Pathetischer Rehabilitierungsversuch
Anhand einer verworrenen Familiengeschichte versucht die Autorin Oksana Sabuschko, die ukrainische Geschichte neu zu deuten. Mit viel pathetischem Kitsch werden dabei die Partisanen der ukrainischen Aufstandsarmee zu Nationalhelden stilisiert.
Jonathan Franzen erzählt in seinem Roman "Freiheit" eine nordamerikanische Familiengeschichte über 30 Jahre hinweg. Oksana Sabuschko, 1960 in der Ukraine geboren und spätestens seit den kraftvollen "Feldstudien über ukrainischen Sex" (2006) eine wichtige literarische Stimme ihres Landes, nimmt sich in ihrem opulenten "Museum der vergessenen Geheimnisse" nicht weniger als 80 Jahre vor und überformt die Familiengeschichte gleich zum nationalen Mythos.
Ihre Heldin Daryna Hoschtschynsky ist Fernsehjournalistin. Fasziniert von der Fotografie der schönen ukrainischen Partisanin Helzja recherchiert sie deren Geschichte. Darynas Ehemann Adrian Watamanjuk, ein begabter Physiker, der als Antiquitätenhändler arbeitet, erweist sich nicht nur als Nachfahr der Kämpferin, er träumt auch von seinem Namensvetter Adrian Ortynski, einem Partisanen, der mit Helzja einst einen einzigartigen gemeinsamen Orgasmus erlebte.
Dessen ungeachtet verlobte sich Helzja mit Stodolja, der wenig später die mittlerweile schwangere Verlobte, Adrian und andere Kämpfer an die Sowjets verriet. Die Partisanen starben 1947 lieber, als sich zu ergeben. Als Daryna alles von den "Partisanen der Liebe" in Erfahrung gebracht hat, wird sie selbst schwanger und führt das auf Helzjas ungeborenes Kind zurück: die Partisanen hätten sie und Adrian "im Glockenklang des Todes" miteinander "vermählt", der Schwangerschaftstest sei ihr "Einberufungsbefehl" an eine "andere Front".
Der politisch-ideologische Zweck dieses pathetischen Kitsches ist die Rehabilitierung der ukrainischen Aufstandsarmee, die zwischen 1942 und 1949 gegen Deutsche Wehrmacht und Rote Armee kämpfte. Wer einst als Bandit galt, wird nun von Sabuschko im Stil von Landserheften verklärt:
"... wir wagten den Neuanfang, wurden geschmiedet in der Blutesse, gehärtet zu Stahl, die Spreu sonderte sich vom Weizen im Wirbel der wechselnden Fronten (...) und so blieben nur wir, die Lieblinge und die Liebhaber des Todes, rein wie der Glockenklang, edles Metall."
In der Nachfolge solch Wackerer stehen zahlreiche Ukrainer, die zu Sowjetzeiten weder Dissidenten noch Mitläufer waren: Darynas Vater etwa, der damals in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Heute sind es Daryna und Adrian. Ihre Gegenspieler: immer noch Russen oder ukrainische Handlanger der "Fremden" - im Fernsehsender, im Parlament, im Sicherheitsdienst. Oksana Sabuschko ruft ihre Nation zum Kampf.
Die Streitschrift ist pathetisch, kitischig, geschwätzig und mit heißer Nadel gestrickt. Wie im Roman des 18. und 19. Jahrhunderts erweist sich die Geschichte der Ukraine als Familienangelegenheit. Adrians Träume von den Partisanen ersetzen Darynas Recherche, und auch die Autorin scheint zuweilen geträumt zu haben: Daryna ist mal Programmleiterin und Nachrichtenchefin, mal Ansagerin und Dokumentarfilmerin. Vor allem aber ist sie sehr attraktiv, hat stets wunderbaren Sex und denkt ständig an ihn, nicht anders als jeder Mann, sobald Konkurrentinnen mit respektablen Brüsten und Minirock um die Ecke biegen, was nicht selten der Fall ist.
Die sowjetische Vergangenheit scheint eine auch ästhetisch verheerende Last für die unabhängige Ukraine sein.
Besprochen von Jörg Plath
Oksana Sabuschko: Museum der vergessenen Geheimnisse
Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2010
760 Seiten, 29 EUR
Ihre Heldin Daryna Hoschtschynsky ist Fernsehjournalistin. Fasziniert von der Fotografie der schönen ukrainischen Partisanin Helzja recherchiert sie deren Geschichte. Darynas Ehemann Adrian Watamanjuk, ein begabter Physiker, der als Antiquitätenhändler arbeitet, erweist sich nicht nur als Nachfahr der Kämpferin, er träumt auch von seinem Namensvetter Adrian Ortynski, einem Partisanen, der mit Helzja einst einen einzigartigen gemeinsamen Orgasmus erlebte.
Dessen ungeachtet verlobte sich Helzja mit Stodolja, der wenig später die mittlerweile schwangere Verlobte, Adrian und andere Kämpfer an die Sowjets verriet. Die Partisanen starben 1947 lieber, als sich zu ergeben. Als Daryna alles von den "Partisanen der Liebe" in Erfahrung gebracht hat, wird sie selbst schwanger und führt das auf Helzjas ungeborenes Kind zurück: die Partisanen hätten sie und Adrian "im Glockenklang des Todes" miteinander "vermählt", der Schwangerschaftstest sei ihr "Einberufungsbefehl" an eine "andere Front".
Der politisch-ideologische Zweck dieses pathetischen Kitsches ist die Rehabilitierung der ukrainischen Aufstandsarmee, die zwischen 1942 und 1949 gegen Deutsche Wehrmacht und Rote Armee kämpfte. Wer einst als Bandit galt, wird nun von Sabuschko im Stil von Landserheften verklärt:
"... wir wagten den Neuanfang, wurden geschmiedet in der Blutesse, gehärtet zu Stahl, die Spreu sonderte sich vom Weizen im Wirbel der wechselnden Fronten (...) und so blieben nur wir, die Lieblinge und die Liebhaber des Todes, rein wie der Glockenklang, edles Metall."
In der Nachfolge solch Wackerer stehen zahlreiche Ukrainer, die zu Sowjetzeiten weder Dissidenten noch Mitläufer waren: Darynas Vater etwa, der damals in die Psychiatrie eingeliefert wurde. Heute sind es Daryna und Adrian. Ihre Gegenspieler: immer noch Russen oder ukrainische Handlanger der "Fremden" - im Fernsehsender, im Parlament, im Sicherheitsdienst. Oksana Sabuschko ruft ihre Nation zum Kampf.
Die Streitschrift ist pathetisch, kitischig, geschwätzig und mit heißer Nadel gestrickt. Wie im Roman des 18. und 19. Jahrhunderts erweist sich die Geschichte der Ukraine als Familienangelegenheit. Adrians Träume von den Partisanen ersetzen Darynas Recherche, und auch die Autorin scheint zuweilen geträumt zu haben: Daryna ist mal Programmleiterin und Nachrichtenchefin, mal Ansagerin und Dokumentarfilmerin. Vor allem aber ist sie sehr attraktiv, hat stets wunderbaren Sex und denkt ständig an ihn, nicht anders als jeder Mann, sobald Konkurrentinnen mit respektablen Brüsten und Minirock um die Ecke biegen, was nicht selten der Fall ist.
Die sowjetische Vergangenheit scheint eine auch ästhetisch verheerende Last für die unabhängige Ukraine sein.
Besprochen von Jörg Plath
Oksana Sabuschko: Museum der vergessenen Geheimnisse
Aus dem Ukrainischen von Alexander Kratochvil
Literaturverlag Droschl, Graz/Wien 2010
760 Seiten, 29 EUR