Paul Mendes-Flohr: „Martin Buber“

Der unangepasste Vordenker

06:49 Minuten
Das Cover des Sachbuchs von Paul Mendes-Flohr, "Martin Buber. Ein Leben im Dialog". Es zeigt einen alten Mann mit schütterem, längerem, weißem Haar und einem kräftigen Vollbart im Halbprofil. Er trägt Sakko, darunter eine Weste und hat ein Tuch um den Hals geschlungen. Das Buch ist auf der Sachbuchbestenliste von Deutschlandfunk Kultur, ZDF und "Zeit".
© Suhrkamp

Paul Mendes-Flohr

Übersetzt von Eva-Maria Thimme

Martin Buber – Ein Leben im DialogJüdischer Verlag, Berlin 2022

413 Seiten

36,00 Euro

Von Carsten Hueck · 23.05.2022
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Zionist, Soziologe und religiöser Ideengeber – Martin Buber war vieles. Das macht die Biografie von Paul Mendes-Flohr auf anschauliche Weise deutlich. Und weil der Philosoph in keine Schublade passte, kann er heute noch inspirieren.
Keine vier Jahre alt ist die Gedenktafel am ehemaligen Haus Martin Bubers in Berlin-Zehlendorf. Angebracht 140 Jahre nach seiner Geburt im Wien der K.u.K-Monarchie.
Martin Buber war zwar Kind jener Epoche, doch schöpfte er aus ganz anderen historischen und geistigen Quellen: Von ihm Gedachtes ragt bis in die Gegenwart – nicht allein wegen der Buber-Rosenzweig-Medaille, die alljährlich für Verdienste um die christlich-jüdische Zusammenarbeit verliehen wird.

Bubers Biografie als Denkbewegung

„Ein Leben im Dialog“ nennt der amerikanische Historiker Paul Mendes-Flohr sein Buch, das den plakativen Begriff „Biografie“ vermeidet, aber doch Bubers Lebensgeschichte einprägsam nachzeichnet. Buber selbst wünschte einst, man solle sich dabei auf sein Denken konzentrieren.
Mendes-Flohr, Mitherausgeber der 22-bändigen Martin-Buber-Werkausgabe, hat genau das getan: Er stützt sich auf Bubers Schriften und seine Korrespondenz – 50.000 Briefe, gewechselt zwischen Buber und Hunderten seiner Briefpartner, die in der israelischen Nationalbibliothek archiviert sind.
Er geht aber auch auf Bubers autobiografischen Äußerungen ein und auf seine Gedichte sowie auf mündliche und schriftliche Zeugnisse derjenigen, die ihm nahestanden, darunter seine Kinder, Enkel und Urenkel.

Eindrückliche Erscheinung

Nur drei Fotos finden sich in dem Buch. Am eindrücklichsten auf dem Umschlag ein Porträt Bubers aus dem Jahr 1958: weißhaarig und weißbärtig, der Mund verdeckt, die Augen wach.
Ein grob gestrickter, bunter Schal über das Sakko geschlungen, das noch den Blick auf einen gemusterten Krawattenknoten freigibt. Eine Mischung aus Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Thierse und einem alttestamentarischen Propheten, ehrwürdig und unkonventionell zugleich.
Zur Zeit der Aufnahme war Buber längst eine Legende – verehrt, verklärt, auch angefeindet.

Unangepasster Universalgelehrter

Paul Mendes-Flohr gelingt es nachvollziehbar und anschaulich, den Werdegang, die persönliche und geistige Entwicklung dieses faszinierenden Denkers nachzuzeichnen, der ohne Mutter im Rabbinerhaushalt seines Großvaters in Lemberg aufwuchs.
Der Autor arbeitet heraus, immer in Bezug auf die jeweilige Epoche, welche Begegnungen Buber veranlassten, sein Denken zu entwickeln und auch den erfahrenen Realitäten anzupassen.
Und wie Buber schließlich zu der Überzeugung kam: Die ehrliche Begegnung zwischen Menschen, der Dialog, habe im Mittelpunkt des Lebens und des Glaubens zu stehen; die Integration von Seele und Natur, des Transzendenten und des Alltäglichen.

Martin Buber und Theodor Herzl

Buber kannte durch seine Großeltern die jüdische Tradition, wendete sich aber später von ihr ab, studierte Philosophie, Psychologie, Literatur und Kunstgeschichte. Nietzsche las er als poetischen Appell „an einen radikalen Skeptizismus gegenüber jedweden Systemen und Theorien".
Das Gespräch mit Gott war für ihn auch ohne Einhaltung vorgeschriebener Bräuche möglich. Die Idee einer „jüdischen Renaissance“ beflügelte Bubers zionistisches Engagement.
Von Theodor Herzl begrüßt und gefördert, entzweiten sich die beiden aber, als Buber Zionismus als spirituelles und kulturelles Prinzip definierte und nicht als politische Ideologie, die nach einem Nationalstaat strebt.

Verbindung von Mystik und Soziologie

Buber befasste sich intensiv mit dem Chassidismus, der für ihn „innere Wahrheit“ und „Vielheit“ des Judentums verkörperte sowie eine lebendige Spiritualität. Mit seinen Publikationen und Vorträgen begeisterte er junge Juden für den Chassidismus, die ein neues Selbstverständnis und -bewusstsein suchten.
Unter ihnen war auch Gershom Scholem, der Buber später mangelnde Wissenschaftlichkeit vorwarf. Für Buber jedoch gingen Mystik und Soziologie, tiefe Gelehrsamkeit und zwischenmenschliche Gemeinschaft zusammen.
Das zeigt sich auch in den vielfältigen Einflüssen seines Denkens: Neben Max Weber oder Georg Simmel war auch der Anarchokommunist und Mystiker Gustav Landauer ein wichtiger Impulsgeber, wie Mendes-Flohr zeigt.
Das macht „Ein Leben im Dialog“ klar: Buber war – trotz zahlreicher Ehrungen – ein Unangepasster, einer, der in keine akademische Schublade passte, der es auch auf sich nahm, gegen den herrschenden Zeitgeist sein eigenes Credo von der Selbsterfahrung im Anderen zu behaupten. Diese Idee des Dialogischen, macht ihn auch heute noch inspirierend.

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