Paul Celan abseits literarischer Themen

21.01.2011
Mittlerweile ist fast kein Briefwechsel Paul Celans mehr unveröffentlicht, fast jede seiner schriftlichen Zeilen ist jetzt bekannt. Im neuesten Briefband Celans taucht nun ein ganz früher Kontakt wieder auf – mit Gustav Chomed, einem Czernowitzer Jugendfreund.
Es gibt sogar einen frühen Brief, den Celan 1938 als 18-Jähriger aus seinem Studienjahr im französischen Tours nach Czernowitz schrieb. Er ist in seiner ungestümen jugendlichen Trauer, seiner Sehnsucht, seiner Einsamkeit in der ihn umgebenden Fremde ein unvergleichliches Zeugnis. Wer will, kann im Pathos dieser Einsamkeit schon Vorzeichen dessen sehen, was den Dichter Paul Celan später ausmachen wird.

Durch die verschiedenen Lebenswege bricht der Kontakt dann ab. 1962 aber nimmt Celan, der sich von allen Seiten bedrängt fühlt, wieder Kontakt zu seiner früheren Heimat auf. Es kommt dabei, wie zu einigen anderen Czernowitzer und vor allem Bukarester Freunden, zu einer Neuaufnahme der Verbindung. Sie ist bei Chomed zögernd und vor allem dadurch geprägt, dass es gemeinsame Jugenderinnerungen gibt – der Ton ist herzlicher als der, den man bei Celan oft antrifft. Auffällig ist, dass es kaum literarische Themen sind, die hier angesprochen werden. Das ist bei Celan eine große Ausnahme: Lektüre, Nachdenken über Literatur ist immer ein Hauptantriebsmittel bei ihm.

Gustav Chomed lebte nach den terroristischen Kriegsjahren wieder in Czernowitz und war Buchhalter in einem Krankenhaus. Er hatte sich in einer historischen Schlüsselsituation anders als Celan entschieden. Als die sowjetischen Truppen während des Zweiten Weltkriegs zunächst Czernowitz besetzt hatten, sich dann aber wieder zurückziehen mussten, blieb Celan noch länger in seiner Heimatstadt, während Chomed sofort mit der Roten Armee in die Sowjetunion ging.

Es sind 24 meist kurze Briefe, gleichmäßig auf beide Absender verteilt. Nur wenige gehen durch ihren Ton und die darin berichteten Erlebnisse und Gefühle über allgemeine Nachfragen und Formeln hinaus. Doch gerade in dieser Vorsicht und Unsicherheit drücken sich spezifische Prägungen im 20. Jahrhundert aus. Nach den existenziell einschneidenden Ereignissen in Czernowitz 1944 haben sich die beiden nie mehr gesehen.

Der Briefwechsel bricht immer wieder für lange Zeit ab, bedingt durch Celans Krankenhausaufenthalte. Angesichts der Ereignisse (Celans Mordversuche an seiner Frau, geschlossene Psychiatrie) fällt auf, wieviel er diesem Jugendfreund verschweigt. Eine gewisse Rolle spielen gemeinsame Bekannte. Ein Austausch vor allem über russische Schriftsteller, die Celan sehr am Herzen lagen, war allerdings mit Chomed so nicht denkbar. Dafür aber kristallisiert sich in dieser fernen Bezugsperson Celans Sehnsucht nach etwas Persönlichem. Neben dem erhellenden Jugendbrief von 1938 ist der Nachhall davon in den 60er Jahren an einigen wenigen Stellen spürbar.

Besprochen von Helmut Böttiger

Paul Celan und Gustav Chomed: "Ich brauche Deine Briefe"
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010
94 Seiten, 8 Fotos, 4 Faksimiles, 14,90 Euro