Paul Baeten Gronda: "Straus Park"

Getrieben von Angst, Berechnung und Lebensgier

Ein Mann und eine Frau umarmen sich hinter einem durchscheinenden Wandschirm.
Paul Baeten Gronda beschreibt in "Straus Park" die Geschichten zweier Familien - und auch zweier Liebespaare. © imago/Westend61
Von Edelgard Abenstein · 19.07.2016
"Straus Park" handelt von der dramatischen Geschichte zweier Familien, die - ohne dass ihre Nachfahren es ahnten - seit der Zeit des Nationalsozialismus auf verhängnisvolle Weise miteinander verflochten sind. Durch die lakonische Erzählweise des Flamen Paul Baeten Gronda entwickelt sich ein packender Sog.
Auch in den Niederlanden gehört der Familienroman zu den erfolgreichsten literarischen Genres. Auch dort sucht eine Enkelgeneration unter den Schriftstellern nach ihrer Herkunft und danach, wie sich die eigenen Großeltern in der Nazizeit verhielten. In seinem vierten Roman erzählt der flämische Autor Paul Baeten Gronda, Jahrgang 1981, die dramatische Geschichte zweier Familien, die - ohne dass ihre Nachfahren es ahnten - auf verhängnisvolle Weise miteinander verflochten sind.
Im Zentrum steht Amos Grossman. Er stammt aus bester jüdisch-amerikanischer Familie, die reich geworden ist durch den Handel mit europäischer Kunst. Nach dem Unfalltod seiner Eltern wohnt Amos allein in dem riesigen Haus seiner Kindheit am Straus Park im Norden von Manhattan wie in einem Museum. Ziellos schlendert der Mittdreißiger durchs Leben. Nach einer kurzen Ehe langweilt er sich auf der Couch eines Therapeuten genauso wie in wechselnden Beziehungen.

Verrat der Freunde als Grundlage für späteres Vermögen

Bis eines Tages Julie Dane auftaucht. Die junge Kunsthistorikerin aus London arbeitet an einem Forschungsprojekt über die Kunst des 18. Jahrhunderts und möchte wissen, auf welchen Wegen diese Bilder nach Amerika gelangten. Der ererbte Familienbesitz macht Amos zum idealen Interviewpartner für Julie und aus beiden alsbald ein Liebespaar. Soweit der allzu vertändelte, einfach gestrickte Beginn dieses Romans, der dann aber unvermittelt in die 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zurückspringt.
Von da an nimmt die Handlung Fahrt auf, die Vorgeschichte der Grossmans, die aus einem kleinen Dorf in Brandenburg stammen, wird erzählt. Vor dem Terror der Nationalsozialisten flüchten sie nach Amsterdam und tauchen unter falschem Namen unter. Was für andere Verzweiflung, Panik, Untergang bedeutet, wird für Amos Großmutter Charlotte Grossman aber eine Chance zum Aufstieg. Zu allem entschlossen, besorgt sie für sich und ihren Mann falsche Papiere, wird zur Geliebten eines deutschen Offiziers und zur Denunziantin. Um sich selber zu retten, verrät sie Freunde - und legt so die Grundlage für ihr späteres Vermögen.

Hinreißende Liebesgeschichte

Paul Baeten Gronda erzählt diese Geschichte um Täter und Opfer, um Schuld und Überlebenswillen wie ein Chronist: lakonisch, ohne zu moralisieren. Einem Naturforscher ähnlich blickt er durchs Mikroskop auf Menschen, die getrieben sind – von Angst, Berechnung, Lebensgier. Auch wenn er die Nebenfiguren schon mal ans Klischee ausliefert und insbesondere bei der Affäre zwischen Charlotte und dem Nazi nicht ganz geschmackssicher verfährt, entwickelt der Roman einen packenden Sog. Geschickt werden Fährten ausgelegt und halb verborgen. Spuren, die auf Julie Danes jüdische Großeltern verweisen, auf deren verlorene Besitztümer, auf eine kostbare Kunstsammlung, die damals verschwand, in Amsterdam 1944.
Von den Folgen handelt Teil drei des Romans, der mit einem raffinierten Spannungsbogen zurück in die Gegenwart führt und - ganz und gar - der hinreißenden Liebesgeschichte zwischen den Enkelkindern gewidmet ist. Eine Liebesgeschichte, die beinahe ausgeht wie im Märchen - aber nur beinahe, denn das wäre einfach zu schön, um wahr zu sein.

Paul Baeten Gronda: Straus Park
Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas
Luchterhand Verlag, München 2016
320 Seiten, 24,99 Euro