"Pasolini war vom Tod besessen"

Von Sylvia Dotzer · 16.11.2005
Anlässlich seines 30. Todestages widmet die Pinakothek der Moderne in München Pier Paolo Pasolini eine umfassende Ausstellung. Unter dem Titel "Pier Paolo Pasolini und der Tod" wird der umstrittene italienische Künstler, Regisseur und Schriftsteller in all seinen künstlerischen Facetten vorgestellt. Pasolini wurde am 2. November 1975 auf einem kleinen Fußballplatz in Ostia bei Rom ermordet aufgefunden.
Es ist eine Serie von zwölf großformatigen Fotos, die Pier Paolo Pasolini so zeigen, wie die Welt ihn bereits kennt: mit Anna Magnani auf den Stufen des Filmpalastes, neben Maria Callas, als Dozent an der Universität, während der Dreharbeiten, als Kunstsammler und - als begeisterten Fußballspieler. Kaum ein Künstler, der so häufig abgebildet und porträtiert wurde, wie Pier Paolo Pasolini. Seine künstlerische Wirkung wird oftmals auf äußere Tabubrüche reduziert, wie Bernhart Schwenk, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung, erklärt:

Bernhart Schwenk: "Den meisten ist Pasolini im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Wirkung auch mit den Skandalen, die er hervorgerufen hat, bekannt geworden, die er als Homosexueller, als ein Kirchenkritiker, als bekennender Marxist, als Zivilisationskritiker, der auch in den Zeitungen aufgetreten ist, er hat ja viele Kolumnen geschrieben, vor allem dann in den 70er Jahren, und als diese öffentliche Person versuchen wir darzustellen, zumindest einen Eindruck davon zu vermitteln."

Fotos, Bücher und Zeitungsartikel stellen nur einen Teil der Münchner Retrospektive über Pier Paolo Pasolini dar, eines exponierten und umstrittenen Künstler, der in einer Person sowohl Theaterautor, Schauspieler, Schriftsteller, Maler als auch Filmregisseur war. Der größere Teil der Ausstellung umfasst Zeichnungen, Gemälde und Original-Manuskripte, die aus dem Nachlass stammen und bislang nicht zu sehen waren. An den Wänden Zitate, die Pasolinis Auseinandersetzung mit dem Tod, seine Ansichten zum Kino und zur Sprache vermitteln.

"Solange ich nicht tot bin, wird niemand behaupten können, mich wirklich zu kennen", wird Pasolini dort zitiert. Und er scheint Recht zu behalten, betrachtet man eines der Selbstbildnisse Pasolinis aus dem Jahr 1947: kleinformatig, bescheiden und ikonenhaft zeigt es den Künstler als jungen Mann, ungewöhnlich verträumt, mit roter Blume im linken Mundwinkel. Pasolini als 25-Jähriger, der nach seinem Studium der Kunstgeschichte und Literatur an einer Doktorarbeit schreibt. Zu dieser Zeit malt Pasolini, schreibt Gedichte und Romane, entwickelt seine eigene Bildsprache und Ästhetik mit zunehmendem Blick auf übergeordnete Ideale und archaische Themen. Pasolini zeigt das Schicksal des Menschen, die Religion, die Sexualität und vor allem den Tod:

Bernhart Schwenk: "Pasolini ist von Anfang an, vom Anfang seines Schaffens an vom Tod besessen gewesen. Er hat sich immer wieder mit dem Tod auseinander gesetzt, mit dem Tod als Grundphänomen, und mystische Größe im Allgemeinen, aber eben auch mit dem eigenen Tod. Schon 1946 hat er in den Quaderni Rossi, also in den roten Heften, in denen er immer wieder auch tagebuchartig notiert hat, sich mit Jesus verglichen, der unschuldig ans Kreuz genagelt, das Opfer für die Menschheit erleidet."

Das Motiv des Todes findet sich in vielen Zeichnungen wieder. Wüstenähnliche Landschaften, mit Bäumen, die sich emporrecken, ohne Blätter und Äste. Dazu mehrere abstrakte Porträts, u. a. von Maria Callas. Pasolini experimentiert mit verschiedenen, kurzlebigen Materialien, wie Sand, Muscheln oder gar Rotwein, oder mit dick aufgetragener Farbe, die im Lauf der Zeit langsam vom Papier bröckelt. Stets wird die Vergänglichkeit thematisiert. Eine Videoinstallation zeigt Ausschnitte aus den wichtigsten Filmen Pasolinis, darunter Accatone, Mamma Roma oder Teorema. Die Art, wie die einzelnen Szenen kombiniert sind vermittelt einen Überblick über die filmischen Eigenheiten Pasolinis, zeigt statische Porträts und Nahaufnahmen, sowie häufig wiederkehrende Motive, so beispielsweise das Bestattungsritual. Erotik, Gewalt, Tod oder die Rolle der Frau sind Themen, die dabei reflektiert werden. Und natürlich Gegensätze, wie Liebe und Hass, Armut und Reichtum.

Bernhart Schwenk: "Pasolini ist auch ein Mann der Widersprüche, der ganz großen Widersprüche, und das macht ihn auch so modern in seiner Zeit, denn in den 60er Jahren, als der Wohlstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa aufkam und sich immer weiter vermehrte und eigentlich die gesamte Gesellschaft darauf damit rechnete alle Sorgen los zu sein, in dieser zu diesem Zeitpunkt hat Pasolini erkannt, dass diese Tendenz nicht nur mit Gutem einhergeht, das heißt, das nicht alles, das was gut ist, auch gut ist und das was böse ist, bös ist, das Wohlstand sehr wohl mit Armut zu tun haben kann, nämlich mit geistiger Armut, mit Vereinheitlichung, mit Gleichmacherei."

Pier Paolo Pasolini ist eine Künstlerpersönlichkeit mit vielen Facetten. Die Ausstellung versucht, allen seinen Talenten gerecht zu werden. Zitiert wird dabei immer wieder der Tod als übergeordnetes Thema des Künstlers. Pasolinis eigener Tod im November 1975 wird dabei ausgeklammert. Zurückgegriffen wird vielmehr auf eine vielfach umstrittene These Giuseppe Zigainas. Zigaina, ein enger Freund Pasolinis zu Lebzeiten, vertritt die Auffassung, dass der Tod Pasolinis seinem künstlerischen Werk erst den rechten Sinn verleihe, ähnlich wie der richtige Schnitt im Film. Die Ausstellung bietet aber mehr als Mythos. Dem Betrachter werden verschiedene Wege ermöglicht, sich anzunähern an einen Künstler, dessen sichtbar gewordene Inneres und dessen Introvertiertheit abweicht von dem bisher in der Öffentlichkeit gezeigten Bild.


Service:
Die Ausstellung "P.P.P. - Pier Paolo Pasolini und der Tod" ist vom 17.11.2005 bis 5.2.2006 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.