagen, das ist eigentlich wenig wahrscheinlich, dass das noch passiert, dann eine Wallfahrt anzutreten, also da auf ein Wunder zu hoffen, das hat vielleicht auch einfach über die Generationen abgenommen. Ich würde vermuten, dass das, jedenfalls im Christentum, so ist, dass dieser direkte Wunderglaube – außer in manchen Strömungen, von denen wir vorher gehört haben – doch tendenziell eher abgenommen hat über die Zeit.
Schrode: Ja, also das ist sicherlich wirklich sehr milieuspezifisch, hat auch zu tun mit Bildungsgrad und so weiter. Aber es ist durchaus nicht ungewöhnlich, dass wenn man an einem Punkt angelangt ist, an dem man sagt, wir haben jetzt so vieles versucht, dass man dann sagt, ja, okay, vielleicht kommt hier die wissenschaftliche Medizin an ihre Grenzen, aber vielleicht sollten wir uns darauf besinnen, dass eigentlich sowieso nur von Gott Heilung kommen kann, und vielleicht versuchen wir andere Wege.
Das sind dann Bereiche, wo natürlich auch verschiedene Heilungsangebote ja in direkter Konkurrenz stehen – also eben wissenschaftliche Medizin und religiöse Versuche, Heilung zu erlangen. Ja, das ist sicherlich sehr milieuspezifisch, wo man sich da als Erstes hinwendet, aber es ist keineswegs so, dass diese Idee jetzt verloren gegangen wäre.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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