Partnerstädte

Angst um die Freunde

Menschen am 10. August 2014 in einem Schutzraum in einem Krankenhaus in der umkämpften Großstadt Donezk, Ostukraine.
Im Keller eines Krankenhauses der heftig umkämpften Großstadt Donezk - auch hier fehlt es an Vielem. © AFP / DIMITAR DILKOFF
Von Barbara Schmidt-Mattern · 12.08.2014
Seit 1987 besteht der Städte-Austausch zwischen Bochum und Donezk. Man besuchte zusammen den Shanty-Chor, und im Sommer gab es Grillfeste. Doch jetzt leben die Freunde plötzlich im Kriegsgebiet - und Bochum versucht zu helfen.
"Hallo, gun Tach, ich hatte Ihnen schon mal eine Mettwurst mitgebracht, aber die ist abhanden gekommen!"
Mettwürste sind nun gerade nicht erlaubt als Spende für die Freunde im fernen Donezk, das weiß Anton Pape eigentlich auch ganz genau. Aber der 86-Jährige unternimmt noch eine zweite Charmeoffensive:
"Aber wollen Sie jetzt mal eine haben? Ohne Knoblauch? 26 Stück hab ich auf dem Zettel!"
Die Damen von der Gesellschaft Bochum-Donezk lächeln vergnügt, eine Mettwurst zum Eigenverzehr geht immer. Die kleine Runde – allesamt Ehrenamtler zwischen 60 und 80 Jahren, wühlt sich jede Woche donnerstags durch die Kartons in diesem schlauchförmigen Lagerraum, der vollgestopft ist bis unter die Decke.
"Wow, das ist hier zum Beispiel so ein Teil …"
Barbara Häckel steht zwischen Altkleider-Säcken und hält staunend einen silbrig glänzenden Hauch von Stoff hoch:
"Das ist ein kleines Cocktailkleid, sehr nett, ein paar Falten drin, schulterfrei, und das geht jetzt nach Donezk. Hoffentlich kann’s da irgendjemand mal wieder tragen, im Augenblick ist das ja nicht das Richtige …"
Die Damen kramen emsig weiter, während Anton Pape nachdenklich um sich blickt: All die Spenden –Gardinen, Hörgeräte, Bücher, darunter ein Heinz-Sielmann-Bildband über Seehunde – stapeln sich in Bochum.
"Ich denke, dass das Lager lange nicht geleert wird, wenn das so weitergeht …"
Betroffenheit über die Lage in Donezk
Anton Pape hat Angst um seine Freunde. Neulich hat der Rentner mit seiner Bekannten Larissa in Donezk telefoniert – eine Germanistik-Professorin, die vor Jahren mal zur Untermiete bei ihm gewohnt hat.
"Die hat mir gesagt, Anton, die Affen benehmen sich besser wie hier die Menschen, die spucken sich gegenseitig in den offenen Mund … puuh …"
Der alte Mann, Jahrgang 1928, überspielt seine Betroffenheit und schimpft über Wladimir Putin:
"Der Russe hat zwanzigtausend Soldaten an der Grenze aufgebaut, und ich meine, dat kann ne Drohung sein oder vielleicht … Der Putin hat sie ja manche Tage auch nicht alle auf dem Kasten."
Neben Anton Pape steht Waltraud Jachnow und gönnt sich ein Päuschen. Die Ehrenvorsitzende der Gesellschaft Bochum-Donezk, flitzt schon den ganzen Vormittag lang zwischen den Kartons hin und her. Sie sortiert erst Hosen, und findet dann in einem Herren-Blouson eine Handvoll Hundefutter. Die 73-Jährige schmunzelt, aber eigentlich ist sie bekümmert:
"Wir sind eben auch ziemlich verzweifelt, weil wir gar nicht wissen, wann wir den nächsten Transport schicken können, denn in Donezk ist Krieg."
Mindestens einmal pro Woche bekommt Waltraud Jachnow eine E-Mail aus der Ukraine. Ihre Freunde haben nicht genug Wasser, und ständig fällt der Strom aus.
"Und wir sprachen jetzt gerade von diesem Kinderkrankenhaus in Makiewka, das ist unmittelbar neben Donezk. Die haben uns am Anfang des Konflikts einen Hilferuf geschickt, wir sollen ihnen Lebensmittel oder Geld schicken, damit sie Lebensmittel einkaufen können. Das konnten wir nicht."
Geld und ein Auto sind gefragt
Vor allem Geld-Spenden könnten sie gerade mal wieder gut gebrauchen – zumal Bochum in ganz Deutschland die einzige Partnerstadt von Donezk ist. Rollatoren werden auch bald gefragt sein, glaubt Waltraud Jachnow, wegen der vielen Verletzten.
"Die Vorsitzende ist heute Morgen angerufen worden von der leitenden Ärztin der Kinderklinik. Sie sagte uns, dass nur noch zwei Abteilungen im Krankenhaus arbeiten. Sie ist noch da, und einige wenige Ärzte, wenig Pflegepersonal. Die anderen sind teilweise geflüchtet …"
Dann sind da noch die Freunde vom rollenden Mittagstisch in Donezk, die dringend ein neues Auto brauchen. Andererseits geht die Angst um, dass der Transporter von den Separatisten in der Ost-Ukraine beschlagnahmt werden könnte.
"Die Außenbezirke von Donezk sind unter ständigem Beschuss. Wir merken eben, wie verzweifelt die Menschen sind. Wer fliehen konnte, der ist geflohen. Aber das setzt natürlich voraus, dass man jemanden hat, wohin man fliehen kann, dass man Geld hat. Denn die Menschen, die Richtung Kiew oder in den Westen geflohen sind, ohne Angehörige, die finden keine Unterkunft, finden keine Unterstützung. Ja, im Grunde genommen sind wir wütend, dass das überhaupt so passieren konnte, weil man die Verhältnisse ganz anders kennt."
Walter Spiller schaut jetzt auch mal vorbei in der Lagerhalle. 73 Jahre ist er alt. Sein Handy trägt er immer am Gürtel, und seit über zwei Jahrzehnten ist er aktiv im Verein.
"Wir sind 22 Jahre darunter gefahren, haben nie irgendwie ein Hasserlebnis gehabt …"
Zusammengehalten wie Pech und Schwefel
Im Gegenteil, man besuchte in Donezk zusammen den Shanty-Chor und im Sommer gab es Grillfeste. Da sei so was wie Liebe gewachsen zwischen den Bergbau-Städten, die seit Beginn ihrer Partnerschaft 1987 zusammengehalten haben wie Pech und Schwefel. Und jetzt das, die Freunde leben plötzlich im Kriegsgebiet, Walter Spiller kann es immer noch nicht fassen:
"Da ist eine Nation geteilt worden, und im Grund genommen für uns natürlich auch viel Herzblut, was wir da reingesteckt haben. Wir haben während der Sowjetzeit angefangen, haben nicht gefragt, sind das Russen oder Ukrainer. Wir haben die Menschen in Donezk gesehen."
Neben der Gesellschaft Bochum-Donezk gibt es noch einen Freundschaftsverein und in Donezk selbst sogar ein so genanntes Bochumer Haus, in dem ehemalige Zwangsarbeiter versorgt werden. Außerdem helfen die Partner aus dem Ruhrgebiet kranken und obdachlosen Kindern. Mit der humanitären Hilfe hatten sie in den letzten Jahren schon genug zu tun, doch jetzt fühlen sich die Bochumer plötzlich selbst hilflos, und, sagt Walter Spiller, mitten zwischen den Fronten:
"Wir müssen uns jetzt auch entscheiden, obwohl auch wir immer wieder gefragt werden: Wie macht ihr das weiter? Und wir hoffen, dass es weitergeht."
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